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Unis in Berlin: Experiment Gleichstellung
Berliner Unis verzeichnen Spitzenwerte bei Frauenförderung
Berlin auf Platz eins bundesweit – das sieht man selten. Doch in einem Bereich schafft die Hauptstadt den Spitzenplatz: Bei der Gleichstellung an Hochschulen lässt Berlin alle anderen Bundesländer hinter sich. 36 Prozent der Professuren an staatlichen und konfessionellen Hochschulen waren demnach 2022 mit Frauen besetzt. Bundesweit waren es im Schnitt nur 28 Prozent.
Bei den Neuberufungen ist man der Parität sogar noch näher: 48,2 Prozent der neu eingestellten Professorinnen und Professoren waren im Jahr 2023 Frauen. Dies geht aus Zahlen hervor, die die Senatsverwaltung für Wissenschaft anlässlich des Internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft am Mittwoch veröffentlichte.
Auch auf den Führungsebenen der Unis finden sich inzwischen vermehrt Frauen. »Knapp die Hälfte« der elf staatlichen Hochschulen hätten inzwischen eine Präsidentin, berichtet die Senatsverwaltung. In den Hochschulräten und -aufsichtsgremien betrage der Frauenanteil 45 Prozent.
»Wir stehen in Berlin insgesamt gut da«, kommentiert Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) die Bilanz. »Von dem Ziel der Parität sind wir aber noch ein gutes Stück entfernt.« Es müssten weiter Anstrengungen unternommen werden, um den Frauenanteil bei Professuren zu steigern. »Wir brauchen eine Wissenschaftskultur, die für alle Geschlechter attraktiv ist, denn wir können nicht auf den Beitrag von Mädchen und Frauen zur Zukunft unserer Gesellschaft verzichten«, so Czyborra.
Tatsächlich führt Berlin schon seit mehreren Jahren die bundesweiten Gleichstellungsstatistiken an. Um den Frauenanteil zu steigern, setzt die Landespolitik auf zwei Instrumente: Zum einen werden in den Hochschulverträgen, die die Finanzierung der Unis regeln, gleichstellungspolitische Vorgaben an zusätzliche Finanzmittel geknüpft – die Universitäten können also zusätzliche Gelder erhalten, wenn sie bestimmte Zielzahlen bei der Berufung von Frauen erreichen. Zum anderen können die Hochschulen über das sogenannte Berliner Chancengleichheitsprogramm parallel zum bundesweiten Professorinnenprogramm Gelder beantragen, um in Fächern, in denen Frauen besonders unterrepräsentiert sind, befristete Professuren für Frauen einzurichten. Aus dem Chancengleichheitsprogramm werden zudem das Karrierementoring und Beratungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf finanziert.
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Vor allem das Chancengleicheitsprogramm hält Susanne Plaumann, Sprecherin der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Berliner Hochschulen, für essenziell. »Dass wir solche Erfolge zu verzeichnen haben, ist ein Verdienst dieses Frauenförderprogramms«, sagt sie gegenüber »nd«. Frauen würden aber immer noch eher auf niedrige Besoldungsgruppen oder auf befristete Professuren berufen, zudem existierten Gehaltsunterschiede zwischen weiblichen und männlichen Professoren.
Die Universitäten stehen allerdings vor der Herausforderung, dass viele Lehrstühle bereits von dauerhaft verbeamteten männlichen Professoren besetzt sind. »In den nächsten Jahren erwarten wir einen Generationenumbruch bei den Professuren«, sagt Plaumann. Tatsächlich hatte zuletzt eine Studie vom Centrum für Hochschulentwicklung gezeigt, dass 45 Prozent der Professoren in Deutschland bis 2033 das Pensionsalter erreichen werden. »Das bietet Chancen, Professorinnen zu berufen«, so Plaumann. Das gehe aber nur, wenn es auch einen entsprechenden weiblichen Nachwuchs unter den Postdoktoranden gebe. Besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern sei das nicht immer der Fall.
Für Plaumann geht es aber nicht nur um Instrumente, die an den Karrierewegen ansetzen. »Das Patriarchat hat seine Spuren tief in das deutsche Wissenschaftssystem gegraben«, sagt sie. »Machtmissbrauch, sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt treffen Frauen auch im Hochschulkontext besonders stark.« Daher müssten Forschungsprogramme, die Geschlechtervielfalt berücksichtigen, tiefer in den Curricula verankert werden.
»Das Patriarchat hat seine Spuren tief in das deutsche Wissenschaftssystem gegraben.«
Susanne Plaumann Landeskonferenz der Frauenbeauftragten an Hochschulen
Laura Neugebauer, wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, ist mit den bisherigen Erfolgen noch nicht zufrieden. »Wir sind erst an einem guten Punkt, wenn wir 50/50 erreicht haben«, sagt sie. Sie stört, dass viele Gleichstellungsinstrumente erst auf der Ebene der Professuren greifen. »Wir kriegen dann aus vielen Fächern mit geringem Frauenanteil die Rückmeldung, dass es bei Berufungsverfahren nicht genügend Bewerberinnen gebe«, sagt Neugebauer. Notwendig sei daher, dass Frauenförderung schon bei Doktorandinnen und Postdocs ansetze. »Wenn wir nicht den Nachwuchs schaffen, werden wir nie die Professuren besetzen«, so Neugebauer.
Dabei gehe es auch um die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen. »Frauen leiden besonders unter prekären Arbeitsbedingungen«, sagt Neugebauer. Weil sie häufiger als ihre männlichen Kollegen die Erziehung von Kindern oder Pflege von Angehörigen übernehmen, könnten sie sich die in der Wissenschaft üblichen befristeten Arbeitsverhältnisse häufig nicht leisten – vor allem nicht in der Lebensphase um die 30, bei der für viele die Familienplanung beginne. »Das System begünstigt Männer«, so Neugebauer. Sie hätten eher die Möglichkeit, längere Arbeitszeiten zu übernehmen, weil sie in der Familie im Schnitt weniger Verantwortung übernehmen.
Aktuelle politische Entwicklung könnten diese Situation noch verschärfen. So hätten die Regierungsfraktionen das Inkrafttreten der Entfristungsregelung, die Postdoktoranden Dauerstellen garantieren sollte, erneut verschoben. »Gerade wird an vielen Stellen zurückgerudert«, sagt Neugebauer. Dazu kämen Kürzungen, die auch Gleichstellungsprogramme in der Wissenschaft bedrohen.
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