Ansatz »Organizing«

Kommt über die Nachbarschaftsarbeit ins Parlament und will Gegenmacht aufbauen - die Kasseler Abgeordnete Violetta Bock

LINKE: Violetta Bock – Ansatz »Organizing«

In Passau geboren, politisierte sich Violetta Bock wie viele Jugendliche in der niederbayerischen Stadt über Antifa-Proteste gegen die jährlich stattfindende Parteiversammlung der rechtsextremen DVU. Doch organisiert habe sie sich, erzählt die 37-Jährige, erst während des Studiums in Kassel.

Einen entscheidenden Impuls habe ein Auslandssemester in den USA geliefert: »Ich war in Newark und hab zum ersten Mal Organizing-Ansätze kennengelernt.« Zurück in Deutschland versuchte Bock sich gemeinsam mit Gleichgesinnten am Aufbau eines Nachbarschaftszentrums im armutsbetroffenen Viertel Rothenditmold im Kasseler Norden. »Kümmererpolitik«, wie sie auch heute wieder oft in der Linken propagiert wird, wollte das Projekt aber nicht machen. »Wir hatten immer eine Mischung aus gegenseitiger Hilfe und kollektiver Organisierung vor Augen. Außerdem ist unsere Rothe Ecke parteiunabhängig.«

In leicht selbstironischem Ton schildert Bock, wie schwer es gewesen sei, die Basisarbeit im Viertel zu verankern. »Da hat man am Anfang ja fast immer etwas falsche Vorstellungen. Gelungen ist das erst, als wir einen richtigen Konflikt hatten. Die Verkehrsgesellschaft wollte die Buslinie ins Viertel streichen, und dagegen hat sich Widerstand geregt.« Außerdem habe die Rothe Ecke eine Kampagne gegen eine Immobilienfirma im Kasseler Norden organisiert und die Verbindung zu linksgewerkschaftlichen Gruppen gesucht.

Erst über diese Arbeit fand Bock schließlich auch zur Linken, die in Kassel immer schon stark auf außerparlamentarische Praxis gesetzt hat: Sozialsprechstunden, die Unterstützung von Arbeitskämpfen und die Mitarbeit in sozialen Bewegungen wie Attac. Trotzdem habe sie noch eine Weile mit der Partei und ihren vermachteten Strukturen gefremdelt, berichtet Bock. »Ich wurde zwar schon 2016 zur Stadtverordneten gewählt, bin aber erst ein Jahr später eingetreten.« Nach kurzem Lachen schiebt sie hinterher: »Mich interessiert einfach nicht in erster Linie der Parlamentarismus, sondern die Frage, wie wir Gegenmacht aufbauen können.«

Mit diesem Ansatz hat sich Die Linke in der von sozialer Prekarität geprägten nordhessischen Industrie- und Universitätsstadt ein beachtliches Renommee erarbeitet. »Bei den Oberbürgermeisterwahlen im März 2023 haben wir 9,3 Prozent der Stimmen geholt. Mitten in der großen Krise der Linken war das schon ein Superergebnis.«

Grundlage dafür war, dass der basisdemokratische Ansatz nach innen mobilisierte. Trotz innerparteilicher Querelen haben sich Neumitglieder und Sympathisant*innen in Kassel massiv am Haustürwahlkampf beteiligt und Stadtteilversammlungen organisiert. Dieser Ansatz war offenbar auch bei den Bundestagswahlen wieder erfolgreich. In der Stadt Kassel erzielte Die Linke 15,6 Prozent. Im gleichnamigen Wahlkreis, der etwas größer als die Stadt ist, holte Violetta Bock das zweitbeste hessische Erststimmenergebnis nach Janine Wissler. Erstaunlich für eine Kandidatin, die keine Politikerin werden will.

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