Jakutsk: Hilfe, sie haben Lenin geschrumpft

In Jakutien ist ein Streit um die Umbenennung eines zentralen Platzes entbrannt

Lenin des Anstoßes. Sein Platz soll in Jakutsk nur noch bis zur Straße im Bild rechts reichen, zwei Drittel weniger als bisher.
Lenin des Anstoßes. Sein Platz soll in Jakutsk nur noch bis zur Straße im Bild rechts reichen, zwei Drittel weniger als bisher.

»Lenin lebt«, hieß es in der Sowjetunion. Und auch 100 Jahre nach seinem Tod und fast 35 Jahre nach dem Ende des sozialistischen Staates ist die Losung noch immer topografische Realität in Russland. In so ziemlich jeder Stadt trifft man den Revolutionär und Staatsgründer an, meist in Form von Straßen- und Platznamen. 250 Lenin-Plätze gibt es in Russland, hat ein Historiker 2020 herausgefunden, mehr als für alle anderen Persönlichkeiten.

Einer davon soll jetzt verschwinden, zumindest größtenteils. Denn die Hauptstadt der größten Russischen Teilrepublik Jakutien, Jakutsk, hat beschlossen, den zentralen Lenin-Platz aufzuteilen und den größeren Teil in Platz der Republik umzubenennen. Man wolle bei der Benennung von Orten einen stärkeren regionalen Akzent setzen, heißt es zur Begründung. Außerdem sei es nur logisch, dass der bedeutendste Platz der Republik auch so benannt sei, meint Republikchef Aissen Nikolajew.

Bevölkerung will Lenin-Platz behalten

Mit seiner Einschätzung scheint Nikolajew ziemlich allein auf weiter Flur zu sein. Umfragen lokaler Medien zeigen, dass die Menschen in der 380 000-Einwohner-Stadt doch lieber den ganzen Lenin-Platz behalten wollen. Auch im Jakutsker Stadtparlament sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen die Umbenennung aus. Auf ein Referendum verzichtete die Republiksleitung sicherheitshalber. Gegenwind kann man nicht gebrauchen.

Während die meisten Menschen in Jakutsk trotz fehlender Mitbestimmung den Platz der Republik hinnehmen, kommt aus der roten Ecke scharfe Kritik. Bereits als die Pläne im Oktober 2024 bekannt wurden, protestierte der lokale Ableger der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF) scharf und zog Vergleiche zum Abriss sowjetischer Denkmäler in der Ukraine.

Kommunisten packen die Nazikeule aus

Ende Januar legte aus dem fernen Moskau schließlich KPRF-Chef Gennadij Sjuganow nach und packte gleich die Nazikeule aus. Die Jakutsker Behörden »gehen den Weg der Nazis, der polnischen Kollaborateure und der Bandera-Anhänger«. Die Entscheidung »spaltet die Gesellschaft und schadet dem Zusammenhalt sehr«, polterte Sjuganow und wies darauf hin, dass die Sowjetunion sehr, sehr viel für die Republik getan habe, mehr noch, dass es sie ohne die Revolutionäre aus Moskau in ihrer heutigen Form gar nicht geben würde.

Seitdem fliegen die Fetzen zwischen den Kommunisten, die in der Permafrost-Republik einen starken Rückhalt haben, und der jakutischen Führung. Sjuganow solle auf seine Worte achten, riet der Jakutien-Chef der Regierungspartei Einiges Russland, Sulustan Sabolozkij, dem Kommunistenführer. Und Republikchef Nikolajew forderte von Sjuganow eine öffentliche Entschuldigung für sein »rüpelhaftes Verhalten«.

Sjuganow will sich nicht entschuldigen

Doch der denkt gar nicht daran und legte nach, dass Umbennungen in Kriegszeiten generell ein Ding der Unmöglichkeit seien. »Wir werden uns nicht für die Aussagen des Leiters der KPRF entschuldigen, weil wir an ihre Richtigkeit glauben«, sagte der Leiter der KPRF-Analyse-Abteilung Sergei Obuchow. Selbst die Sanierung des Lenin-Denkmals für 60 Millionen Rubel (600 000 Euro) kann die Kommunisten nicht beruhigen. Denn trotz der Frischekur wird Lenin zukünftig auf den Platz der Republik und nicht auf seinen Platz zeigen, heißt es verärgert aus der Partei.

In den vergangenen Jahren haben mehrere russische Städte beschlossen, vorrevolutionäre Straßennahmen wieder einzuführen. Die Reaktionen darauf waren überwiegend positiv. Auch die KPRF hielt trotz vereinzelter Proteste die Füße still.

Kommunisten sollen für das sowjetische Erbe kämpfen

Dass sich die Kommunisten für den Erhalt des sowjetischen Erbes einsetzen, ist nur allzu logisch. Genau diese Rolle ist ihnen im politischen System Russlands zugedacht. Auf diese Weise sollen sie sich als Opposition präsentieren, zumindest auf dem Papier. Nicht geplant ist hingegen, dass daraus eine echte Opposition entsteht, die sich mit den Machthabern vor Ort anlegt.

In der Regel hält sich die KPRF an ihre Rolle. Wehe aber, jemand wagt es, Lenin zu beschneiden oder Hand an sein Denkmal zu legen. Dann werden Taschenoppositionelle zu wahren Kämpfern. Wie das aussieht, kann man in Rewda bei Jekaterinburg gerade sehen. Dort hat die Stadtverwaltung beschlossen, Lenin nach der Sanierung des zentralen Platzes an der Gorki-Straße durch einen profanen Springbrunnen zu ersetzen. Der Revolutionär soll dagegen an den Stadtrand, Ecke Lenin- und Tschechow-Straße, umziehen.

Dagegn läuft die KPRF, die im Stadtparlament eine Mehrheit hat, Sturm und streitet sich heftig mit der Stadtverwaltung. Diese soll sogar schon überlegen, das Parlament aufzulösen, um die nervigen Kommunisten zum Schweigen zu bringen. Die Fronten sind im Moment festgefahren. Doch »der Kampf geht in jedem Fall weiter«, bekräftigt der Erste stellvertetende Vorsitzende des ZK der KPRF, Juri Afonin, die Haltung seiner Partei gegenüber der »Nesawissimaja gaseta«. Schließlich »kann man nicht einfach das Lenin-Denkmal klauen und es dann plattmachen«.

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