Paragraf 218 wird wohl bleiben

Grünen-Politikerinnen fordern Abstimmung im Bundestag zu Entkriminalisierung von Abtreibungen

Aktive von Menschenrechtsorganisationen und Verbänden forderten am Montag vor dem Bundestag die Entkriminalisierung von Abtreibungen.
Aktive von Menschenrechtsorganisationen und Verbänden forderten am Montag vor dem Bundestag die Entkriminalisierung von Abtreibungen.

Die Ampel-Koalition hatte sich eigentlich zum Ziel gesetzt, Wege zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu finden. Doch es gab auch innerhalb des Regierungsbündnisses Widerstände. Unmittelbar nach dessen Auseinanderbrechen fanden sich im November 328 Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei zusammen und brachten einen Gruppenantrag ins Parlament ein. Darin fordern sie, Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche vollständig zu legalisieren.

Die Pflicht für ungewollt Schwangere, sich vor dem Eingriff beraten zu lassen, soll demnach bestehen bleiben. Laut dem Antrag soll Paragraf 218 des Strafgesetzbuches aber nur noch für bestimmte Fälle von Spätabtreibungen nach der 22. Schwangerschaftswoche Anwendung finden. Die Parlamentarier*innen orientierten sich bei der Formulierung eines von ihnen gleichfalls eingebrachten Gesetzentwurfs an den Empfehlungen einer 18-köpfigen Expertenkommission, zu der neben Mediziner*innen auch Jurist*innen und Sozialwissenschaftler*innen gehörten.

Die »Kommission zur Reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« war von der Ampel mit einem Gutachten beauftragt worden, in dem unter anderem die praktische Machbarkeit der Streichung von Paragraf 218 und einer Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs dargestellt werden sollte. Ihren Abschlussbericht legte sie bereits im April vergangenen Jahres vor.

Akteure der »Lebensschützer«-Bewegung warben offenbar im Bundestag massiv für eine Beibehaltung des bisherigen Paragrafen 218 – ohne sich ins Lobbyregister einzutragen.

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Theoretisch könnte der Gesetzentwurf der 328 Abgeordneten noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar beschlossen werden. Er ist weitaus moderater und damit eher zustimmungsfähig auch für konservative Politiker formuliert als jener, den ein breites Bündnis von Verbänden im Oktober vorgelegt hatte. Dennoch wollen CDU/CSU und FDP offenbar mit allen Mitteln eine Abstimmung verhindern.

In einem Eil-Appell an die Bundestagsabgeordneten dringen deshalb 50 Verbände auf eine Abstimmung noch in der laufenden Legislatur. Dazu übergaben Vertreter des Bündnisses am Montag vor dem Reichstagsgebäude zwei Petitionen mit mehr als 300 000 Unterzeichnern an Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), wie die Organisation Campact mitteilte. Die Verbände unterstützen in dem Appell den Antrag der 328 Abgeordneten. Vertreter*innen von Organisationen wie Doctors for Choice hielten zugleich eine Kundgebung unter dem Motto »Schwangerschaftsabbrüche gehören in Kliniken, nicht ins Strafgesetzbuch!« ab.

Für Montagabend war im Rechtsausschuss des Bundestags eine Expertenanhörung zu dem Gruppenantrag geplant. Auf Basis der Einschätzung der Fachleute wollte das Gremium anschließend entscheiden, ob es eine Sondersitzung des Bundestags veranlasst. Anders wäre eine Abstimmung vor der Wahl nicht mehr möglich, denn planmäßig kommt das Parlament an diesem Dienstag zum letzten Mal zusammen.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann appellierte an die Abgeordneten der Union, den Weg für eine Abstimmung doch noch frei zu machen. Das Portal T-online hatte aber unter Berufung auf den FDP-Politiker Thorsten Lieb, stellvertretender Vorsitzender im Rechtsausschuss, berichtet, dass die Liberalen eine Sondersitzung des Parlaments zum Zwecke der Abstimmung über den Antrag nicht mittragen würden. Sollte es doch noch dazu kommen, ist es gleichwohl fraglich, ob der Antrag eine Mehrheit bekäme. Es müssten neben den 328 Abgeordneten, die ihn unterzeichnet haben, noch 39 Stimmen dazukommen, damit er eine Mehrheit erhält.

Unterdessen ergab eine Recherche von Norddeutschem und Bayerischem Rundfunk, dass Abtreibungsgegner offenbar versucht haben, am Lobbyregister vorbei Einfluss auf Bundestagsabgeordnete zu nehmen. Auffällig dabei war demnach insbesondere das Agieren des Vereins Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA e. V.). Er hat in den vergangenen Monaten mehrfach Postkarten, Briefe und seine Zeitschrift »Lebensforum« an Parlamentarier verschickt. Darin wird die Erhaltung des Paragrafen 218 in seiner jetzigen Form verlangt, nach dem Schwangerschaftsabbrüche Straftaten bleiben, die nur nach Wahrnahme eines obligatorischen Beratungstermins nicht geahndet werden. Strafbar machen sich anderenfalls sowohl ungewollt Schwangere als auch Ärzt*innen, die den Eingriff vornehmen.

Aurel Eschmann von der Organisation LobbyControl erklärte dazu am Montag, im Lobbyregister seien kaum Akteure registriert, die angeben, gegen eine Abschaffung von Paragraf 218 zu lobbyieren. Dabei berichteten Bundestagsabgeordnete von »regelmäßigen Kontaktaufnahmen«. Dies sei »ein Indiz für eine systematische Umgehung der Registrierungspflicht«, so Eschmann.

Der Dachverband der Bewegung der Abtreibungsgegner, der Bundesverband Lebensrecht, stehe erst seit Kurzem im Lobbyregister, »und das erst, nachdem die Bundestagsverwaltung ein Verfahren eröffnet« habe. Die Nichtregistrierung könne dazu dienen, dass kontaktierte Abgeordnete nicht sofort erkennen, wen sie vor sich haben, meint Eschmann. Zum anderen könnten »Verbindungen und interpersonelle Überschneidungen verschleiert werden, sodass die Bewegung gesamtgesellschaftlich größer erscheint«. Auch mögliche Finanzierungen aus dem Ausland könnten so besser geheim gehalten werden.

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