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Timothée Chalamet als Bob Dylan: Das Genie und die Frauen

Mythisierung als Verfahrensweise: Der junge Bob Dylan ist jetzt Gegenstand eines sehr konventionellen Hollywood-Biopics

Ein bisschen Dunst muss sein: Timothée Chalamet als Dylan auf Oscar-Kurs
Ein bisschen Dunst muss sein: Timothée Chalamet als Dylan auf Oscar-Kurs

Man hat sich das New Yorker Bohème- und Künstlerviertel Greenwich Village mit seinen Bars und Clubs immer ein bisschen schäbig vorgestellt, doch hier, in diesem Biopic, das in der ersten Hälfte der 60er Jahre spielt und von der frühen Karriere des Sängers und Musikers Bob Dylan erzählt, wirkt das Viertel erkennbar gentrifiziert. Doch was will man machen: The Times They Are a-Changin’. Und tatsächlich sieht auch der Film-Bob-Dylan (Timothée Chalamet), den wir hier vor uns haben und der zu Beginn des Geschehens als 19-jähriger Tramper mit abgewetztem Gitarrenkoffer im Jahr 1961 in New York ankommt, immer ein bisschen zu geschleckt und gelackt aus. Da kann er noch so sehr nuscheln und näseln wie der echte Bob Dylan und eine Zigarette nach der anderen rauchen (was er ununterbrochen tut): Er bleibt doch unverkennbar der herausgeputzte und durchgestylte Film-Dylan.

Die Stylisten haben sich überhaupt Mühe gegeben: Der Film-Dylan, so haben sie sich wahrscheinlich gesagt, muss sprechen und singen wie der echte junge Dylan, und er muss aussehen, wie der Künstler auf dem Plattencover des legendären, 1963 erschienenen Folk-Albums »The Freewheelin’ Bob Dylan« ausgesehen hat, nur eben ein wenig hübscher und mit ebenmäßigen Gesichtszügen. Schließlich haben wir es hier mit einem beängstigend konventionellen Biopic zu tun, das eine ganz und gar hollywoodkonforme Ästhetik aufweist. Und in einem solchen hat immer das herrschende Schönheitsideal Vorrang: Die männlichen Beatniks dürfen nie zu schmutzig aussehen, und beim Look der Frauen wurde darauf geachtet, dass an ihnen trotz allem Früh-Hippie-Styling das Barbiepuppenhafte stets dominant bleibt.

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Trotzdem wichtig irgendwie: Authentizitätssimulation. Deswegen muss der Dylan-Darsteller genau so eine abgewetzte braune Herumtreiberjacke tragen, wie der echte Dylan sie auf dem genannten Coverfoto anhat. Nur Flecken dürfen eben nicht drauf sein. Oder er muss sein Sakko so um die Schultern hängen haben, wie man es aus Dokumentarfilmmaterial über Dylan kennt. Eindeutig hat man sich bei der Produktionsfirma viele Fotos und Filmaufnahmen aus diesen Jahren angesehen. Und hat dann gesagt: »Ja, hier, so muss das aussehen. Authentisch, alles authentisch. Auch die Bars der Früh-Hippies und Folkies, diese Souterrain-Cafés mit so halbdunklem Schummerlicht, in denen dieser Typ da aufgetreten ist. Nur alles immer ein bisschen geschniegelter und gebügelter und zuckerbäckerhafter als in Wirklichkeit, das ist wichtig! Wir wollen ja niemanden verschrecken. Wir brauchen auch Budweiser-Bierdosen und -Flaschen aus der Zeit, die mit dem alten Verschluss. Dann können wir auch gleich Product Placement im großen Stil unterbringen. Zwei Fliegen mit einer Klappe.«

Wir schreiben das Jahr 1961: Der junge Film-Dylan will sein großes Vorbild, den todkranken Songwriter Woody Guthrie, linker Folksänger der ersten Stunde, im Krankenhaus in New Jersey besuchen, in dem sich so gut wie niemand aufzuhalten scheint. Zumindest sitzt da am Krankenbett nur ein einsamer Besucher: der ebenfalls linke und in den stockkonservativen USA als Kommunist verschriene Folksänger Pete Seeger (Edward Norton). Toller Zufall. Als der Film-Dylan, an der Krankenzimmertür stehend, sich ehrfurchtsvoll erkundigt, ob er hier richtig sei bei »Herrn Guthrie«, entspinnt sich der erste lustige Dialog: »Niemand nennt ihn so außer der Regierung!«, teilt der Film-Seeger dem Film-Dylan mit, woraufhin dieser antwortet: »Ich bin nicht die Regierung.« Na, da haben sich ja offenbar die drei Richtigen gefunden! Sofort spielt der junge Film-Dylan dem todkranken und wehrlosen Film-Guthrie eines seiner Lieder vor, und der ist logischerweise begeistert. Ja, »ein gutes Lied kann nur Gutes bewirken« (W. Guthrie).

