Ukraine-Krieg: Sicherheit nicht garantiert

Trotz der »bitteren Lektion« nicht eingehaltener Sicherheitsversprechen fordert die Ukraine neue Bekenntnisse des Westens

Die ukrainische Post verewigte Selenskyjs Tirade gegen das Budapester Memorandum mit einer Briefmarke, die zwei Millionen Mal verkauft worden sein soll.
Die ukrainische Post verewigte Selenskyjs Tirade gegen das Budapester Memorandum mit einer Briefmarke, die zwei Millionen Mal verkauft worden sein soll.

Die ukrainische Führungsebene fühlt sich im Stich gelassen und giftet gegen ihre westlichen Unterstützer. Im Dezember sprach Außenminister Andrij Sybiha von einer »bitteren Lektion«, die sein Land aus dem Budapester Memorandum gelernt habe. Vor 30 Jahren hatte die Ukraine ihre von der Sowjetunion geerbten Atomwaffen im Tausch gegen Sicherheitsgarantien abgegeben. Diese schützten nicht vor Russlands Einmarsch. Dementsprechend tobte Präsident Wolodymyr Selenskyj im Januar in verschiedenen Interviews, forderte Atomwaffen für die Ukraine, bezeichnete das Memorandum als »Scheißdreck« und fabulierte, man müsse die Verantwortlichen von damals ins Gefängnis stecken. Ähnlich dürfte die ukrainische Führung über das Minsk-II-Abkommen denken, die dem Land 2015 keine reale Waffenruhe bescherten.

Keine Atomwaffen für Kiew

Gebracht haben die Attacken und Tiraden nichts. Kiew wird keine Atomwaffen bekommen. Und kurz vor dem dritten Jahrestag der russischen Invasion wird allen Beteiligten klar, dass man eine Lösung für ein Ende des Krieges braucht. Zumal US-Präsident Donald Trump den Waffenstillstand zumindest rhetorisch vorantreibt.

Am kommenden Wochenende könnte der US-Sondergesandte für die Ukraine und Russland, Keith Kellogg, auf der Münchner Sicherheitskonferenz Washingtons Plan für einen Waffenstillstand vorstellen, heißt es seit Tagen. In der bayerischen Landeshauptstadt soll es auch Gespräche zwischen Selenskyj und US-Vizepräsident J.D. Vance geben. Kellog wird für den 20. Februar in Kiew erwartet.

Manche Beobachter glauben bereits, dass es jetzt schnell gehen könnte und die Waffen in der Ukraine Ende April oder Anfang Mai schweigen werden. Allerdings ist nicht gesichert, dass die USA wirklich einen fertigen Plan haben. Vergangene Woche verneinte Selenskyj das Vorhandensein eines US-Plans. Am Wochenende schlug die Nachrichtenseite »Semafor« in die gleiche Kerbe. Kellogg wolle Trump in den kommenden Tagen mehrere Varianten präsentieren, hieß es.

Schmerzhafter Kompromiss für die Ukraine

Die Ukraine werde sich so oder so auf einen »schmerzhaften Kompromiss, der allen Ukrainern wehtut«, einstellen müssen, prophezeite Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko am Dienstag. Selenskyj hingegen scheint weiter an seinen Plan zu glauben und fordert trotz der schlechten Erfahrung neue Sicherheitsgarantien vom Westen. Sollte Kiew die erhalten und nicht »vom Westen fallengelassen werden«, sei man durchaus bereit, mit Russland zu verhandeln, sagte Selenskyj.

Wer diese Garantien geben soll, scheint nicht klar zu sein. Trumps Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz stellte am Wochenende klar, dass der US-Präsident sich ausschließlich um den Frieden kümmern werde, die Sicherheitsgarantien sollen hingegen von den Europäern kommen. Die dürften dadurch überrumpelt, zumindest aber damit überfordert sein. Europa kann eigentlich nichts bieten, was Kiew öffentlich fordert.

Eine Nato-Mitgliedschaft (auf die Kiew bereit wäre zu verzichten) ginge nur mit den USA. Und die gewünschten massiven Waffenlieferungen kann Europa nicht stemmen, wie die vergangenen drei Jahre gezeigt haben. Zumindest für dieses Problem präsentierte Trump eine Lösung. Europa solle die Waffen für die Ukraine in den USA kaufen, forderte er. In München soll zudem die Entsendung von europäischen Friedenstruppen besprochen werden, auch wenn unklar ist, wie solch ein Kontingent realisiert werden soll, meldet die »New York Times«.

Für Olexyj Melnyk, stellvertretender Direktor der Programme für Außenpolitik und internationale Sicherheit der ukrainischen Denkfabrik Rasumkow-Zentrum, gibt es mehrere Gründe, warum der Westen sich aktuell in Sachen Sicherheitsgarantien bedeckt hält. In einer Analyse für die Nachrichtenseite »New Voice« gibt er zu bedenken, dass sich die Umstände geändert haben. Waren die Garantien 2015 und vor allem 1994 eher theoretischer Natur, ist die Gefahr aktuell sehr real.

Die Ukraine müsse sich von dem Gedanken verabschieden, dass die Nato das Land beschützen werden, meint Melnyk. Selbst als Mitglied böte der Beistandsartikel 5 der Ukraine keine Gewähr, dass die anderen Staaten zu Hilfe eilen. Zu groß ist die Gefahr eines Atomkriegs. Besser seien eine Art schwedischer Neutralität (vor dem Nato-Beitritt) oder die Schaffung eigener Sicherheitsgarantien durch massive Aufrüstung, so Melnyk.

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