Die Siegesfeier der Linkspartei und der Tag danach

Zum ersten Mal seit Jahren konnte die Linke ausgelassen feiern. Wie es nach der Party weitergeht, erzählen Van Aken, Reichinek, Schwerdtner dem »nd«

Ines Schwerdtner, Heidi Reichinnek und Jan van Aken in Feierlaune: Sie haben die Linkspartei gerettet.
Ines Schwerdtner, Heidi Reichinnek und Jan van Aken in Feierlaune: Sie haben die Linkspartei gerettet.

»Linke: 8,5 Prozent« schallt es aus den Lautsprechern, Mundwinkel springen gen Wangen, Tränen rollen über ebenjene, jubelnde Hände fliegen in die Luft, man fällt sich in die Arme. Die Linkspartei hat am Sonntag geschafft, was man selbst in den eigenen Reihen vor einigen Wochen noch für unmöglich gehalten hatte: Sie hat ihre Zustimmungswerte verdoppelt. Jetzt ist erst mal Zeit zu feiern, aber wie geht es weiter, wenn die Party vorbei ist?

Jan van Aken, Heidi Reichinnek und Ines Schwerdtner strahlen von der Wahlparty-Bühne in die Kameras. »Die Linke lebt«, ruft der Ko-Vorsitzende van Aken, »und das haben wir euch allen hier zu verdanken.« Als Dritte spricht Superstar Reichinnek, es bricht ein jubelnder Gesangschor aus: »Heidi, Heidi, Heidi.« »Ne, nicht Heidi, ihr alle habt diese Wiederauferstehung möglich gemacht«, erwidert sie sofort – ihr ist offenbar bewusst, dass der Hype um ihre Person, manche nennen es schon Personenkult, nicht von allen in der Partei positiv gesehen wird.

Auch wenn sich Schwerdtner, van Aken und Reichinnek in ihren Siegesreden betont bescheiden geben, den Erfolg dem Kollektiv zuschreiben, wie es sich am Wahlabend gehört – maßgeblich sind es sie, die die totgeglaubte Linke zurück ins Leben geholt haben. Okay, na gut, und Tiktok beziehungsweise Memestar Gregor Gysi. Mit Technobeats von seinem Namensvetter DJ Gysi im Rücken (ein Internetphänomen für sich) tritt er auf die Bühne. »Mit unserer Silberlocken-Aktion dachten wir, wir erreichen die Medien und wir erreichen auch ein paar Alte, aber wie die Jungen reagieren, das wussten wir nicht.« Die Aufmerksamkeit scheint ihm auch hochbetagt noch zu gefallen.

Keine Marx-Vorlesung im Bundestag

Gysi war schon immer ein kleiner Star, jetzt ist er wieder ein großer kleiner Star und bald wahrscheinlich Alterspräsident im Bundestag. Nachdem er bei seiner Aktion Silberlocke bekanntgegeben hatte, wurde gemunkelt, das sei ohnehin der Hauptgrund, warum er noch mal antritt. Was er als Alterspräsident in seiner zeitunbegrenzten letzten Rede sagen will, müsse er sich noch überlegen, verriet er dem »nd«. Marx vorlesen, wie es im Internet gemutmaßt wurde, werde er aber nicht, denn eine solche Rede müsse staatsmännisch und an alle im Land gerichtet sein. Zumindest aus Sicht des »nd« kein Widerspruch.

Die Stimmung im Saal ist genauso ausgelassen, wie man sie sich nach einem solchen Erfolg eben vorstellen würde. Es wird getanzt, getrunken und sogar wild geknutscht – Erfolg macht anscheinend Lust. Ein Gast gibt aber zu, dass er im Wahlkampf-Partyfeiern nicht geübt sei, denn er hätte in seiner Zeit bei den Linken eben noch nie eine erlebt, bei der es Grund zum Feiern gab. Heute gibt es gleich sieben Gründe: In den Stunden nach Verkündung des Wahlergebnisses bricht das Feiervolk drinnen und draußen immer wieder in Jubel aus – die Erststimmenergebnisse werden durchgegeben. Neben den 8,5 Prozent der Zweitstimmen holt die Linke ein Direktmandat nach dem anderen: Lichtenberg, Friedrichshain, Treptow-Köpenick, Neukölln in Berlin plus Erfurt und Leipzig.

