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Berufsverbote: Die neue Welle gegen Linke

Seit einigen Jahren werden wieder häufiger junge Linke gekündigt oder nicht in den öffentlichen Dienst gelassen

Benjamin Ruß, Luca Schröder, Inès Heider (v.l.n.r.) berichteten in Berlin über ihre Erfahrungen mit Repressalien im Beruf, Historiker Jan-Henrik Friedrichs (r.) sieht Parallelen zur Berufsverbotspraxis früherer Jahrzehnte.
Benjamin Ruß, Luca Schröder, Inès Heider (v.l.n.r.) berichteten in Berlin über ihre Erfahrungen mit Repressalien im Beruf, Historiker Jan-Henrik Friedrichs (r.) sieht Parallelen zur Berufsverbotspraxis früherer Jahrzehnte.

In diesen Tagen sorgt der Fall Lisa Poettinger für Aufsehen: Weil sie sich an Aktionen des zivilen Ungehorsams für den Klimaschutz engagierte und sich als Marxistin bezeichnet, verwehrte ihr der Freistaat Bayern den Antritt ihres zum Abschluss ihres Lehramtsstudiums notwendigen Referendariats. Die Begründungen des Münchner Kultusministeriums für diesen Schritt erinnern an die Zeit eines beinharten Antikommunismus zu Zeiten des Kalten Krieges. So glänzte der bayerische Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) mit der Aussage »Wir wollen weder Kommunisten noch Nazis in unseren Schulen.«

Auch Luca Schäfer wurde die Übernahme ins Referendariat verwehrt. Er sprach Ende vergangener auf einer Podiumsdiskussion zum Thema »Berufsverbote – ein Revival der politischen Disziplinierung« in der Berliner Humboldt-Universität über Poettingers und seinen eigenen Fall. Eingeladen hatte der Berliner Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Schäfers Situation weist etliche Parallelen zu jener von Poettinger auf. Bei ihm wuchs sich allerdings ein Gerichtsverfahren mit einer absurden Anschuldigung zum Hindernis für seine Tätigkeit als Lehrer aus. Er hatte sein Studium der Fächer Politik und Geschichte bereits abgeschlossen und stand kurz vor Beginn seiner Laufbahn als Haupt- und Realschullehrer in Frankfurt am Main, als ihm die Teilnahme an einer Demonstration am 1. Mai 2021 zum Verhängnis wurde.

Während der Demo traf Schäfer auf einen Verletzten, dem er helfen wollte. Weil direkt vor dem Mann ein »Rauchtopf« lag, also ein qualmendes pyrotechnisches Erzeugnis, warf er diesen hinter sich. Monate später trudelte bei ihm eine Anzeige wegen »tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruchs« ein. Er sollte mit dem Rauchtopf einen Beamten getroffen haben. In einem ersten Prozess wurde er 2021 trotz widersprüchlicher Aussagen von Polizisten zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein, weil sie das Urteil für viel zu milde hielt. Vor einem Jahr kam es zur nächsten Verhandlung, in der Schäfer zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.

Das bedeutet: Der 28-Jährige gilt als vorbestraft und darf deshalb vorerst nicht an einer staatlichen Schule in Hessen als Lehrer arbeiten. In der Verhandlung in zweiter Instanz am Frankfurter Amtsgericht, berichtet er, sei es »genau drei Minuten« um den eigentlichen Sachverhalt gegangen. Viel länger habe ihn der Richter zu seinen politischen Ansichten befragt und bezweifelt, dass diese mit der Arbeit als Pädagoge vereinbar seien. Es sei »klar um Kriminalisierung meiner politischen Positionen« gegangen, so Schäfer.

Das hessische Kultusministerium habe ihn inzwischen dreimal die Übernahme ins Referendariat wegen Zweifeln an seiner »Verfassungstreue« verweigert. In einer Stellungnahme habe man ihm attestiert: »Zu einem unbestimmt gebliebenen Zeitpunkt legte sich der Angeklagte eine den Staat und seine Institutionen ablehnende Grundhaltung zu.«

Eine solche Aussage könne man kaum entkräften, sagte Schäfer. Wie in der Berufsverbotspraxis der 1970er und 1980er Jahre komme es zu einer Beweislastumkehr, wenn »Zweifel an der Verfassungstreue« einer Person geäußert würden.

