Ukraine: Mobilisierer als Zielscheibe

In der Ukraine wächst der Unmut gegen die brutaler werdenden Zwangsrekrutierungen

Die Mobilisierung für die ukrainische Armee verläuft schleppend. Die Verantwortlichen greifen immer häufiger zur Gewalt.
Die Mobilisierung für die ukrainische Armee verläuft schleppend. Die Verantwortlichen greifen immer häufiger zur Gewalt.

Was genau am Mittwoch vor dem Mobilisierungsbüro im westukrainischen Kamjanez-Podilskyj geschah, ist noch nicht ganz klar. Nach Angaben der Polizei starb ein Mensch, vier weitere wurden verletzt. Ob durch eine Handgranate oder den Sprengsatz eines Selbstmordattentäters wird noch ermittelt.

Die Tat in Kamjanez-Podilskyj war bereits der dritte Angriff auf Mobilisierungsbüros binnen weniger Tage. Am Sonnabend starb ein 21-Jähriger bei einem Anschlag auf das Büro im westukrainischen Riwne und verletzte dabei acht Militärkommissare. Am Sonntag wurden drei junge Männer im Alter von 21 und 22 Jahren im ostukrainischen Pawlohrad nach einem Anschlag festgenommen. Insgesamt gab es in diesem Jahr bereits neun solcher Attacken auf Mobilisierungseinrichtungen, teilte der Leiter der Nationalpolizei, Iwan Wyhiwskyj, mit.

Geheimdienst spricht von russischer Kampagne

Obwohl die Hintergründe bisher nicht bekannt sind, haben Polizei und Geheimdienst den Verantwortlichen bereits gefunden. In den meisten Fällen zeigen die Behörden, noch bevor die Trümmer beseitigt sind, auf Russland als Strippenzieher, der junge Männer im Netz anwirbt. »Russlands Geheimdienste haben eine neue Taktik entwickelt, die die TZK (die Mobilisierungsbüros, d. Red.) zu verminen. Sie benutzen sie ›verdeckt‹ und entledigen sich der unnötigen Zeugen anschließend«, schreibt der Geheimdienst SBU auf Telegram. Mit einer Kampagne will er Ukrainer von solchen Aktionen abbringen. »Der FSB sprengt die Bombe mit dir!«, heißt es dort.

Dass Russland wirklich hinter den Anschlägen steckt, ist durchaus möglich. Es entspräche dem Vorgehen auch in anderen Ländern und natürlich dem Versuch, die Ukraine weiter zu destabilisieren. Beweise dafür haben Polizei und SBU bisher aber nicht vorlegen können.

Anschuldigungen folgen altbekanntem Muster

Die ukrainischen Behörden folgen mit ihrem schnellen Fingerzeig einem bekannten Muster aus Russland selbst. Will jemand die eigene Ordnung zerstören, muss eine ausländische Macht dahinterstecken. Die gemeinsame Vergangenheit der Geheimdienste lässt sich nicht leugnen. Gelernt ist gelernt. Nach demselben Muster wurden am 1. Februar fünf vermeintliche Mitglieder der marxistischen Arbeiterfront der Ukraine (RFU) verhaftet. Sie sollen unter dem Vorwand der Verbreitung »neokommunistischer Ideen« die Ukrainer zum Aufstand gegen den Staat aufgewiegelt haben, etwa durch Verweigerung der Mobilisierung. Das und die gefundene marxistische Literatur reichte für den SBU als Beweis einer russischen Spur.

Zwar ist es ein durchaus realistisches Szenario, dass die Anschläge auf Befehl aus Moskau verübt werden. Aus Kiewer Sicht gilt aber auch: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und das bedeutet: Die Menschen müssen aus eigenem Antrieb gehandelt haben.

Diskussion um Umgang mit Mobilisierern

Anders als es Präsident Wolodymyr Selenskyj und weitere Offizielle gerne verbreiten, ist die Mobilisierung bei den Ukrainern äußerst unbeliebt. Das hat auch mit dem brutalen Vorgehen der Mobilisierer selbst zu tun. Bereits 2023 kam es zu mehr 1000 Auseinandersetzungen bei der zwangsweisen Rekrutierung für die Armee, gestand der Menschenrechtsbeauftragte des Parlaments, Dmytro Lubinez, im öffentlichen Fernsehen ein.

Die aktuellen Anschläge haben zu einer Diskussion um die negative Haltung vieler Ukrainer zu den Mobilisierern geführt. In Kommentaren drücken viele Menschen ihre Unterstützung für die Angreifer auf die Mobilisierungsstellen aus. Freiwillige Unterstützer und Militärs befürworten hingegen den Waffeneinsatz gegen Männer, die sich der Zwangsrekrutierung entziehen wollen und Widerstand leisten.

Mobilisierer bei den Ukrainern verhasst

Der Waffeneinsatz gegen Kriegsdienstverweigerer wäre kein Novum. Im November sorgte ein Vorfall für Aufregung, bei dem ein Mobilisierer das Feuer auf einen flüchtenden Mann eröffnete, ihn aber nicht traf. Bisher ein Einzelfall.

Doch die Nerven liegen zunehmend blank. Spätestens mit den Misserfolgen an der Front und den zunehmenden Verlusten der Armee haben die Mobilisierer immer mehr Mühe, ihre Quoten zu erfüllen, und werden dadurch immer brutaler. Beinahe täglich tauchen im Netz Videos von Verfolgungsjagden und Schlägereien auf. Mehrere Männer starben bereits durch Folter in den Mobilisierungsbüros, zuletzt am 3. Februar der 24-jährige Wladislaw Petrow aus Saporischschja.

Die Situation könnte sich weiter verschlimmern, wenn die Ukraine das Mobilisierungsalter, wie von den USA gefordert, von bisher 25 auf 18 Jahre herabsetzen sollte. Die Armee ihrerseits versucht, aus den Negativschlagzeilen herauszukommen. Noch in diesem Monat soll ein Leitfaden für die Mobilisierer zum Umgang mit Wehrpflichtigen erstellt werden, berichtet das Nachrichtenportal »Hromadske«.

Die ukrainischen Behörden folgen mit ihrem schnellen Fingerzeig einem bekannten Muster aus Russland selbst. Will jemand die eigene Ordnung zerstören, muss eine ausländische Macht dahinterstecken.

-

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.