Berlin: Untermietverträge und Scheinanmeldungen

Ohne Meldebestätigung sei man aufgeschmissen, sagt die Sozialwissenschaftlerin Lena Enne im Interview zu Scheinanmeldungen

Allen, die mal eine Bleibe zur Untermiete gesucht haben, sei das Problem der eingeschränkten Anmeldeerlaubnis bekannt, sagt Enne.
Allen, die mal eine Bleibe zur Untermiete gesucht haben, sei das Problem der eingeschränkten Anmeldeerlaubnis bekannt, sagt Enne.

Auf Plattformen wie »wg-gesucht« findet sich bei Angeboten für Zimmer immer wieder der Zusatz »Anmeldung nicht möglich«. Was hat es damit auf sich?

Das sind eigentlich immer Wohnungen oder Zimmer zur Untermiete – der sogenannte zweite Wohnungsmarkt. Die einziehende Person kann sich dann nicht dort anmelden, was sie eigentlich dem Bundesmeldegesetz nach müsste. Der Hauptmieter kann das verhindern, indem er den Einzug nicht schriftlich bestätigt. Ohne diese schriftliche Bestätigung wird die Anmeldung beim Meldeamt oft nicht angenommen.

Und warum machen Leute das?

Die meisten Leute, die das machen, haben Angst vor Repressionen seitens der Vermieter. Sie haben Angst, dass die Untervermietung nicht erlaubt wird. Viele wissen nicht, dass ein pauschales Verbot von Untervermietung nicht rechtens ist. Und selbst die, die es wissen, scheuen Kosten und Ressourcen, um diesen Anspruch im Zweifel vor Gericht durchzusetzen. Das Problem ist: Wenn man eine Anmeldung erlaubt, kann der Eigentümer durch eine Melderegisterabfrage sehen, wer dort gemeldet ist. Und eine nicht genehmigte Untermiete kann ein Grund sein, einen Mietvertrag zu kündigen. Um das zu umgehen, werden dann Zimmer mitunter vermietet, ohne eine Anmeldung zu erlauben.

Interview


Lena Enne, studierte Geographie und Urban Design und ist Autorin der Studie »Anmeldung not possible. Das Schein­anmelden als Aspekt infor­meller Wohn­praxis in Berlin«. Aktuell promoviert sie an der Hafen­City-Universität in Hamburg.

Aber eine Anmeldung ist doch eigentlich Grundlage für sehr viele bürokratische Vorgänge.

Ich denke, es ist in Deutschland nicht wirklich möglich, ohne Meldebestätigung gesellschaftlich teilzuhaben. Man braucht sie für eine Kontoeröffnung, man braucht sie, um einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, man braucht sie für diverse Vorgänge. Ohne Meldebestätigung ist man aufgeschmissen. Irgendwo müssen die Leute also trotzdem angemeldet sein. Das sind dann sogenannte Scheinanmeldungen – wenn man sich anmeldet, wo man nicht tatsächlich wohnt. Oft passiert das bei Familie oder Freunden. Studierende bleiben oft einfach bei ihren Eltern gemeldet, wenn sie nach Berlin ziehen. Eine andere Form von Scheinanmeldung, die gar nicht so aktiv passiert, ist, dass man sich nicht abmeldet – was man auch nicht muss: Wenn ich jetzt zum Beispiel aus meiner WG ausziehe, in ein Zimmer ohne Anmeldung, dann werde ich nie vom Amt abgemeldet.

Und wie weit ist diese Praxis verbreitet?

Die ist extrem weit verbreitet. Ich selber habe auch eine Zeit lang in Berlin gewohnt, als ich noch studiert habe, und musste selber mal ohne Anmeldung wohnen. Und das, obwohl ich schon relativ privilegiert bin auf diesem Wohnungsmarkt. Und ich glaube, dass alle, die auf dem zweiten Wohnungsmarkt unterwegs sind, dieses Phänomen kennen. Unter den Betroffenen war das schon lange bekannt. In den letzten Jahren setzt sich die Initiative »Anmeldung für alle« stark ein, und zumindest in den Medien wird ab und zu darüber berichtet.

Und warum wird das so oft gemacht?

Das Grundproblem ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Zimmer müssen untervermietet werden, weil sich Leute sonst ihre Wohnung gar nicht mehr leisten könnten. Und sehr viele Leute sind auf so günstigen Wohnraum angewiesen. Die, die das machen, haben auf dem ersten Wohnungsmarkt keine Chance. Also sie haben entweder zu geringes oder zu unregelmäßiges Einkommen oder werden aus anderen Gründen diskriminiert. Wenn es genug bezahlbaren Wohnraum gäbe, würde das nicht passieren.

Wer ist denn am meisten von dieser Problematik betroffen?

