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Öffentlicher Dienst: Wenig Personal, viele Aufgaben
Am Montag gehen die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst in die zweite Runde
Überschattet vom Anschlag auf eine Streikdemonstration der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vergangene Woche, gehen die Tarifverhandlung für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen am Montag in die nächste Etappe. Am Donnerstag war ein Mann aus Afghanistan mit gültigem Aufenthaltstitel mit einem Kleinwagen in eine Demonstration in München gefahren. Er verletzte dabei 39 Menschen, eine Mutter und ihr zwei Jahre altes Kind erlagen am Samstag ihren Verletzungen.
Mit einer gemeinsamen Aktion wollen Gewerkschaften und Arbeitgeber vor den Tarifgesprächen Anteilnahme und Solidarität mit den Opfern zum Ausdruck bringen. Danach sollen die Verhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten beginnen. In der ersten Runde hatten die Arbeitgeber noch keine Offerte gemacht. Nun erwartet die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ein konkretes Angebot. »Die Kolleg*innen müssen mit immer weniger Personal immer mehr Aufgaben bewältigen«, drängt der Gewerkschaftsvorsitzende Frank Werneke auf Entlastung und Lohnerhöhungen für die Beschäftigten.
»Die Kolleg*innen müssen mit immer weniger Personal immer mehr Aufgaben bewältigen.«
Frank Werneke Dienstleistungsgewerkschaft Verdi
Konkret geht es um ein Plus von acht Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr im Monat. Daneben soll es Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten geben sowie drei zusätzliche Urlaubstage und einen freien Tag für Gewerkschaftsmitglieder. Auszubildende sollen monatlich 200 Euro mehr erhalten.
Die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), die gemeinsam mit Vertreter*innen des Bundesinnenministeriums für die Arbeitgeberseite verhandelt, weist die Gewerkschaftsforderungen als unverantwortlich zurück. »Das würde die Kommunen überfordern«, kritisiert Niklars Benrath, Hauptgeschäftsführer der VKA.
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Viele sind schon jetzt am Limit, weiß auch Julia George. Sie arbeitete in der Wirtschaftlichen Jugendhilfe der Stadt Leipzig, bis sie sich vor einem Jahr wegen der überbordenden Arbeitslast auf eine andere Stelle bewarb. Sie prüfte unter anderem Anträge auf Kostenerstattung für Kinder und Jugendliche, die in Heimen untergebracht sind. Wenn es da hakt, geraten viele Hilfsangebote und Einrichtungen in finanzielle Schwierigkeiten. »Die Kolleginnen und Kollegen geben sich größte Mühe, den Laden am Laufen zu halten«, sagt sie. »Aber man kann das nur bis zu einem gewissen Punkt schaffen. Teilweise sitzen sie zwischen ihren Aktenstapeln und wissen nicht, wohin damit.«
Wie in Leipzig ist der Personalmangel im öffentlichen Dienst bundesweit akut. Verdi spricht von derzeit 500 000 unbesetzten Stellen. Laut Berechnungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes fehlen bis 2030 rund 230 000 Beschäftigte. Weil die Kommunen immer mehr Aufgaben vom Bund übertragen bekommen, ohne dass der für einen nachhaltigen Finanzausgleich sorgt, sei »die Grenze des Leistbaren vielerorts erreicht«, warnt der Zusammenschluss.
Um für Entlastung zu sorgen, fordert Verdi neben Lohnerhöhungen und mehr Urlaubstagen auch bessere Möglichkeiten, Überstunden abzubauen. Etwa über das sogenannte Meine-Zeit-Konto, auf dem die Mehrarbeit gutgeschrieben und später ausgezahlt werden soll. Beschäftigte könnten die Stunden dann gegen eine kürzere Wochenarbeitszeit oder eine Freistellung für die Kinderbetreuung beziehungsweise Pflege eintauschen.
»Vielleicht bringt es etwas«, mutmaßt Chantal Weiße, »aber es ändert nichts an den strukturellen Problemen.« Die ausgebildete Erzieherin arbeitet für einen städtischen Träger und betreut in einer Wohngruppe im Leipziger Viertel Grünau Kinder mit Behinderungen. Zu ihren Aufgaben gehört: morgens die Kinder zu wecken und für die Schule vorzubereiten, danach Ferienplanung, Gespräche mit Schulen, dem Sozialamt, Vormündern und dem allgemeinen sozialen Dienst. Wenn die 27-Jährige über ihre Arbeit spricht, ahnt man, wie viel Verantwortung auf ihren Schultern lastet. »Ich komme immer etwas früher zur Arbeit, damit ich mehr Zeit für die Kinder habe«, erzählt sie. »Ab Minute eins brauchen sie die volle Aufmerksamkeit.«
Zwar hat das Arbeitspensum bei ihr im Betrieb zuletzt etwas abgenommen, weil Auszubildende im Personalschlüssel nicht mehr mitgerechnet werden und mehr Fachpersonal eingestellt wurde. Dennoch seien die Dienste häufig unterbesetzt – insbesondere in der Ferienzeit. »Seit September musste ich immer alleine arbeiten.« Damit sei nicht nur sie an ihre Grenzen gestoßen. Von den fünf Fachkräften, die seit Juni eingestellt wurden, sei nur noch eine da. »Für die Kinder und Jugendlichen sind die häufigen Beziehungswechsel nicht gut«, sagt Weiße.
Dass für die geforderte Lohnerhöhung und Entlastung kein Geld da ist, wie die Arbeitgeberseite vorbringt, glaubt sie nicht. »Aber im Moment wird es ungerecht verteilt«, ist sie überzeugt. Dass sich daran bald etwas ändert, zeichnet sich nicht ab. Auch mit einer Einigung in der zweiten Verhandlungsrunde ist nicht zu rechnen. Der nächste Termin ist für den 14. März angesetzt.
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