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Baupolitik: Sanieren anstatt abreißen
Die Initiative Klimaneustart will um Mieter zu schützen und aus klimapolitischen Gründen eine Bauwende in Berlin
Die Bagger rollen, die Kräne drehen sich. Aber in Berlin wird nicht nur Neues gebaut, sondern auch Bestand abgerissen. Prominente Fälle, wie der Jahnsportpark in Prenzlauer Berg oder der Verwaltungsbau an der Urania 4–10 in Schöneberg sorgen in der Stadtgesellschaft für Unmut. Vor allem Klimaschützer*innen mahnen an, dass man, anstatt alte Gebäude abzureißen und neue zu bauen, besser im Bestand sanieren sollte. Um ein Umdenken zu erreichen, hat die Volksinitiative »Bauwende für Berlin – ökologisch und sozial« 35 000 Unterschriften gesammelt. Am Montag stellte sie ihre Forderungen den Ausschüssen für Stadtentwicklung, Umwelt und Soziales in einer gemeinsamen Sitzung vor.
Den Initiator*innen geht es dabei nicht allein um Klimapolitik. »Die Antwort der Wohnungskrise liegt zuerst im Bestand und erst dann beim Neubau«, ist sich Gerrit Naber von der Initiative Klimaneustart sicher. Denn Berlin wachse, aber es fehle an bezahlbarem Wohnraum. Und Neubau kann diesen Bedarf nicht decken – denn dieser führe meist zu teurem Wohnraum. »Es wird oft am Bedarf vorbei gebaut«, sagt Naber. Deswegen soll mit dem Volksentscheid ein Prioritätenwechsel erreicht werden. Weg vom Abriss hin zur Ertüchtigung des Bestandes, etwa der Schaffung von Wohnraum durch Umwandlung von Büroflächen – von denen in Berlin sowieso 1,5 Millionen Quadratmeter leerstehen.
Um diesem Ziel näherzukommen, hat die Initiative eine Reihe von Forderungen an die Landespolitik. Über ein Bestandsregister sollen leerstehende und nutzbare Gebäude digital erfasst werden, dauerhafter Leerstand konsequent sanktioniert werden. Vor einer Abrissgenehmigung soll eine verpflichtende Prüfung der Nutzungspotenziale von Gebäuden stattfinden. Leerstehende öffentliche Gebäude sollen genutzt werden, anstatt neu zu bauen und Flächen zu versiegeln. Darüber hinaus will die Initiative, dass ein CO2-Budget für Neubau- und Sanierungsprojekte aufgestellt wird: Also dass der Ausstoß an dem klimaschädlichen Gas insgesamt eine bestimmte Schwelle nicht überschreiten darf.
Komplett auf Neubau verzichten, soll Berlin auch nach dem Willen von Klimaneustart nicht. Aber, wie es Elisabeth Broermann, Gastprofessorin an der TU Berlin und aktiv bei den »Architects for Future«, sagt: Es braucht eine umfassende Bauwende. »Die Zementindustrie alleine stößt mehr als doppelt so viel CO2 aus wie der gesamte Flugverkehr«, sagt die Professorin. 40 Prozent der Klimaemissionen kommen aus der Bauwirtschaft. Deswegen fielen auch die Ersparnisse nicht ins Gewicht, die Neubauten durch eine bessere Energieeffizienz im Betrieb haben. Eine Sanierung sei gegenüber einem Abriss und Neubau ökologisch und sozial fast ausnahmslos zu befürworten, so Broermann.
»Die Antwort der Wohnungskise liegt zuerst im Bestand und erst dann beim Neubau«
Gerrit Naber
Initiative Klimaneustart
Die Folgen davon, dass trotz ökologischer und sozialer Bedenken noch immer Wohnraum abgerissen wird, kommen beim Berliner Mieterverein (BMV) auf den Tisch. Man sehe immer mehr Abrisskündigungen, berichtet BMV-Geschäftsführer Sebastian Bartels. In Gerichtsverfahren werde dabei stets wieder festgestellt, dass die Eigentümer*innen das Haus entweder in schlechtem Zustand gekauft oder selber zum Verfall beigetragen hätten. Bartels spricht sich deswegen stark für ein digitales Wohnungskataster aus sowie die konsequente Sanktionierung von mutwilligem Leerstand.
Bausenator Christian Gaebler (SPD) bedankt sich, wie alle weiteren Redner*innen auch für das Engagement der Initiative. Für seinen Senat findet er lobende Worte: Vieles von dem, was vorgeschlagen worden sei, sei schon in Ansätzen vorhanden. Aber bei Abrissverboten sei man an der Grenze dessen, was rechtlich möglich ist. Und für die Erstellung eines Katasters würden noch die rechtlichen Voraussetzungen fehlen, die erst auf Bundesebene geschaffen werden müssten.
Katalin Gennburg, die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, verweist hingegen auf konkrete Gegenbeispiele: Die Absicht, das Tempelhofer Feld gegen den erklärten Willen der Berliner*innen zu bebauen, genauso wie der Bau eines »irrsinnigen Aquariums« in der Rummelsburger Bucht. Auch ihr Kollege Julian Schwarze von der Grünenfraktion sagt im Hinblick auf die Bebauung des Tempelhofer Feldes: »Wir können die Herausforderungen von heute nicht mit den Ansätzen von gestern lösen.«
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