Schäfer sowie Inès Heider aus Berlin und Benjamin Ruß aus München berichteten zugleich von der großen Solidarität, die sie sowohl von Kolleg*innen als auch von ihren Gewerkschaften GEW und Verdi erfahren hätten.

Heider war bei einem privaten Träger als Schulsozialarbeiterin beschäftigt. Ihr wurde fristlos gekündigt, weil sie in einer E-Mail über den Verteiler des Arbeitgebers zum »wilden Streik« aufgerufen und durch »Verunglimpfung« des Berliner Senats die Geschäftsbeziehungen des Unternehmens zur Landesregierung gefährdet haben soll. Heider ist überzeugt, dass die Firma eine kritische und gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiterin loswerden wollte. Das Arbeitsgericht Berlin erklärte die Kündigung im vergangenen April für rechtswidrig.

Man könne in ihrem Fall nicht von einem »klassischen Berufsverbot« sprechen, sondern eher von »Union Busting«, also der Einschüchterung von Betriebs- und Personalräten, sagte Heider. Das Arbeitsgericht stellte im vergangenen April klar, dass Heiders Kündigung rechtswidrig war.

Für die drei auf dem Podium liegt es auf der Hand, dass die Repressalien gegen sie auch mit der »Zeitenwende« in Richtung Militarisierung der Gesellschaft und zunehmendem Autoritarismus zu tun haben.

Der Geoinformatiker Benjamin Ruß hatte bereits eine Jobzusage als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität München (TUM). Doch dann kam der in Bayern obligatorische Fragebogen, den alle Anwärter auf eine Stelle im öffentlichen Dienst Bayerns ausfüllen müssen und in dem sie per Unterschrift einer Abfrage von Informationen über die eigene Person beim Verfassungsschutz zustimmen müssen.

Ganz überrascht war Ruß nicht, als er im August 2022 die Mitteilung erhielt, dass er den Job doch nicht bekomme. Schließlich sei er »stadtbekannt bei den Repressionsbehörden«, meint er und verweist auf seine Mitgliedschaften im Studierendenverband Die Linke/SDS und in der Roten Hilfe. Beide werden im Freistaat vom Verfassungsschutz beobachtet, Mitgliedschaften darin gelten als Ausschlusskriterium für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Das Arbeitsgericht München lehnte seine Klage gegen die TUM und den Freistaat Bayern im August 2024 endgültig ab.

Ruß zeigte viele Details aus dem Fragebogen und wies darauf hin, dass das Eintreten für selbstverständliche demokratische Rechte wie die Demokratisierung von Betrieben als fehlende Verfassungstreue ausgelegt werden.

Luca Schäfer ist überzeugt, dass es sich bei den sich mittlerweile häufenden Fällen von Repression am Arbeitsplatz um einen »klaren politischen Angriff auf die gesamte gewerkschaftliche Linke« handelt. Es solle Verunsicherung nicht nur bei direkt Betroffenen erzeugt werden. Auch andere sollten so von politischem Engagement abgeschreckt werden. Was dagegen hilft? Vernetzung mit den Kollegen, Offenheit über eigene Positionen, meint Schäfer. Viele Kämpfe könnten juristisch gewonnen werden, andere eher mittels politischem Druck.

Benjamin Ruß erinnerte daran, dass seit dem Beginn der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen nach den Anschlägen der Hamas und anderer terroristischer Gruppen auf Menschen in Israel zunehmend Personen mit palästinensischen Wurzeln oder Unterstützer unter dem Vorwurf des Antisemitismus ihre Jobs verlieren und dass sie Solidarität brauchen.

Ahmad Othman aus Duisburg ist einer von ihnen. Dem IT-Fachmann wurde zum 31. Dezember 2024 gekündigt, weil er sich in der »Palästina Solidarität Duisburg« engagierte, die von einem Verbot betroffen ist. »Polizeibeamte sind in meine Wohnung eingedrungen und haben meinen Arbeitsplatz durchsucht, ich wurde von der Arbeit suspendiert und dann entlassen«, sagte Othman. Sein Arbeitgeber habe ihm eine »verfassungsfeindliche Gesinnung« vorgeworfen. Othman fürchtet weitreichende Folgen: »Jeder andere Arbeitgeber wird künftig sagen: Wir können dir nicht vertrauen, weil der vorige Arbeitgeber dir nicht vertrauen konnte.«

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