Long Covid nur noch ein psychosomatisches Todesrisiko?

Leo Fischer geißelt die Neoliberalisierung des Gesundheitswesens

Corona-Pandemie – Long Covid nur noch ein psychosomatisches Todesrisiko?

Esoteriker*innen aller Couleur können aufatmen: Corona ist die erste Krankheit, die nur durch Willenskraft besiegt wurde! Durch Autosuggestion ist es uns gelungen, eine Krankheit auszulöschen. Natürlich nicht medizinisch – die Krankheit wütet weiter, unter den Alten, Kranken, Immungeschwächten; mit jeder Infektion steigt die Chance, an Long Covid zu erkranken. Aber gesellschaftlich haben wir uns davon überzeugt, dass die Krankheit nicht mehr existiert. Der Krankenstand wird von der Politik als »Faulheitsproblem« behandelt; Krankmeldungen sollen sanktioniert werden, während das Gesundheitssystem in Trümmern liegt. Wird überhaupt über Covid gesprochen, dann über die »Aufarbeitung« der Lockdowns – als handele es sich um die Nazi-Zeit. Der Autor Paul Schuberth spricht schon von »Pandemierevisionismus«.

Leo Fischer
Leo FischerFoto ist privat, kein Honorar

Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft

Die Autosuggestion geht noch weiter: Wir haben uns selbst überzeugt, dass Krankheiten gar nicht mehr existieren, jedenfalls nicht im sozialmedizinischen Sinn. Niemand verkörpert das besser als der neue US-Gesundheitsminister Robert Kennedy Jr., ein Verschwörungsmythologe und Impfskeptiker, der glaubt, dass Jüd*innen nicht an Covid erkranken können. Die Trump-Musk-Regierung ist bereits aus der Weltgesundheitsorganisation ausgestiegen, hat mit USAID unter anderem weltweit HIV-Programme eingefroren und in ihrem Wissenschaftshass die Alzheimer-Forschung um Jahre zurückgeworfen. Unter Kennedy werden wohl auch Basisimpfungen auf eine letztlich tödliche »Freiwilligkeit« umgestellt; bereits jetzt breiten sich in ländlich geprägten Gegenden der USA ausgelöscht geglaubte Krankheiten wieder aus.

Krankheit wird neoliberalisiert: Jeder ist selbst verantwortlich, Gesundheit als kollektive Aufgabe ist ausgelöscht. Krankenversicherungen unterstützen das, indem sie Fitness-Apps fördern – Corona-Impfungen soll man aber selbst zahlen. Wer krank wird, hat einfach nicht genug Sport gemacht.

Diese Ideologie ist zutiefst behindertenfeindlich und letztlich eugenisch. Alles wird unter dem Primat der »Normalisierung« gesehen, ohne Rücksicht auf Menschen mit erhöhtem Risiko für schwere Verläufe. Die Abschaffung von Schutzmaßnahmen verbannt Hunderttausende in ihre Wohnungen. Der Vergleich mit Erkältungen vernachlässigt, dass eine Infektion nach wie vor lebensbedrohlich sein kann. Millionen weltweit leiden unter Long Covid, das oft mit schweren, dauerhaften Beeinträchtigungen einhergeht, aber als »psychosomatisch« abgetan wird. Gesellschaftliche oder politische Unterstützung für Betroffene gibt es kaum.

Eine »Aufarbeitung« braucht die Lockdown-Zeit insofern, als sich hier wohl der Hass der Oligarch*innenklasse auf kollektiven Gesundheitsschutz formiert hat. Viele von ihnen waren erstmals mit staatlichen Maßnahmen konfrontiert, mussten ihr Verhalten ändern, konnten sich nicht rauskaufen. Ihre Lehre daraus: Nie wieder soll das Gemeinwohl den Profit schmälern können. Nicht zuletzt wegen Covid zerschlagen sie jetzt alle Einrichtungen, die dem noch entgegenstehen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -