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Sächsische Polizei sucht zentnerweise Munition
In Sachsen werden 189 000 Patronen vermisst – Ministerium will bis März mit Inventur Klarheit schaffen
Bei der sächsischen Polizei wird Munition in enormem Umfang vermisst. Innenminister Armin Schuster (CDU) räumte auf Anfrage des Linksabgeordneten Rico Gebhardt einen »Fehlbestand« von 188 691 Patronen ein und bestätigte damit einen Bericht des Magazins »Focus« von Mitte Dezember. Dieser hatte allein das Gewicht der verloren gegangenen Patronen auf über zwei Tonnen beziffert. Das Ministerium gestand jetzt zudem, auch »eine größere Anzahl an Waffen und einige Schlagstöcke« seien verschwunden. Gebhardt erklärte, wenn der Verbleib nicht vollständig geklärt werden könne, »reden wir von einer sicherheitspolitischen Katastrophe«.
Noch besteht im Ministerium offenbar die Hoffnung, dass es sich »nur« um Schlamperei in erheblichem Ausmaß handelt. In Schusters Antwort ist von einem »vermeintlichen« Fehlbestand in der Polizeihochschule die Rede, der bei einer internen Inventur aufgefallen sei. Eine entsprechende Mitteilung erhielt das Ministerium bereits im September. Bei einer anschließenden Kontrolle, die von einer Arbeitsgruppe unter Aufsicht einer im Oktober eingesetzten »Zentralstelle Waffen und Gerät« beim Polizeiverwaltungsamt durchgeführt wurde, hätten die Lücken »bereits erheblich reduziert« werden können, erklärte das Ministerium. Ein Sprecher sagte der Chemnitzer »Freien Presse«, das Defizit betrage nun noch »deutlich unter 100 000« Patronen.
Auch das wäre immer noch ein Vielfaches der Menge an Munition, wegen deren Zweckentfremdung sich derzeit drei ehemalige Mitglieder eines Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der sächsischen Polizei am Landgericht Dresden verantworten müssen. In dem Prozess, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt und in dem den LKA-Beamten Bestechlichkeit und Diebstahl von Munition vorgeworfen wird, geht es um 7000 Schuss aus Beständen der sächsischen Polizei. Mit diesen soll ein Training auf einem privaten Schießplatz in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) bezahlt worden sein, an dem die Beschuldigten im Herbst 2018 ohne Erlaubnis teilgenommen hatten und bei dem weitere 7200 Patronen verschossen wurden. Der Betreiber des Platzes war Teil des rechtsextremen »Nordkreuz«-Netzwerks. Bei dessen Mitgliedern waren in der Vergangenheit große Mengen an Munition und Waffen aus Beständen der Bundeswehr und von verschiedenen Polizeibehörden gefunden worden.
»Wenn der Verbleib nicht vollständig geklärt werden kann, reden wir von einer sicherheitspolitischen Katastrophe.«
Rico Gebhardt Abgeordneter Die Linke
In der sächsischen Polizei hatte die Munitionsaffäre erhebliche Konsequenzen. Zunächst wurden beteiligte Beamte teils vom Dienst suspendiert, teils versetzt. Das betroffene Mobile Einsatzkommando Dresden wurde im Frühjahr 2021 aufgelöst. Zudem entließ der damalige Innenminister Roland Wöller (CDU) den Chef des Landeskriminalamts Petric Kleine und den für die Spezialkräfte zuständigen Abteilungsleiter. Im April 2022 musste Wöller dann selbst seinen Hut nehmen. Gründe waren umstrittene Personalentscheidungen und diverse Skandale bei der Polizei, darunter die Munitionsaffäre. Nachfolger wurde Schuster, der zuvor das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geleitet hatte.
Nun ist auch Schuster mit einer Munitionsaffäre konfrontiert. Bislang hofft das Ministerium allerdings, dass die Patronen nur auf dem Papier fehlen. In der Antwort auf Gebhardts Frage benennt es »gravierende Fehler bzw. Mängel in der Nachweisführung« und verweist auch auf Umstrukturierungen im Bereich der Polizeifachschulen als mögliche »weitere Fehlerursache«. Aufklärung soll eine »Tiefenprüfung Waffen und Munition« in allen Dienststellen der sächsischen Polizei liefern, die derzeit läuft und die bis Ende März abgeschlossen sein soll. Gebhard spricht von der »vagen Hoffnung«, dass es sich nur um ein Buchungsproblem handle. Weil auch dieses »erst nach mehreren Jahren« aufgefallen sei, handle es sich »auf jeden Fall um mehr als eine kleine Panne«.
Nach Ansicht Gebhardts hätte die Lücke zumindest eher auffallen müssen. Er weist darauf hin, dass es bereits im April 2024 eine landesweite Waffenrevision gegeben habe. Sie wurde angeordnet, nachdem im August 2023 in einem Revier in Riesa eine Maschinenpistole samt Munition vermisst wurde, die später in einem Dienstfahrzeug auftauchte. Die Großinventur ergab, dass neben zwei Sportkarabinern zwei ausgemusterte Pistolen fehlten. Eine davon ist laut Ministerium mittlerweile gefunden worden. Gegen einen namentlich bekannten Verdächtigen werde ermittelt.
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