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Klimakrise – da war doch was!
Am Freitag organisiert Fridays for Future über 150 Klimastreiks in ganz Deutschland
97 Sekunden. So lange sprachen Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) beim Kanzlerduell am Sonntag über das Klima. Bei einem insgesamt 90-minütigen Schlagabtausch. Viel mehr braucht es nicht, um den Stellenwert zu beschreiben, den die Klimapolitik im Wahlkampf vor der Bundestagswahl einnimmt. Die Aktivist*innen der Umweltgruppe Fridays for Future (FFF) wollen das ändern. Für Freitag rufen sie deshalb erneut zum bundesweiten Klimastreik auf. In über 150 Städten sind Demonstrationen angemeldet.
Der Termin steht schon eine Weile fest. Kurz nachdem das Datum für die Neuwahlen bekannt wurde, entschlossen sich die Fridays, mit einem Streik noch einmal einen Impuls für den Wahlkampf zu setzen. Das war, bevor Friedrich Merz sein Versprechen brach und sich auf die AfD einließ, bevor die Brandmauer zu bröckeln begann – und auch vor den Demokratieprotesten, die daraufhin in zahlreichen Städten stattfanden. Und an vielen Orten war FFF in die Organisation dieser Versammlungen eingebunden. Weit über eine Million Menschen sind seitdem auf die Straße gegangen. Für die Klimaaktivist*innen ein Zeichen: der Wahlkampf ist kein gewöhnlicher – folglich kann der Klimastreik auch kein gewöhnlicher werden.
Während einer Pressekonferenz mit dem Verein Omas gegen Rechts und der Kampagnenorganisation Campact kündigte FFF eine Zusammenarbeit mit der entstandenen Demokratiebewegung an. »Es reicht nicht länger, nur für Klimaschutz einzustehen, sondern Klimaschutz heißt auch immer: Schutz der Demokratie«, sagt Aktivistin und Autorin Luisa Neubauer. Und Christoph Bautz aus dem Campact-Vorstand ergänzt: »Ohne eine demokratische Legitimierung wird die Mehrheit der Gesellschaft nicht die großen Veränderungen mittragen, die eine klimagerechte Transformation mit sich bringt. Und umgekehrt, ohne ein stabiles Weltklima können Demokratien sehr schnell weggefegt werden.«
»Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass das Thema Klimaschutz nicht das Thema der Rechten wird.«
Pauline Brünger Fridays for Future
Für Bautz ist die Zusammenarbeit der »nächste große Schritt«, der sowohl die Demokratie- als auch die Klimabewegung stärke, weil sich gerade viele Menschen politisierten. Auch Protestforscher Simon Teune sieht dieses Potenzial. Gegenüber »nd« sprach er von »neuen Synergien«, die durch eine Kooperation der beiden Bewegungen entstehen kann.
97 Sekunden von 90 Minuten, das sind weniger als zwei Prozent. Dass das einem großen Teil der Bevölkerung zu wenig ist, darauf deutet eine repräsentative Umfrage aus dem Herbst vergangenen Jahres hin. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Umwelt und Klimawandel wichtiger seien als Migration und Wirtschaft, berichtete kürzlich die »FAZ«. Noch gebe es »parteiübergreifend große Mehrheiten« für den Klimaschutz, sagt FFF-Aktivistin Pauline Brünger. »Wir wissen aber auch, dass solche Mehrheiten nicht gottgegeben sind und dass man sie verlieren kann, wenn man nicht dafür kämpft«, so Brünger.
Denn während Olaf Scholz oder Friedrich Merz bislang kaum ein Wort über den Klimawandel sprechen, vergehe kein Tag, »an dem Alice Weidel, Markus Söder oder Christian Lindner nicht darüber sprechen, dass man die Energiewende rückabwickeln sollte«, sagt die Aktivistin. »Deswegen ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass das Thema Klimaschutz nicht plötzlich das Thema der Rechten wird.«
Anlässe gäbe es zuhauf: Am Mittwoch veröffentlichte die Organisation Germanwatch neue Zahlen aus dem Climate Risk Index. Demzufolge hat es in den vergangenen 30 Jahren fast 800 000 Tote durch Wetterextreme gegeben, dabei seien Schäden in einer Höhe von über vier Billionen US-Dollar entstanden. Und das ist nur der Blick in die Vergangenheit: Über zukünftige Umweltveränderungen, wie den Anstieg des Meeresspiegels, treffen die Daten keine Aussage.
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Und vergangene Woche richtete sich der Expertenrat für Klimafragen mit seinem Zweijahresgutachten an die Bundesregierung: Deren Klimaschutzpolitik sei trotz Fortschritten weiter unzureichend, das deutsche Klimaziel für 2030 kaum zu schaffen. Und obendrein läuft die Klimapolitik in Deutschland weiterhin sozial ungerecht ab: Menschen mit wenig Geld – die noch dazu weniger klimaschädlich leben – sind unverhältnismäßig stark von den Kosten für Klimaschutzmaßnahmen betroffen.
Soziale Gerechtigkeit – das ist das Anliegen, über das Fridays for Future der Klimapolitik wieder zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen will. An die Parteien gerichtet sagt Brünger: »Wir erwarten, dass sie Klimaschutz machen, der so ambitioniert ist, dass er die schlimmsten Folgen der Klimakatastrophe verhindern kann; und so sozial, dass er für alle Menschen bezahlbar ist.«
Die politischen Entwicklungen und die Zusammenarbeit von Demokratie- und Klimabewegung veranlassten Luisa Neubauer dazu, den Termin am Freitag als »historischen Klimastreik« zu bezeichnen. Allerdings muss man nicht weit zurückblicken, um Ähnlichkeiten zu entdecken. Auch die Europawahlen im vergangenen Jahr fanden unter dem Eindruck großer Demokratieproteste statt – den größten Protesten in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch dabei spielte Fridays for Future eine herausragende Rolle, sagte sogar die Teilnahme an einem globalen Demonstrationstermin ab, um kurz vor den Europawahlen einen »Klimastreik für Demokratie« einzuberufen. Ein Auftrieb für die Klimabewegung infolgedessen blieb aus. Immerhin: Dieses Mal sind in deutlich mehr Städten Demonstrationen angekündigt, als noch 2024.
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