- Politik
- Thüringen
AfD blockiert Thüringer Justiz
Mit ihrer Sperrminorität im Erfurter Landtag verhindert die rechtsextreme Partei die Besetzung zweier wichtiger Gremien
Es ist nicht absehbar, wann in Thüringen der nächste Richter oder der nächste Staatsanwalt auf Lebenszeit ernannt wird – wegen einer Machtprobe zwischen der AfD und den anderen im Landtag in Erfurt vertretenen Fraktionen. Das dürfte allerdings nur ein Vorspiel für noch andere zukünftige Konflikte in diesem Parlament sein – und ist gleichzeitig ein Lehrbeispiel dafür, welche ganz konkreten Auswirkungen es haben kann, wenn eine als extremistisch eingestufte Fraktion eine parlamentarische Sperrminorität erreicht.
Genau die hat die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen bekommen. Trotz aller Warnungen vor der AfD und ihrer Programmatik und davor, dass die Partei ihre parlamentarische Macht wohl ziemlich sicher ausnutzen werde, hatten 32,8 Prozent der Thüringer Wähler am 1. September 2024 der AfD ihre Stimme geben. Macht 32 von 88 Landtagssitzen, womit die Partei mehr als ein Drittel der Mandate im Parlament stellt und damit alle Entscheidungen blockieren kann, die mit Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen werden müssen.
Und zu diesen Entscheidungen gehört auch: die Konstituierung eines Richterwahlausschusses sowie eines Staatsanwaltswahlausschusses. Jeweils zehn Abgeordnete des Landtages müssen in diese Ausschüsse gewählt werden, mit Zweidrittelmehrheit. Stimmt die AfD den Wahlvorschlägen von CDU, BSW, SPD und Linke nicht zu, sind beide Gremien nicht arbeitsfähig, und ohne diese können eben keine Richter und Staatsanwälte auf Lebenszeit ernannt werden. In Zeiten, in denen in der Thüringer Justiz ein Generationenwechsel in vollem Gange ist und junge Richter und Staatsanwälte dringend gebraucht werden, ein großes Problem.
»Es ist völlig inakzeptabel, dass die Sperrminorität instrumentalisiert wird und so die Justiz lahmgelegt wird.«
Tanja Keller, Neue Richtervereinigung
Dennoch verweigert die AfD den Nicht-AfD-Abgeordneten ihre Zustimmung, vor allem weil es unlängst aus den Reihen von CDU, BSW, SPD und Linke nicht genügend Stimmen gab, um den AfD-Abgeordneten Jörg Prophet zum Vizepräsidenten des Landtags zu machen. Zuletzt beklagte vor diesem Hintergrund die Neue Richtervereinigung das, was schon andere Juristenverbände und auch Landespolitiker im Freistaat beklagt hatten: »Die bewusste Verhinderung der Neuwahl der Mitglieder des Richter- sowie des Staatsanwaltswahlausschusses durch die AfD ist ein klarer Missbrauch der parlamentarischen Regeln und eine Gefährdung unserer demokratischen Ordnung«, so die Sprecherin des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung, Tanja Keller. »Es ist völlig inakzeptabel, dass die Sperrminorität instrumentalisiert wird und so in letzter Konsequenz die Justiz lahmgelegt wird.« An der AfD freilich wird auch diese Kritik abprallen.
Wie diese Machtprobe im Thüringer Landtag ausgehen wird, ist derzeit auch deshalb völlig offen. Umso mehr, weil es natürlich schon eine Provokation der AfD war, ausgerechnet Prophet für das Amt eines Landtags-Vizepräsidenten vorzuschlagen. Der Mann wollte in der Vergangenheit bereits Oberbürgermeister von Nordhausen werden. Im Wahlkampf waren dann Texte von ihm aufgetaucht, in denen er geschichtsrevisionistische Positionen vertritt, die denen des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke kaum nachstehen. Unter anderem das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos hatte sich deshalb unmissverständlich gegen diesen Personalvorschlag gestellt. Sollte Prophet tatsächlich gewählt werden, werde das Komitee nicht mehr an Gedenkveranstaltungen im Landtag teilnehmen, hatte dessen Präsident Naftali Fürst beispielsweise erklärt.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Eine noch größere Provokation aber ist, dass Höcke zuletzt den Preis für ein Entgegenkommen seiner Fraktion bei der Bildung des Richter- sowie des Staatsanwaltswahlausschusses noch weiter in die Höhe getrieben hatte. Eine Zustimmung zu den entsprechenden Kandidaten der anderen Fraktionen für diese Gremien werde es nur geben, wenn die AfD auch einen Platz in der Parlamentarischen Kontrollkommission über den Verfassungsschutz erhalte, hatte Höcke im Januar gesagt, kurz bevor Prophet bei der Wahl wieder durchgefallen und die Bildung der beiden Ausschüsse erneut gescheitert war. »Uns schwebt eine Paketlösung vor.«
Diesen Vorstoß hatten sogar CDU und BSW sofort abgelehnt, also die beiden Fraktionen, in deren Reihen Menschen sitzen, die sich – zumindest zwischenzeitlich – eine Wahl von Prophet hätten vorstellen können.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.