»Ich bin extrem besorgt, in Orbáns Hände zu geraten«

Der italo-albanische Antifaschist »Gino« wartet in Frankreich auf die Entscheidung zu seiner Auslieferung

  • Filippo Ortona aus »Il Manifesto«
  • Lesedauer: 4 Min.
»Ob Demos, Graffiti, Wandgemälde, Buchspenden, Petitionen, Spendenaktionen, Briefe oder Postkarten – ich fühle mich nie allein«, sagt »Gino« zu den Solidaritätsbekundungen.
»Ob Demos, Graffiti, Wandgemälde, Buchspenden, Petitionen, Spendenaktionen, Briefe oder Postkarten – ich fühle mich nie allein«, sagt »Gino« zu den Solidaritätsbekundungen.

Aus dem Gefängnis von Fresnes, wo er derzeit auf die Entscheidung der französischen Justiz über ein ungarisches Auslieferungsgesuch wartet, erklärte Abazaj gegenüber »Il Manifesto«, er sei »extrem besorgt«, in die Hände von »Orbán und seinen Schergen« zu fallen. Dennoch zeigt er sich zuversichtlich, was den Ausgang seines laufenden Rechtsstreits gegen die Auslieferung betrifft. Die nächste Anhörung vor dem Pariser Berufungsgericht ist dazu für den 12. Februar angesetzt.

Wie wurden Sie verhaftet und welche Polizeieinheit hat Sie verhört?

Ich wurde in einem Vorort der französischen Hauptstadt von sechs zivilen Polizisten festgenommen. Später erfuhr ich, dass mein Fall von der SDAT (die Anti-Terror-Abteilung der französischen Polizei, Anm. d. Red.) übernommen wurde. Laut Michel Faury, dem Direktor der SDAT, der von der französischen investigativen Internet-Zeitung Mediapart interviewt wurde, lag meine Festnahme in ihrem Zuständigkeitsbereich, da sie sich mit politischem Extremismus befassen. Während des Transports vom Polizeirevier ins Gefängnis wurde ich von einem SDAT-Agenten und einer Gruppe von Beamten der BRI (eine Eliteeinheit der französischen Polizei, Anm. d. Red.) begleitet.

Interview

Der Antifaschist »Gino« ist in Albanien geboren und hat in Italien und schließlich in Finnland gelebt. Von dort musste er nach Frankreich flüchten, wo er auf Antrag Ungarns festgenommen und in Auslieferungshaft gebracht wurde.

Unter welchen Bedingungen sind Sie inhaftiert?

Das Gefängnis von Fresnes gilt unter Anwälten und Gefangenen als eines der schlimmsten des Landes. Die Post kommt oft mit großer Verspätung an, und das nicht, weil sie erst übersetzt oder zensiert werden muss, sondern weil sie einfach auf den Schreibtischen liegen bleibt – sei es aus Inkompetenz oder als Strafmaßnahme. Ansonsten werde ich behandelt wie alle anderen Gefangenen, ich bin nicht in Isolationshaft und unterliege keinen besonderen Bedingungen.

Die französischen Richter haben Ihre Freilassung abgelehnt, weil Sie sich bereits in Finnland einer richterlichen Auflage entzogen hatten. Warum sind Sie von dort ausgereist?

Das französische Gericht verweigerte meine Freilassung aus mehreren Gründen. Zum einen hieß es, ich sei noch nicht lange genug in Frankreich ansässig, obwohl ich eine Meldeadresse und einen Arbeitsvertrag hier habe. Zum anderen, weil ich tatsächlich aus Finnland geflohen bin. Ich habe dort seit 2015 gelebt, studiert, gearbeitet und war verheiratet. Im Februar 2024 wurde ich vor meiner Wohnung verhaftet, dann aber unter der Auflage von Hausarrest mit elektronischer Fußfessel und Ausgangssperre freigelassen. Das Bezirksgericht von Helsinki genehmigte meine Auslieferung an Ungarn, und der Oberste Gerichtshof Finnlands weigerte sich, meine Berufung zu prüfen. Ich stand also vor einem Dilemma: entweder die elektronische Fessel durchtrennen und anderswo Zuflucht suchen – oder darauf warten, dass Orbáns Polizei an meine Tür klopft.

Il Manifesto

Der Text wurde »nd« zur Verfügung gestellt von der linken italienischen Tageszeitung »Il Manifesto«, mit der wir kooperieren.

Welche Beweise haben die ungarischen Behörden gegen Sie vorgelegt?

Die Beweise gegen mich und die anderen Mitangeklagten sind lächerlich. Es gibt keine Beweise, dass ich oder Ilaria Salis überhaupt Angriffe auf Nazi-Faschisten verübt haben. Gleichzeitig wurden zahlreiche rechtsextreme Aktivisten aus verschiedenen Ländern von der ungarischen Polizei festgenommen, weil sie in Budapest Gewalttaten gegen Personen begangen haben. Doch binnen 24 Stunden waren alle wieder frei. Während wir in ganz Europa gejagt werden, wurde gegen sie kein europäischer Haftbefehl erlassen.

Warum investiert Ungarn so viele Ressourcen, um Antifaschisten zu verfolgen?

Offensichtlich richtet sich diese »Jagd« gezielt gegen politische Gegner. In den ungarischen Medien und unter Politikern gelten wir nicht nur als schuldig, sondern vor allem als Terroristen. Dieses Label stigmatisiert uns nicht so sehr für Taten, die wir angeblich begangen hätten, sondern weil wir für eine Ideologie stehen, die das bestehende System gefährdet. Ungarns Politiker und ihre Handlanger sehen ideologische Opposition als existenzielle Gefahr für ihre Welt.

Macht Ihnen die Aussicht auf eine Auslieferung an Ungarn Angst?

So sehr ich mich auch tapfer geben möchte, ich bin extrem besorgt, in die Hände von Orbán und seinen Schergen zu geraten, in dreckige Zellen geworfen zu werden, möglicherweise für Monate oder Jahre – so, wie es Ilaria Salis in ihren Briefen beschreibt. Ich mache mir Sorgen, wenn ich von der Lage von Maja T. höre, die in Budapest in Isolationshaft sitzt, nachdem sie rechtswidrig aus Deutschland ausgeliefert wurde.

Es gab viele Solidaritätsbekundungen für Sie. Wie fühlt sich das an?

Ob Demos, Graffiti, Wandgemälde, Buchspenden, Petitionen, Spendenaktionen, Briefe oder Postkarten – ich fühle mich nie allein. All das gibt mir viel Kraft und Zuversicht, es hilft mir, daran zu glauben, dass wir diesen juristischen Kampf gewinnen werden.

Das Interview ist am 8. Februar 2025 in »Il Manifesto« (Italien) erschienen. Der Beitrag wurde übersetzt und bearbeitet von Matthias Monroy und Cyrus Salimi-Asl.
Originaltext auf Italienisch

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