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Busfahrer in Österreich geben Gas
Klimabewegung und Buslenker sehen ihr Streikrecht in Österreich beschnitten
Es ist ein für österreichische Verhältnisse ungewohntes Bild: Dutzende Menschen sind an einem späten Morgen des letzten Februartages vor der Wiener Zentrale der privaten Busfirma Dr. Richard aufgetaucht. Es sind Klimaschützer*innen und Buslenker*innen mit den gelben Westen der Gewerkschaft Vida, außerdem einige solidarische Menschen. In ihren Händen halten sie rote Stopp-Schilder mit der Aufschrift »Hände weg vom Streikrecht!«. Was ist hier los?
Wenige Tage zuvor, am 20. Februar, war es zum überhaupt ersten Warnstreik in der privaten Busbranche Österreichs seit Ende des Zweiten Weltkriegs gekommen. Der Warnstreik hatte zwar nur zwei Stunden gedauert, von vier bis sechs Uhr morgens, aber heftige Wellen geschlagen.
Die Busunternehmen werfen der Gewerkschaft Vida vor, bei den derzeit laufenden Tarifverhandlungen den Weg der Sozialpartnerschaft verlassen zu haben. Das ist das österreichische konsensorientierte Verhältnis von Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenvertretung. Die Gewerkschaft spricht indes von »psychologischer Gewaltausübung gegenüber Streikenden«, die es während des Warnstreiks gegeben haben soll.
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Vor allem im Großraum Wien soll es bei den Unternehmen Dr. Richard, Blaguss und Gschwindl zu Einschüchterungen gekommen sein. Das genaue Ausmaß wird gerade durch eine Umfrage unter den am Streik beteiligten Busfahrer*innen ermittelt, heißt es dazu von der Gewerkschaft. Markus Petritsch, Vorsitzender des Fachbereichs Straße bei der Vida, schreibt in einer Pressemitteilung von »markerschütternden Zuständen«, die eines Rechtsstaats und einer Demokratie »unwürdig« seien.
Konkret berichtet die Gewerkschaft von Kündigungsdrohungen gegen Fahrer*innen, von Listen streikender Fahrer*innen, die durch Vorgesetzte angelegt worden seien, und Einschüchterungen vor Ort, etwa indem die Polizei zu Streikversammlungen gerufen wurde oder Personen von Streikkundgebungen weggewiesen wurden. Außerdem soll vor einer Garage der Busfirma Dr. Richard im Wiener Bezirk Donaustadt ein Auto der Gewerkschaft Vida von Unbekannten zerkratzt und mit weißer Flüssigkeit übergossen worden sein.
Auch Gewaltaufrufe gegen Unterstützer*innen vor Ort soll es gegeben haben. In ihrer Aussendung zitiert die Gewerkschaft einen anonymen Busfahrer, der von einem Vorgesetzten angeschrien worden sei. Der habe von dem Fahrer lautstark verlangt, über eine Gruppe von anwesenden Klima-Aktivist*innen »drüber«zufahren, sonst sei das »Arbeitsverweigerung«.
Die Dr.-Richard-Gruppe widerspricht den Vorwürfen in einer Pressemitteilung. Es handele sich dabei um »Falschaussagen der Gewerkschaft«, die »absolut unverschämt wie unverständlich« seien. »Sogar der Konzernbetriebsrat distanziert sich von den Streiks und den überschießenden Forderungen der Gewerkschaft«, so Ludwig Richard, Eigentümer der Dr. Richard Gruppe.
»Vorgesetzte sind am Werkstor gestanden, und haben Fahrer*innen mit fristloser Kündigung gedroht, wenn sie nicht losfahren.«
Gregor Stöhr
Betriebsrat des Busunternehmens Dr. Richard
Tatsächlich scheinen nicht alle Betriebsräte den neuen kämpferischen Kurs zu teilen. Manche Busfahrer*innen sagen, dass einige Betriebsräte zum Streikbruch aufgerufen hätten. Gregor Stöhr, Ersatzbetriebsrat bei Dr. Richard in Niederösterreich bestätigt die Darstellung der Gewerkschaft: »Vorgesetzte sind am Werkstor gestanden, und haben Fahrer*innen mit fristloser Kündigung gedroht, wenn sie nicht losfahren. Gleichzeitig ist es leider so, dass der Konzernbetriebsrat nicht mehr hinter seinen Kolleg*innen im Betrieb steht. Hier muss sich etwas ändern, damit wir bessere Arbeitsbedingungen erreichen.«
Für die insgesamt 12 000 Busfahrer*innen in der privaten Busbranche geht es um viel. Viele von ihnen fahren 15-Stunden-Schichten. Sie sehen ihre Familien kaum. Pausenräume und Sanitäranlagen sind in der Branche Mangelware. Zulagen für Feiertags- und Nachtarbeit sind niedrig – wenn es sie gibt. Die Gewerkschaft wirft der Arbeitgeberseite vor, sich diesbezüglich nur zu bewegen, wenn die Busfahrer*innen bei anderen Punkten Verschlechterungen hinnehmen.
Dass es überhaupt zu Warnstreiks kam, ist kein Automatismus. Unterstützt wurden sie von Aktivist*innen aus der österreichischen Klimabewegung. Sie nahmen sich die deutsche Kampagne »Wir fahren zusammen« zum Vorbild und gründeten mit den Busfahrer*innen und der Gewerkschaft das Bündnis »Wir fahren gemeinsam«. Das Bündnis organisierte auch den Protest für die Verteidigung des Streikrechts. In den letzten Monaten baute es Kontakte zu einzelnen Garagen auf und unterstützte die Fahrer*innen unter anderem dabei, 3000 Erklärungen zur Streikbereitschaft einzureichen. Die Botschaft, die das Bündnis zu senden sucht: Hier entwickelt sich ein aktivistischer Arbeitskampf.
Nach der Aktion vom 28. Februar steht am 5. März die nächste Tarifverhandlungsrunde an. Wenn sie scheitert, sind neue Kampfmaßnahmen geplant, die nicht auf zwei Stunden beschränkt werden sollen.
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