Neben Menschen mit zu geringem oder unregelmäßigem Einkommen sind natürlich Leute, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, besonders betroffen. Die Auswirkungen sind auch noch mal krasser. Es geht um Existenzielles, also Aufenthaltsgenehmigungen, Visa usw., die an der Anmeldebestätigung hängen.

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Gibt es auch Angebote von Anmeldungen gegen Bezahlung?

Ja, die gibt es. Als ich meine Studie gemacht habe, im Sommer 2021, war es noch so, dass man »Anmeldung« bei Kleinanzeigen oder sonstigen Portalen eingegeben hat und eine Vielzahl an Kaufangeboten gefunden hat. Da wird ein Problem ausgenutzt, um Geld zu machen. Ich habe das vor einer Woche noch mal gecheckt, und inzwischen findet man die Angebote nicht mehr so einfach wie noch vor ein paar Jahren. Aber ich gehe davon aus, dass es sie immer noch gibt.

Gibt es in der Verwaltung ein Bewusstsein dafür, dass es in Berlin Scheinanmeldungen gibt?

Zum Zeitpunkt meiner Studie (wie gesagt 2021) gab es eigentlich kein Bewusstsein dafür. Ich habe auch ein – ich muss einschränkend sagen: schriftliches – Interview mit einer Mitarbeiterin von einem Meldeamt geführt, und die meinte: »Ja klar gibt es so was, aber das sind Einzelfälle.« Das seien Leute, die in kriminelle Machenschaften verstrickt seien. Das Thema wird auch sonst nicht wirklich bearbeitet, auch wissenschaftlich noch nicht.

Spätestens seit dem »Zensusschock« Mitte 2024, als festgestellt wurde, dass in Berlin knapp 130 000 Menschen weniger leben als ursprünglich gedacht, müsste das doch angekommen sein, oder?

Für mich war das kein Schock, als das rauskam. Dass das Melderegister nicht mit der Realität übereinstimmt, ist für alle Leute, die in Berlin eine Wohnung gesucht haben, nicht überraschend. Ich kann mir gut vorstellen, dass tatsächlich mehr Leute hier wohnen, als auf dem Papier steht, weil es in Berlin für viele einfach keine Möglichkeit mehr gibt, sich anzumelden. Das ist eben ein sehr allgegenwärtiges Phänomen. Ich glaube aber, langsam kommt das auf anderen Ebenen auch an.

Diese Praxis widerspricht der Wahrnehmung von Deutschland als Land, in dem alles seinen geregelten und bürokratischen Gang geht.

Ja, oder eben nicht. Das fand ich auch so spannend. Darum habe ich mich in meiner Studie mit dem Begriff der Informalität auseinandergesetzt. Ich würde sagen, es ist nicht eine bestimmte Gruppe, die informell handelt, sondern Informalität wird produziert von verschiedensten Akteuren und Akteurinnen. Das hat sehr gut auch auf Berlin gepasst. Es sind ja nicht einzelne Individuen, die sagen: »Jetzt mach ich das mal anders.« Informalität wird in diesem Kontext vom Zusammenwirken verschiedener Beteiligter geschaffen. Das ist die Wohnungswirtschaft, die Verwaltung, das ist das Bundesmeldegesetz, das sind Untervermieter.

Die Initiative »Anmeldung für alle« schlägt ja eine behördliche Stelle vor, bei der sich alle anmelden können. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Das ist auf jeden Fall eine gute Idee, und ich kann mir vorstellen, dass das eine Zwischenlösung sein könnte. So etwas Ähnliches gibt es ja auch schon für Wohnungslose. Eine solche Änderung würde aber dem Sinn des aktuellen Meldegesetzes widersprechen. Denn einerseits will die Verwaltung genau wissen, wer wo wohnt. Andererseits haben Vermieter und Eigentümer auch ein Interesse an dem Meldegesetz, wie es gerade ist. So eine Stelle würde ihnen ein Instrument der Kontrolle darüber nehmen, wer in welcher Wohnung wohnt.

Gibt es andere Wege, die Meldepflicht zu umschiffen?

Die Wurzel des Problems ist wie gesagt die akute Wohnungskrise in Berlin. Ohne die würden diese Praktiken nicht so ausgeführt werden. Und was die Wurzel dieses Problems ist, kann man natürlich auch immer weiterdenken. Aber eine ganz konkrete Stellschraube, an der man drehen könnte, wäre, das Meldegesetz vom Auskunftsrecht für Vermieter zu entkoppeln. Wenn Vermieter dieses Kontrollinstrument nicht mehr hätten, würden mehr Hauptmieter Untermietern die Anmeldung erlauben, da sie nicht mehr Angst vor Repressionen haben müssen. Ich halte es aber für nicht sehr wahrscheinlich, dass das passiert – da wären die Widerstände von den Vermietern wahrscheinlich zu groß.

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