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Berlin: Chaos um Hochschulverträge
Unis kritisieren Senat wegen geplanter Kürzungen. 25 Prozent der Studienplätze könnten wegfallen
Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) muss sich heftiger Kritik der Hochschulen stellen. Die vorgesehenen Kürzungen im Wissenschaftsbereich hätten sich zu einer »echten Bedrohung der Berliner Wissenschaftslandschaft entwickelt«, sagte Julia von Blumthal, Präsidentin der Humboldt-Universität, am Montag im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. Die Hochschulen würden in die Diskussion nicht genügend eingebunden, befand sie. »Sie haben uns nicht angehört, das muss ich so feststellen«, so von Blumenthal, die zurzeit auch den Vorsitz der Landesrektorenkonferenz innehat.
Hintergrund des Streits sind die anstehenden Neuverhandlungen der Hochschulverträge. Diese regeln, in welcher Höhe das Land Berlin seine Universitäten finanziert – und welche Aufgaben diese dafür übernehmen müssen. Im Frühjahr 2024 hatten der Senat und die Universitäten diese Hochschulverträge mit einer Laufzeit von vier Jahren unterschrieben. Angesichts der schwierigen Haushaltslage stellte sich allerdings schnell heraus, dass die dort vereinbarten Geldmittel so nicht gezahlt werden können.
Zuletzt hatte der Senat einen sogenannten Eckwertebeschluss für den Doppelhaushalt 2026/2027 gefasst. Dieser sieht für die Senatswissenschaftsverwaltung Kürzungen in Höhe von acht Prozent des Budgets vor. Das würde 84 Millionen Euro bedeuten. »Die Zahlen sind in der Größenordnung nicht falsch«, sagte Senatorin Czyborra im Ausschuss. Die Summe schließe aber auch die ebenfalls unter Czyborra angesiedelte Gesundheitsverwaltung ein. Man werde nun diskutieren, wie sich die Kürzungen auf die einzelnen Bereiche verteilten.
»Bei uns verfestigt sich der Eindruck, dass die Hochschulen und die Wissenschaft nicht mehr die Priorität haben wie früher«, sagte HU-Präsidentin Julia von Blumenthal. Man habe das Gefühl, dass der Senat nicht mehr stolz auf die Universitäten sei. Aktuelle Aussagen Czyborras, die im Interview mit dem »Tagesspiegel« gesagt hatte, dass sie keine Sicherheiten aussprechen könne, hätten an den Hochschulen für »Erschütterungen« gesorgt.
Man sei bereit, die Hochschulverträge nachzuverhandeln, sagte von Blumenthal, »aber es muss eine Basis geben«. Aktuell herrsche noch Unklarheit über die finanziellen Rahmenbedingungen. So sei etwa noch unklar, inwieweit Tarifsteigerungen vom Land aufgefangen werden. »Für uns ist es relativ schwierig, uns vorzustellen, wie konstruktive Verhandlungen stattfinden können«, so von Blumenthal. Angesichts der häufigen Richtungswechsel der Senatsverwaltung fehle es vor allem an Verlässlichkeit.
Tatsächlich bereiten sich die Hochschulen nicht nur auf Gespräche vor. Parallel werden Pläne für eine mögliche Verwaltungsklage gemacht: An der Technischen Universität ist bereits ein Beschluss gefallen, dass die Hochschulleitung den Senat verklagen sollte, falls dieser keine substanziellen Verhandlungsvorschläge unterbreiten sollte. Der Senat verletze zurzeit seine Pflichten aus den Hochschulverträgen, so die Argumentation. »Natürlich bereiten wir die Klage vor«, zeigte von Blumenthal Unterstützung für den TU-Beschluss. Man wolle aber noch Verhandlungen abwarten, bevor man die Klage einreiche. Es gebe aber schon ein Rechtsgutachten, das der Klage gute Chancen auf Erfolg einräume.
Sabrina Schönrock, Vizepräsidentin der Hochschule für Wirtschaft und Recht, stellte dar, was die Kürzungen für die Hochschulen bedeuten könnten. »Mit Entbürokratisierung allein können die Zielzahlen nicht erreicht werden«, sagte sie. »Ohne Kürzungen von Studienplätzen oder bei der Qualität der Betreuung geht es nicht.« Konkret könnten 20 bis 25 Prozent der Studienplätze in Berlin wegfallen. »Davon gehen wir aus«, so Schönrock. Weil an die Zahl der Studierenden Bundesfördermittel gebunden sind, könnte ein Wegfall von Studienplätzen mit weiteren Kürzungen verbunden sein, warnte Schönrock.
Vor allem bei den Hochschulen für angewandte Wissenschaft gibt es im Gegensatz zu den großen Universitäten nur in den seltensten Fällen Finanzrücklagen. Sollten die Kürzungen beschlossen werden, müssten die früheren Fachhochschulen sie also ohne Verzögerung umsetzen. »Die Zeitschiene setzt uns extrem unter Druck«, sagte Julia Neuhaus, Präsidentin der Hochschule für Technik. »Wir können unsere Ausgaben nicht mit einem Schnippen reduzieren.« Grund sei, dass einmal aufgenommene Studierende bis ans Ende ihres Studiums an den Hochschulen verbleiben – und dauerhaft Kosten verursachen. Es müsse also noch vor dem Zulassungsverfahren zum Wintersemester im September ein finanzieller Rahmen gesetzt werden.
»Solche Verträge hätten erst gar nicht gemacht werden dürfen.«
Marianna Burkert-Eulitz (Grüne)
Bildungspolitische Sprecherin
Bei der Opposition wurde das bereits seit Monaten schwelende, nun aber sich akut verschärfende Chaos rund um die Hochschulverträge dankend aufgenommen. »Es ist ein Desaster, wie die Stadt mit der Wissenschaft umgeht«, sagte Linksfraktionschef Tobias Schulze. »Das Mindset der Koalition muss sich grundlegend ändern.« Marianne Burkert-Eulitz, bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, warf CDU und SPD »unseriöse Haushaltspolitik« vor. Im Doppelhaushalt 2024/2025 seien nicht gedeckte Ausgaben beschlossen worden, die nun Stück für Stück wieder zurückgenommen würden. Das gelte auch für die Hochschulverträge. »Solche Verträge hätten erst gar nicht gemacht werden dürfen«, sagte Burkert-Eulitz.
Diesem Vorwurf widersprach Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra entschieden. »Wenn wir die Hochschulverträge nicht im Februar beschlossen hätten, wären wir heute in einer schlechteren Lage«, sagte sie. »Wir haben für die Hochschulen das Maximum rausgeholt.« Nun werde von einem deutlich höheren Sockelbetrag aus gekürzt. Czyborra verwies auf die weiterhin angespannte Finanzlage Berlins. Der Senat habe sich auf Kürzungsziele verständigt. »Unsere Aufgabe ist jetzt, die Kürzungen nach diesen Rahmenbedingungen zu verteilen«, so Czyborra. »Ohne Not treffen wir keine einzige Entscheidung«, schob sie nach – ein programmatischer Satz für die zunehmend glücklos wirkende Senatorin, die in ihrer bisherigen Amtszeit vor allem reagiert, aber nur selten eigene Impulse gesetzt hat.
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