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Wolodymyr Selenskyj: Sinkende Strahlkraft
Wolodymyr Selenskyj kann bei seinen westlichen Partnern immer weniger überzeugen, meint Daniel Säwert
Auf bedrückende Weise hat das vergangene Wochenende deutlich gemacht, dass der Krieg in der Ukraine noch lange nicht vorbei ist. Mindestens 20 Menschen starben bei russischen Luftangriffen, darunter neun Kinder auf einem Spielplatz.
Für das Land sind die Angriffe und die Opfer eine Tragödie. Für Präsident Selenskyj sind vor allem die zurückhaltenden internationalen Reaktionen ein schlechtes Zeichen, weniger für sein Land als für seine Strahlkraft als Staatschef.
Selenskyj hat in den vergangenen drei Jahren vor allem auf Emotionen statt auf tiefgreifende und nachhaltige Diplomatie gesetzt und konnte damit insbesondere in Europa punkten. Damit scheint es vorbei zu sein. Anders als das Massaker von Butscha oder der Beschuss des Bahnhofes in Kramatorsk haben die getöteten Kinder von Krywyj Rih keine heftigen Reaktionen im Westen ausgelöst. Selbst Deutschlands scheidende Außenministerin Annalena Baerbock, vor Kurzem noch auf Abschiedsbesuch in Kiew und normalerweise um keinen Tweet verlegen, schwieg. Lediglich ein paar Botschafter verurteilten den Raketenangriff. Und wie im Fall der US-Botschafterin, nicht im Sinne Selenskyjs.
Selenskyjs Aufrufe an den Westen, ihm zu geben, was er braucht und zu tun, was er will, verhallen zunehmend ungehört. Zum einen, weil insbesondere die Europäische Union ihr Drohpotenzial gegen Moskau bereits fast ausgeschöpft hat. Zum anderen, weil die Partner immer müder werden von einer Regierung, die viel verspricht, aber besonders im Bereich Korruption oder Soziales so gut wie gar nichts leistet.
Es ist bemerkenswert, dass mit Polen ausgerechnet der quasi engste Verbündete als erster auf Distanz zu Kiew ging und statt großer Ankündigungen eine realistischere Politik wollte. Dass mit Donald Trump ein Mensch im Weißen Haus sitzt, der erklärt, ein schnelles Ende des Krieges zu wollen, um sich anderen Problemen zu widmen, schwächt Selenskyj nur noch mehr. Aber auch für andere Staaten ist die Ukraine nicht mehr ganz oben auf der Prioritätenliste. Man denkt weiter, größer und egoistischer.
Der knebelhaftige Rohstoffdeal und die Diskussion um Friedenstruppen zum Schutz der Ukraine verdecken den pragmatischen Hintergedanken, den die USA, Frankreich und Großbritannien verfolgen. Es geht um Neuverteilung von Land und Ressourcen der Ukraine zwischen den westlichen Einflusszentren.
Unter dem Deckmantel der Hilfe verfolgt jede Partei ausschließlich ihre eigenen Interessen. Nicht zufällig sollen Friedenstruppen weit entfernt der Front stationiert werden. In Odessa, das Frankreich als Schwarzmeer-Logistik-Hub sieht, und Lwiw, wo britisches Business Engagement und Interesse hegt. Sollten wirklich ausländische Soldaten in die Ukraine kommen, schützen sie die Interessen von Unternehmen und ausländischen Regierung, nicht aber das Leben der Einheimischen. Für die Ukrainer ist das kein gutes Signal. Auch nicht für Selenskyj, dem die Kontrolle über sein Land endgültig entgleiten könnte.
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