Triumph des Volkswillens

Der Weg ist das Ziel: Seit Jahren arbeitet die AfD daran, alles nach rechts zu verschieben, was geht. Und es gibt genug willige Vollstrecker

Die AfD hat was zu sagen und alle gehen hin.
Die AfD hat was zu sagen und alle gehen hin.

»Seine Achillesferse ist die Sympathie.« So kann man’s natürlich auch formulieren, wenn man mitteilen möchte, dass jemand von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung als Widerling wahrgenommen wird. Der ARD-Fernsehonkel Jörg Schönenborn, der an Wahlabenden traditionell auf seine angenehm hölzerne Art vor Schaubildern und Grafiken herumsteht und uns seine Mischung aus Zahlensalat und Stilblüten vorträgt, sagte den eingangs zitierten Satz am Abend der Bundestagswahl über Friedrich Merz (CDU). Das war astreines, in seiner Blödheit hell erstrahlendes Journalistendeutsch und sollte heißen: Mit der Beliebtheit des Finanzindustrielobbyisten Merz, der vor allem für seine Ämterhäufung von Aufsichtsratsposten bekannt ist, steht es nicht zum Besten.

Gewählt wurde Merz dennoch von vielen, weil seine populistischen Manöver und markigen Sprücheklopfereien bei der hiesigen Bevölkerung gut ankommen und seine Rhetorik sich von jener des AfD-Personals nur graduell unterscheidet. Und den Imperativ »Ausländer raus« versteht »unser Volk« sehr gut, egal mit welchen euphemistischen (»Migration steuern«) oder bürokratischen (»Zustrombegrenzungsgesetz«) Arschvokabeln er kaschiert wird.

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Merz’ Versuch, sich selbst in jüngster Zeit als harten Durchgreifer zu inszenieren, wirkt umso peinlicher, je deutlicher dabei das sich dahinter verbergende Wesen hindurchscheint: das des hüftsteifen Klassenstrebers, Langweilers und empathiefreien Technokraten. Vermutlich können sich ja deshalb so viele mit dem künftigen Kanzler identifizieren, weil sie sich selbst in ihm wiedererkennen. Seine jüngste Attacke gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich gegen die gesellschaftliche Rechtsentwicklung engagieren, zeigt, dass er längst mit der extremen Rechten paktiert.

Was den künftigen Umgang der CDU/CSU mit diesen Leuten angeht, teilte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, einem ARD-Reporter schon nach den ersten Hochrechnungen mit: »Um die AfD zu bekämpfen, müssen wir die Probleme lösen.« Das ist keine Nullaussage, wie man zunächst meinen könnte, sondern ein Code, der bedeutet: Um ebenso populär wie die Rechtsextremen zu werden, müssen wir rasch das tun, was die AfD fordert. Ein anderer von Merz noch am Wahlabend benutzter Code ist der wiederholte Verweis auf die »wenigen Übereinstimmungen«, die man »mit der AfD in der Außenpolitik« habe. Aus dem Politphrasendeutsch übersetzt hieß das: Keine Sorge, innen-, wirtschafts-, sozial- und kulturpolitisch stimmen wir mit euch mehr als überein.

Apropos Vokabular und Umgang mit Wörtern: In den Medien war an diesem Wahlabend und danach viel vom »Volkswillen« oder einem »Willen des Volkes« die Rede, weil den meisten Journalisten heutzutage gar nicht mehr auffällt, wenn sie mit der größten Selbstverständlichkeit Begriffe übernehmen, die von den Spin Doctors der Rechtsextremen in Umlauf gebracht wurden. Einen »Volkswillen« gab es zuletzt unterm Führer. Heute gibt es ihn ebenso wenig, wie es ein »Volk« gibt. Was es hingegen gibt, sind Klasseninteressen und eine Bevölkerung. Aber man wird Fernsehjournalisten wohl auch künftig nicht zu Sprachkritik- und Materialismus-Schulungen schicken. Na ja, was sollten sie auch dort? Schlimmstenfalls müssten sie etwas lesen, das länger ist als ein Tweet. Dort könnten sie jedenfalls unter Umständen sogar noch etwas anderes lernen als eigenständiges Denken, nämlich dass Sprache und die Prägung von Begriffen der Schlüssel zur Macht sind.

Und den Imperativ »Ausländer raus« versteht »unser Volk« sehr gut, egal mit welchen euphemistischen (»Migration steuern«) oder bürokratischen (»Zustrombegrenzungsgesetz«) Arschvokabeln er kaschiert wird.

Wie sehr die drastische Rechtsentwicklung des Landes, die wir seit Jahren erleben, bereits die Wahrnehmung und den Verstand vieler getrübt hat, zeigt der Sprachgebrauch der Medien von ARD bis RTL2 und von »FAZ« bis »Taz«. Das geht so weit, dass das gegenwärtige politische Koordinatensystem, wie es von vielen deutschen Journalisten dargestellt wird, groteske Züge aufweist: Die AfD, die der Sprachkritiker Stefan Gärtner jüngst einen »Nazihaufen« nannte, gilt offiziell als »konservativ-bürgerlich«; das Treiben der rassistischen Merz-CDU gilt mittlerweile offiziell als »Politik der Mitte«; die opportunistischen Abschiebungs-, Aufrüstungs- und Sozialkahlschlagsparteien SPD und Grüne gelten offiziell als »links«; und eine kreuzbrave, gemäßigt sozialdemokratische Partei wie die »Linke«, die sich dreimal stündlich selbst dann zur Verfassung der BRD bekennt, wenn man sie nicht dazu auffordert, gilt offiziell als »extremistisch« und »radikaler Rand des politischen Spektrums«.

Selbst wenn die AfD in den unzähligen Interviews, die man nach wie vor mit ihren Funktionären führt (was in Zukunft vermutlich noch exzessiver betrieben wird, so steht zu befürchten), lautstark eine »stabile Mitte-Rechts-Koalition« vorschlägt oder ankündigt, »endlich Politik für unser Land« machen oder »Deutschland nach vorne bringen« zu wollen, ist das nichts als hohles Wortgeklingel, dessen Hauptzweck dreierlei ist: die Simulation von Tatkraft, das erfolgreiche Abrufen nationalistischer Ressentiments bei gleichzeitiger Selbstverharmlosung und die Vernebelung ihrer tatsächlichen Pläne.

Am Wahlabend beantwortete Alice Weidel wie üblich keine einzige Frage, sondern laberte, wie sie das immer tut, einfach stur ihren propagandistischen Stiefel in sämtliche Mikros, die ihr bereitwillig hingehalten werden. Selbst wenn sie ihren Redeschwall morgen mit einem Sack voll Goebbels-Zitaten spicken würde, säßen die Journalistendarsteller des deutschen Fernsehens wohl bloß lächelnd da und würden brav die Begriffe apportieren, die ihnen hingeworfen werden. So geht das seit vielen Jahren.

Ich bin mir nicht sicher, ob, um einer besseren Zukunft willen, nicht wenigstens das mal aufhören sollte. Sicher ist jedenfalls: Wenn es nicht aufhört, gehen wir noch weit finstereren Zeiten entgegen, als wir uns das gegenwärtig vorstellen können.

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