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Messerverbotszonen: Scharfe Kontrollen, stumpfe Argumente
Ab sofort gibt es drei Messerverbotszonen in Berlin – Kritik an Sinnhaftigkeit und Praxis kommt von vielen Seiten
Wer sich fortan »auffällig« verhält, »gefährlich« wirkt oder den Polizist*innen vielleicht schon kennen, der könnte noch häufiger kontrolliert werden als bisher. Zumindest gilt das seit Samstag für diejenigen, die sich in einer der drei Berliner Waffenverbotszonen aufhalten und in das Schema von Polizeisprecher Florian Nath passen. Selbstverständlich gingen die Beamt*innen laut Nath »mit Augenmaß« vor, so wie auch Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel den Einsatz der Polizei in den Zonen beschreibt.
Nath stand am Samstag auf dem Leopoldplatz in Wedding, als er über das Augenmaß der Berliner Polizei sprach. Den Rentnern, die bei Minusgraden auf dem Flohmarkt ihre Brotmesser verkauften, nahm er keine Klinge weg. Grundsätzlich ist es aber rund um den Leopoldplatz in Wedding genauso wie rund um das Kottbusser Tor sowie den Görlitzer Park in Kreuzberg fortan eine Ordnungswidrigkeit, irgendeine Art von Messer oder eine Waffe im Sinne des Waffengesetzes mit sich zu führen. Ganz egal, wie kurz die Klinge auch sein mag.
Bei Zuwiderhandlung droht ein Bußgeld von bis zu 10 000 Euro. Wird damit das Grillmesser im Görli und das Obstmesser auf dem Spielplatz verboten? Die geltende Rechtsprechung vom 17. Dezember 2024 zum Messerverbot listet 19 Ausnahmefälle auf – und bleibt dabei kryptisch. So gilt eine Ausnahme für Personen, die ein Messer »nicht zugriffsbereit« von einem Ort zum anderen befördern, genauso für diejenigen, die Messer »im Zusammenhang mit einem allgemein anerkannten Zweck« führen.
Weniger kryptisch sind die Grenzen der Zonen, über die die Polizei im Gegensatz zu den Grenzen von kriminalitätsbelasteten Orten (kbO) öffentlich informiert: Sie umschließen Gehwege, Straßen und Parks genauso wie Verkehrsmittel und Einrichtungen des öffentlichen Nahverkehrs. Die drei Messerverbotszonen sind deckungsgleich mit einem Teil der fünf kbOs. Laut Nath sei die Messergewalt dort unverhältnismäßig höher als in anderen Bereichen der Stadt.
Die Zahl der registrierten Fälle von Messerkriminalität ist in Berlin von 2021 auf 2022 tatsächlich stark gestiegen, nämlich um fast 20 Prozent. Von 2022 auf 2023 stieg sie um 5 Prozent (insgesamt 3482 Messerangriffe). Allerdings wird Messerkriminalität erst seit 2021 in der Statistik der Polizei gesondert gezählt. Außerdem bedeutet sie nicht gleich Stichverletzung, auch die Drohung mit einem Messer gegenüber einer anderen Person fällt in die Statistik.
Trotz dünner Faktenlage gibt es nun schärfere Kontrollen. Berlin reiht sich damit in die Liste von neun weiteren Bundesländern ein, in denen es Messerverbotszonen gibt. Den Anfang machte 2007 die Reeperbahn in Hamburg. Trotz langer Liste gibt es keine Belege für die Effektivität solcher Zonen. Straftaten mit Waffen haben kriminologischen Auswertungen zufolge der Verbote nicht abgenommen.
Rechtlich nutzte der Berliner Senat die bundesweite Verschärfung des Waffenrechts aus dem Sommer 2024, um am 17. Dezember 2024 drei Waffenverbotszonen einzurichten sowie die Polizei mit verdachtsunabhängigen Kontrollen zu beauftragen. Außerdem richtete die Senatsverwaltung für Inneres im Januar eine »Koordinierungsstelle Messer« im Landeskriminalamt ein. Die Datenbanken der Polizei sollen außerdem um den Personenhinweis »Messer« erweitert werden.
Seit der Debatte um die Einführung der Zonen stehen diese nicht nur wegen ihrer fragwürdigen Sinnhaftigkeit in der Kritik. Dabei gibt es unerwartet viel Einigkeit zwischen Stimmen aus Politik und Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht von einem »Placebo ohne jeglichen Realitätsbezug«. Kein Terrorist und auch kein Schwerstkrimineller lasse sich von Verbotsschildern abhalten, sagt GdP-Landeschef Stephan Weh. Außerdem seien die Verbotszonen sehr personalintensiv. Die GdP fordert ein generelles Trageverbot von Messern in der gesamten Öffentlichkeit.
»Anlasslose Kontrollen und Repressionen zur Durchsetzung des Verbots werden vor allem People of Color, Drogenkonsument*innen sowie arme und wohnungslose Menschen betreffen.«
Gruppe »Ihr seid keine Sicherheit«
Bei den drei Verbotszonen will es hingegen der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Martin Matz belassen. Damit die Zonen nicht zu »Witzzonen« würden, sei ein regelmäßiger Kontrolldruck durch die Polizei erforderlich, meint er.
Ob nun drei Verbotszonen oder in ganz Berlin: Wer in den Augen der Polizei »auffällig« ist oder »gefährlich« wirkt, passt häufig in ein migrantisches Profil. Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, kritisiert die Zonen im Gespräch mit dem »nd« als ein »Einfallstor« für Racial Profiling. Er spricht außerdem von »Symbolpolitik«. Laut der Gruppe »Ihr seid keine Sicherheit« (ISKS) reihe sich jene Symbolpolitik in »den rassistischen Diskurs um Messergewalt« ein. ISKS befürchtet, dass anlasslose Kontrollen und Repressalien zur Durchsetzung des Verbots »vor allem Schwarze Menschen, People of Color, Drogenkonsument*innen sowie arme und/oder wohnungslose Menschen betreffen«.
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