In der nächsten Szene sitzt unser Herumtreiber, der Film-Dylan, dann schon beim Film-Seeger und dessen Familie beim Frühstück, wo er gleich wieder an seiner Gitarre herumpfriemelt und einen seiner berühmtesten Songs komponiert: »If you’re traveling in the north country fair / Where the winds hit heavy on the borderline / Remember me to one who lives there / For she once was a true love of mine.«

Kurz darauf nimmt die Karriere richtig Fahrt auf: Auftritte in kleinen Clubs, Freundschaft mit Joan Baez, Plattenvertrag mit Columbia Records, Zackzackzack. Zitiert wird auch die frühe Dylan-Konzertkritik aus der »New York Times« vom September 1961: »Mit seinem engelhaften Gesicht und dem dichten, widerborstigen Haarschopf, den er zum Teil mit einer schwarzen Huck-Finn-Cordmütze bedeckt, sieht Dylan wie eine Kreuzung aus Chorknabe und Beatnik aus.«

Das ist ja hier eine Disney-Produktion, weswegen kein Penis in die Kamera baumeln darf.

Mitten in der Kubakrise, 1962, als die Welt kurz vorm Atomkrieg steht, sind der Film-Dylan und die Film-Joan-Baez (Monica Barbaro) natürlich nachts wach und machen sich Sorgen. Aber unser Film-Dylan schaut nicht hilflos Nachrichten in der Glotze wie die anderen, sondern komponiert gleich wieder einen Dylan-Klassiker, den er den bösen Kriegmachern und Waffenproduzenten entgegenschleudert: »You hide in your mansion / While the young peoples’ blood / Flows out of their bodies / And is buried in the mud.«

Es ist eine Szene, die in variierter Form öfter vorkommt in dem Film: Der junge Poet in der Nacht oder am Morgen mit nacktem Oberkörper, an der Gitarre herumzupfend, gedankenverloren rauchend, sinnierend, in sein eigenes Genie versunken. Ja, so ist er eben, der Künstler! Wir sehen ihn in all seinen zum Klischee geronnenen Varianten: den kreativen Akustikgitarren-Troubadour im Studio (Dialog der Toningenieure: »Wer schrieb denn diesen Song?« - »Er hier!«); den stolzen angry young man auf dem Newport Folk Festival, wie er seine Weltveränderungshymne »The Times They are a-Changin’« vorstellt (»Hier is’ was Neues«); den eigensinnigen, störrischen Künstler, der sich 1965 auf der Bühne weigert, seinen Gassenhauer »Blowin’ in the Wind« zu spielen, und sein Publikum anblafft, dass es sich hier schließlich nicht um ein »Wunschkonzert« handele; den tapferen, renitenten Dogmenverächter, der die ganze US-Friedens- und Bürgerrechtsbewegung provoziert, indem er den Peace & Love-Teestubentugendbolden zeigt, wie man eine Gitarre unter Strom setzt. Mythisierung ist hier die zentrale filmische Verfahrensweise: das Genie, die Kunst und die Frauen.

Selbstverständlich muss in all das auch ein bisschen Liebesgeschichte hineingemischt werden. Aber weil wir in den frühen Sechzigern unter jungen Frühhippies sind, ist es natürlich eine Liebesgeschichte, die ein Mann mit mehreren Frauen hat: einer Blonden (die auf dem Plattencover), einer schwarzen Frau (namenlos) und einer Schwarzhaarigen (die Film-Joan-Baez). Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n. Die Frauen im Film haben nicht ganz so viel enigmatische Persönlichkeit wie unser nuschelnder Sonnenbrillenmann, weswegen ihr Tun sich darin erschöpft, ab und an die Augen zu verdrehen oder zu heulen.

Derweil ist unser Film-Dylan der Hahn im Korb. Der tolle Hecht mit der empfindsamen Künstlerseele und der coolen Mir-doch-alles-wurscht-Haltung: immer so ein bisschen stoffelig und muffelig, ein bisschen selbstgerecht, ein bisschen toxische Männlichkeit light. »Deine Songs sind wie die Gemälde, die in Zahnarztpraxen hängen«, sagt er eines Morgens zur Film-Baez, seiner Geliebten, als er schon wieder rauchend und an seiner Gitarre hantierend auf dem zerwühlten Bett sitzt.

Aber auch die Liebesgeschichten: glatt, sauber, konventionell. Auch morgens, nach einer wilden Sexnacht erwachend, trägt der Film-Dylan erstaunlich saubere Unterhosen. Schließlich muss der Film in den Kinos ab zwölf Jahren freigegeben sein. Das ist ja hier eine Disney-Produktion, weswegen kein Penis in die Kamera baumeln darf. Da wird sehr genau aufgepasst, dass die Hochglanzfarbbilder und gut ausgeleuchteten Szenen nicht verunreinigt werden. Selbst der ordentlich frisierte und braungebrannte Film-Johnny-Cash sieht aus, als käme er direkt aus dem Fitness-Studio, und überhaupt nicht wie der echte Johnny Cash, der zu jener Zeit ein blasses, zittriges Drogenwrack war.

Man kann Heldengeschichten auf verschiedene Weisen erzählen, selbst wenn es sich um Antihelden-Geschichten handelt. Doch am Ende wird in Hollywood immer eine sehr biedere Heldengeschichte daraus. So eine wie diese. In der man obendrein immer wieder das grauenhafte Lied »Blowin’ in the Wind« über sich ergehen lassen muss.

»Like A Complete Unknown«, USA 2024. Regie: James Mangold. Mit: Thimothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning. 141 Min., Start: 27.2.

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