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Trumps Welt: Das neue 1984
Wolfgang Hübner über die Rede des US-Vizepräsidenten Vance in München
Wer wissen möchte, was eine Dystopie ist, der sollte in diesen Tagen und Wochen die Augen offen halten. Nicht nur in Deutschland, auch international vollziehen sich Entwicklungen, die nichts Gutes erwarten lassen. Bei der Bundestagswahl droht mit einer auf rechts gedrehten CDU als Wahlsieger und einer deutlich erstarkten AfD ein klarer Rechtsruck. Wohin so etwas in der Konsequenz führen kann, lässt sich in den USA beobachten, wo Präsident Trump und sein Team alle Regeln über den Haufen werfen, neue erfinden und das Weiße Haus in einen Autokratenpalast verwandeln.
Wurden Trumps populistische Eskapaden in seiner ersten Amtszeit zuweilen noch wie eine politische Clownerie betrachtet, so ist nun klar, dass er einen Angriff auf die Grundlagen der Verfassungsordnung startet, auf Gewaltenteilung und Rechtsstaat. Er installiert den Machtapparat eines finanziell-technologischen Komplexes, verkörpert durch Elon Musk, den reichsten Mann der Welt, der neben dem Präsidentenschreibtisch politische Vorträge hält. Die Wirtschaft hat die Politik übernommen und organisiert sich einen entfesselten Kapitalismus, der auf nichts mehr Rücksicht nehmen muss.
Nun hat dieses Komplott gegen die Demokratie seinen Vertreter nach München geschickt. US-Vizepräsident J. D. Vance scherte sich nicht um diplomatische Gepflogenheiten, sondern sagte den Europäern bei der Münchner Sicherheitskonferenz ins Gesicht, was man im Hause Trump von ihnen hält: nichts. Die Demokratie in Europa ist ganz gewiss verbesserungs- und kritikwürdig; für Trump & Co. ist sie indessen ein maximales Ärgernis. Sie wollen viel weniger Migration, sie wollen jeder Art von Fake News und Verschwörungsdenken die Türe weit öffnen und bezeichnen alles andere als Zensur. Und sie wollen ihren maximalen wirtschaftlichen Vorteil auf Kosten aller anderen.
»Es ist ein neuer Sherriff in der Stadt« – dieser auf Trump gemünzte Satz von Vance sagt alles über das Selbstverständnis. Der Weltpolizist ist wieder da, und diesmal hat er die Gedankenpolizei gleich mit dabei. Denn das ist ja das Absurde: Zwar tun Trump und Musk wie auch Weidel und Höcke so, als plädierten sie für unbegrenzte Meinungsfreiheit, tatsächlich jedoch streben sie selbst eine Meinungsdiktatur an, grenzen unliebsame Menschen aus, greifen sie an. In den USA nimmt das schon sehr konkrete regierungsamtliche Formen an, in hoher Geschwindigkeit.
Da passt es ins Bild, dass Elon Musk offen Werbung für die AfD macht. Gleiches tat nun J. D. Vance, der sich über die Brandmauer-Debatte mokierte und sich mit Alice Weidel traf. Wie es dabei ins Bild passt, dass der BSW-Abgeordnete Andrej Hunko begrüßt, dass die neue US-Regierung »den Finger in die Wunde des prekären Zustands europäischer Demokratie« legt, das müsste das BSW erklären. Ausgerechnet eine Regierung, die aus ultrarechten Superreichen besteht und deren Chef vor vier Jahren seine Anhänger aufrief, das Parlament zu stürmen, weil ihm das Wahlergebnis nicht passte. Jetzt allerdings kann Trump den Staat von innen aushöhlen, wie er will. Und gleiches empfiehlt er offensichtlich den Deutschen und der AfD.
Immerhin provozierte der Vizepräsident entschiedenen Widerspruch von Bundespräsident Steinmeier, Bundeskanzler Scholz, Verteidigungsminister Pistorius, ja sogar Kritik von CDU-Chef Friedrich Merz. Man wird sehen, was solche Bekenntnisse nach der Bundestagswahl wert sind. Ob die Rede von Vance, die nur ein Vorgeschmack auf die Welt(un)ordnungsfantasien von Trump und Musk ist, die deutsche Politik und die Europäer insgesamt wachrüttelt: sich entschieden von rechten Demagogen abzugrenzen und eine Politik zu machen, die ihnen das Wasser abgräbt. Und sich auch der übergriffigen Attitüde der Trump-Administration entgegenzustellen.
Tut die Politik das nicht, gehen wir düsteren Zeiten entgegen. Man sollte vielleicht den Roman »1984« des Sozialisten George Orwell wieder einmal lesen.
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