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Israel ändert Abzugsbedingungen
Einseitige Absage an vereinbarten vollständigen Rückzug aus dem Südlibanon
Laut Waffenstillstandsabkommen zwischen Libanon und Israel soll Israels Armee am Dienstag das Gebiet südlich des Litani-Flusses vollständig verlassen. Von dort hatte die Hisbollah seit dem 8. Oktober 2023 Nordisrael mit Raketen beschossen. Israelische Truppen marschierten schließlich ein, stießen jedoch auf hartnäckigen Widerstand der in Guerilla-Taktik kämpfenden Hisbollah und ihrer Verbündeten. In den vergangenen Wochen hatten Einheiten der libanesischen Armee und der Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen (Unifil) die Kontrolle von Orten übernommen, aus denen sich israelische Soldaten zurückgezogen hatten.
Inzwischen ist klar, dass die israelischen Streitkräfte sich nicht wie vereinbart vollständig aus dem Südlibanon zurückziehen. »An fünf strategischen Orten werden wir bleiben«, so der für die Militärstrategie zuständige Minister Ron Dermer. Der Waffenstillstand war im November von den USA vermittelt worden. Laut Abkommen sollten sowohl die israelische Armee als auch die Hisbollah bereits am 26. Januar die vereinbarte Pufferzone verlassen haben, in letzter Minute verschob man den Termin auf den 18. Februar.
Hisbollah fordert vollständigen Truppenrückzug
Die Hisbollah lehnt eine zeitlich unbegrenzte Stationierung der israelischen Armee im Libanon strikt ab. Der Chef der zwar angeschlagenen, aber immer noch wie eine Armee organisierten Miliz, Naim Qasem, forderte am Sonntag in einer Fernsehansprache, dass Israel sich bis Dienstag vollständig aus dem Libanon zurückziehen müsse. »Auch fünf kleine Grenzposten sind inakzeptabel.«
Die Regierung in Jerusalem will mit vorgelagerten Außenposten auf libanesischem Gebiet das erneute Einsickern kleiner Hisbollah-Einheiten in die Außenbezirke von israelischen Grenzorten verhindern. Während sich das israelische Militär aus den schiitischen Dörfern rund um den Berg Dov zurückzieht, rückt es an anderen wieder vor, berichten Journalisten des libanesischen Staatsfernsehens und israelische TV-Sender übereinstimmend.
»Wir bestehen auf den vereinbarten Abzug bis zum 18. Februar, dies ist nicht verhandelbar.«
Joseph Aoun Präsident Libanons
In arabischer Sprache forderte der israelische Militärsprecher Avikhay Adrai am vergangenen Mittwoch sogar alle Bewohner des Südlibanon auf, bis auf Weiteres nicht in ihre Dörfer zurückzukehren. Der Präsidentenpalast in Beirut wusste offenbar nichts von dem Abkommen, das eine dauerhafte Stationierung der israelischen Armee im Libanon erlauben soll. »Wir bestehen auf dem vereinbarten Abzug bis zum 18. Februar, dies ist nicht verhandelbar«, so eine Erklärung von Präsident Joseph Aoun.
»Die Lage erinnert mich an die Tage vor dem israelischen Einmarsch«, sagt Rima Rantisi, eine Professorin an der Amerikanischen Universität von Beirut. »Beide Seiten drohen wieder mit einem offenen Krieg. Zwar bisher nur symbolisch, aber jeder hier weiß doch, dass die grundlegenden Probleme auch durch die Zerstörung von ganz Süd-Beirut nicht verschwunden sind. Die Angst aus der Zeit der Bombardierungen ist zurück.«
Israel Armee lässt die Muskeln spielen
Am vergangenen Mittwoch überflog ein israelischer Kampfjet mit Überschallgeschwindigkeit die libanesische Hauptstadt. Der laute Knall sollte die Bewohner abschrecken. »Doch das funktioniert nicht mehr«, lacht die Studentin Samira Kattaoura. »Zwar stehen nichtschiitische Libanesen der Hisbollah weiterhin kritisch gegenüber. Doch nach der Bombardierung so vieler Wohnviertel sind sich alle in ihrer Haltung gegenüber Israel einig.«
Vorerst kann Israels Regierung ihre Forderungen gegenüber dem vor dem Staatsbankrott stehenden Libanon mit militärischer Überlegenheit durchsetzen. Der Flughafen von Beirut verbot vergangene Woche einer Passagiermaschine aus Teheran die Landung. Die israelische Regierung hatte dem Iran vorgeworfen, auf Linienflügen Bargeld für die Hisbollah nach Beirut zu transportieren. Unverhohlen wurde im israelischen Fernsehen über die Bombardierung des von der Hisbollah kontrollierten Flughafens von Beirut diskutiert.
Präsident Aoun verurteilt Angriff auf UN-Soldaten
Nachdem dann alle Flüge aus Teheran bis Dienstag eingestellt worden waren, errichteten Hisbollah-Kämpfer aus Protest Straßensperren. Als fünf Fahrzeuge der Unifil-Mission auf dem Weg zum Flughafen passierten, wurden sie von maskierten Männern angegriffen. Der hochrangige nepalesische Unifil-Offizier Chock Bahadur Dhakal wurde verletzt, als das Fahrzeug, in dem er saß, Feuer fing und von Steinen getroffen wurde.
Präsident Aoun verurteilte ebenso wie die Hisbollah-Führung den Angriff auf die UN-Soldaten, die wohl die einzige Garantie dafür sind, dass der Waffenstillstand weiterhin hält. 25 an den Protesten am Flughafen beteiligte Milizionäre wurden bisher festgenommen. »Wir halten uns trotz unserer begrenzten Möglichkeiten an das Abkommen«, so ein Präsidentenberater in einem Hintergrundgespräch. »Doch die israelische Armee hat seit dem Beginn des Waffenstillstands am 24. November bereits über 90 Menschen getötet.«
Am Montag kam in der Stadt Sidon ein Hamas-Kommandeur, Mohammad Schahin, bei einem israelischen Luftangriff ums Leben. Der für den Dienstag angekündigte große israelische Truppenabzug hinterlässt wie der Waffenstillstand viele Fragezeichen.
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