Noch um halb zwölf versuchen junge Menschen, die es aufgrund des großen Andrangs nicht in den Saal geschafft haben, reinzukommen. »Wir wollten noch Selfies mit Heidi und Gregor machen«, erzählen sie dem »nd«. Andere haben sich schon auf den Weg gemacht zu verschiedenen Wahlkreispartys. »In Neukölln steigt die beste Afterparty!« ruft jemand. Die Partei ist gerettet, die Party gefeiert – wie geht es jetzt mittelfristig weiter?

Die Zukunft rot?

»Wir kommen schon am Dienstag als Fraktion zusammen. Da kommen erst einmal viele, die ganz neu sind«, sagt Ines Schwerdtner dem »nd«. Der Großteil der neugewählten Linken zieht nämlich zum ersten Mal überhaupt in ein Parlament ein. Die müsse man erst einmal darin einarbeiten, was die Linke als Fraktion und als Opposition mache. »Und dann geht es ans Arbeiten. Wir werden SPD und Grüne unter Druck setzen«, so Schwerdtner.

Wie genau die Fraktion diesen Druck erzeugen will, erklärt Heidi Reichinnek dem »nd«, wie immer in Hochgeschwindigkeit: »Wir müssen den Leuten jetzt beweisen, dass wir nicht nur reden, sondern auch machen.« Als Teil ihres 100-Tage-Programms wolle die Linke zuerst einmal die Themen, mit denen sie Wahlkampf gemacht hat – also Mieten und Preise – ins Parlament bringen. »Wir organisieren eine gemeinsame Expertenkonferenz zum Thema bundesweiter Mietendeckel und Vermögenssteuer und vor allem einen Kitagipfel.« Der nächste Bundeskanzler werde das ja wahrscheinlich nicht tun, so Reichinnek.

Die mittelfristig wohl größte Herausforderung für die Partei liegt aber außerhalb des Parlaments. 28 000 neue Mitglieder sind seit Beginn des Jahres der Linken beigetreten. Der Großteil von ihnen ist jung, politisch unerfahren, und dazu kommt, dass einige derer, die aufgrund des Social-Media-Hypes mitmachen wollen, in ihrem Linkssein nicht allzu gefestigt sein dürften.

Aus Marx’ Werken will Gregor Gysi in seiner Rede als Alterspräsident nicht vorlesen.

»Wir haben jetzt schon Pläne gemacht, wie wir diese Leute schulen können und sie bei der Organisation in den Kreisverbänden unterstützen«, erzählt Jan van Aken dem »nd«. Einige Kreisverbände seien bis vor Kurzem klinisch tot gewesen und erst jetzt durch neue Aktive reanimiert worden. »Die neu zu trainieren, wie Parteiarbeit geht und wie man eine flächendeckende Bewegung aufbaut, kommt jetzt auf uns zu.«

Dann war da noch die Sache mit der Streitlinken. Seit van Aken und Schwerdtner den Parteivorsitz übernommen haben, gab es kaum offen ausgetragene Kontroversen – mal abgesehen vom Berliner Nahost-Eklat vor einigen Wochen. Diese Friedliebigkeit ist aber vor den Wahlen normal, es ist allen bekannt, dass Streit und Wahlkampf sich nicht gut vertragen. Gelingt es dem selbsternannten Chefdiplomaten van Aken auch nach der Wahl, den Laden zusammenzuhalten?

»Es gab natürlich auch Gemecker und Kritik in den vergangenen Wochen, aber das blieb alles intern«, so der Parteichef. Immer wenn ein Problem aufgekommen sei, hätten er und Schwerdtner mit verschiedenen Seiten gesprochen, und das sei auch in der Partei angekommen: »Wir können alle Dinge intern so klären, dass wir gemeinsam damit umgehen können.«

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