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Eine Kommunistin? Gott bewahre!
Heidelberg: Hauptausschuss des Gemeinderats lehnt Benennung eines Platzes nach Widerstandskämpferin ab
Eigentlich ein löbliches Unterfangen: Eine von der Stadtverwaltung beauftragte Forschungsarbeit hatte ergeben, dass der Heidelberger Karl Kollnig (1910–2003) in der Nazizeit nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern zuvor bereits in deren Schlägertruppe »Sturmabteilung« (SA) aktiv war. Deshalb entschied man im Gemeinderat, einen neuen Namen für einen nach ihm benannten Platz zu suchen. Das Areal im Stadtteil Handschuhsheim war erst im Jahr 2006 nach dem ehemaligen Rektor der Pädagogischen Hochschule Heidelbergs benannt worden.
Im vergangenen Herbst schlug die Kommission für Straßenbenennungen die Behindertenrechtsaktivistin Anette Albrecht (1965–2007) als Namensgeberin vor. Der Bezirksbeirat Handschuhsheim machte einen weiteren Vorschlag, und einen dritten reichte Bezirksbeiratsmitglied Harald Stierle ein. Er plädierte dafür, das Areal nach Sophie Berlinghof (1910–2002) zu benennen, Kommunalpolitikerin, Handschuhsheimer Urgestein – und Kommunistin.
Die Fraktionsgemeinschaft Die Linke/Bunte Linke im Gemeinderat und die VVN-BdA-Kreisvereinigung Heidelberg unterstützten den Vorschlag. Ende Januar beschlossen auch die Kreisvorstände der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dies zu tun.
Dagegen versuchte die Stadtverwaltung, den Vorschlag zunächst zu ignorieren. Nach Beschwerden sprach sie sich dann explizit dagegen aus. In einer Stellungnahme teilt sie mit, Berlinghof habe »problematische Haltungen« vertreten. Solche könnten »nach einem Grundsatz der Kommission für Straßenbenennungen« nicht »durch Verdienste kompensiert werden«. Die KPD habe zudem »die Weimarer Republik energisch bekämpft, wenn auch mit anderen Methoden als die NSDAP«. Berlinghof habe sich »mit ihrer aktiven Mitgliedschaft stets zur politischen Linie« von KPD und später DKP bekannt, »eine kommunistische Staats- und Gesellschaftsordnung« anzustreben. Dies lasse »nicht auf eine demokratische Grundhaltung schließen«, weshalb die Kommission sie nicht als Namensgeberin für den Platz empfehle.
»Es ist beschämend, dass Sophie Berlinghof nun nach 1933 und 1956 zum dritten Mal zur Staatsfeindin erklärt wird.«
Michael Csaszkóczy Lehrer und Antifaschist in Heidelberg
Auch das Votum des Haupt- und Finanzausschusses des Gemeinderats am Mittwochabend fiel eindeutig aus: Zehn Mitglieder votierten für Anette Albrecht und nur vier von Linke und SPD für Berlinghof. Die Grünen hatten sich ebenfalls gegen die Benennung nach Berlinghof positioniert. Wie man überhaupt auf die Idee kommen könne, eine Kommunistin vorzuschlagen, mokierte sich AfD-Gemeinderat Timethy Bartesch unter Beifallsbekundungen vieler Anwesender, wie »nd« aus Teilnehmerkreisen erfuhr.
Der Gemeinderat wird am 20. Februar endgültig entscheiden. Ein anderes Ergebnis als jenes in der Ausschusssitzung sei indes nicht zu erwarten, ist der Heidelberger Michael Csaszkóczy überzeugt. Der Lehrer und Antifaschist hat Berlinghof noch kennengelernt. Bei der Feier zum 90. Geburtstag der Honoratiorin im Jahr 2000 war er dabei. Zu dieser kam auch die damalige SPD-Oberbürgermeisterin Beate Weber persönlich zum Gratulieren vorbei.
In der Stellungnahme zur Platzbenennung nach Berlinghof zeigt sich die Stadtverwaltung denn auch leicht befremdet über den unkritischen Umgang Webers mit der früheren Gemeinderätin, den sie ausdrücklich als Beleg dafür anführt, dass Berlinghof trotz teils fragwürdiger Ansichten »zumindest in ihrem höheren Lebensalter weithin nicht als Gegnerin der bestehenden freiheitlich-demokratischen Ordnung wahrgenommen worden« sei, »sondern als Protagonistin der lokalen NS-Erinnerung und als eine der frühen und aktiven Frauen im Heidelberger Gemeinderat«. Auch die »Rhein-Neckar-Zeitung« habe in einem Artikel zum 90. einfach vermerkt, Berlinghof sei »bis heute bei vielen Heidelbergern bekannt und beliebt«.
Stichwort NS-Erinnerung: Dazu konnte Berlinghof tatsächlich viel sagen. Weil sie sich früh in kommunistischen Verbänden engagiert hatte, wurde sie von den Nazis von der Universität verwiesen, wo sie – eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen – 1931 ein Studium der Zahnmedizin begonnen hatte. Sie wurde verhaftet und verhört, und einen Job bekam sie auch nicht mehr, bis sie 1943 in der Rüstungsindustrie kriegsverpflichtet wurde. An ihrem Rauswurf aus der Uni war übrigens ein gewisser Hanns Martin Schleyer maßgeblich beteiligt, damals studentischer SS-Funktionär und später in der Bundesrepublik Arbeitgeberpräsident.
Nach dem Krieg baute Berlinghof die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mit auf und war deren langjährige Kreisverbandsvorsitzende. Von 1947 bis 1956, dem Jahr des Verbots ihrer Partei, war sie Mitglied des Heidelberger Gemeinderates. In der Folge erlebte sie erneut Repressalien und Anfeindungen. Seit 1955 bis weit in ihre Siebziger hinein führte Sophie Berlinghof ein Obst- und Gemüsegeschäft in Handschuhsheim und wurde nach deren Gründung 1969 Mitglied der DKP. Die Fenster ihres Ladens wurden oft mit Nazi-Losungen und Hakenkreuzen beschmiert.
Bekannt war Sophie Berlinghof auch dadurch, dass sie regelmäßig antifaschistische Stadtrundgänge veranstaltete. Michael Csaszkóczy hat diese Tradition fortgesetzt und betätigt sich bis heute als Antifa-Stadtführer. Der Pädagoge kämpfte selbst mehrere Jahre lang in Prozessen gegen ein Berufsverbot und seine Überwachung durch den Inlandsgeheimdienst. Er findet es »beschämend, dass Sophie Berlinghof nun nach 1933 und 1956 zum dritten Mal zur Staatsfeindin erklärt wird«.
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