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Estrel-Tower: Kein Ufo für Neukölln
Berlins erster Wolkenkratzer feiert sein Richtfest. Fertig werden soll er Mitte 2026
Vom Tempelhofer Feld aus, von Friedrichshain aus, in ganz Neukölln sowieso – Berlins erster Wolkenkratzer, der Estrel-Tower am S-Bahnhof Sonnenallee, ist von großen Teilen der Stadt aus zu sehen. Mit 176 Metern Höhe knackt der Hotelturm die Marke von 150 Metern, ab der ein Gebäude offiziell als Wolkenkratzer gilt. Er ist fortan Berlins zweithöchstes Gebäude, nur übertroffen vom Fernsehturm am Alexanderplatz mit 368 Metern. Am Montag wurde nun das Richtfest für den Neubau gefeiert.
Eingerahmt von zwei gelben Baggern und mit dem Estrel-Tower im Rücken eröffnet das Vater-Sohn-Gespann Ekkehard und Maxim Streletzki den Festakt. Der Familie Streletzki gehören das größte Hotel Deutschlands, das Estrel-Hotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite, genauso wie der Turm im Entstehen. Neben den obligatorischen Danksagungen an alle am Bau Beteiligten spricht Junior Maxim Streletzki auch von der Vision für das Gebäude. Der Tower werde viel bewirken, um international wichtige Veranstaltungen nach Berlin zu holen. Er ergänzt: »Wir wollen ein guter Nachbar sein.« Man müsse offener für die Berliner*innen werden, denn bisher sei das Estrel-Hotel »ein bisschen wie ein Ufo«. Eine Galerie, Ko-Working-Space und eine öffentlich zugängliche Bar im obersten Geschoss sollen dafür sorgen, dass die internationalen Gäste und die Berliner*innen in einem Gebäude zusammenkommen. »Das ist das, worauf wir hoffen im Estrel-Tower.«
Die anwesende Polit-Prominenz ist genauso begeistert vom Neubau wie die Bauherren. Es sei eine großartige Idee zu sagen, das Gebäude sei ein Ort für die Berliner*innen, so Franziska Giffey (SPD), Wirtschaftssenatorin und ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln. »Ich glaube sehr fest daran, dass dieses Projekt Millionen von Menschen begeistern wird«, sagt die Senatorin. Auch der aktuelle Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hält eine Rede: »Es ist außergewöhnlich, was hier entsteht.« Mit dem Bau des Estrels habe Familie Streletzki viel zur Entwicklung des »Niemandslandes«, wo der Turm steht, beigetragen. »Sie sorgen dafür, dass das Leben in der Stadt besser wird.«
Die erste Idee für den Turm hatte Ekkehard Streletzki 2011. Bis die Bauarbeiten beginnen konnten, dauerte es aber ein Jahrzehnt. Seit 2021 wird gebaut, nach Entwürfen des Architekturbüros Barkow Leibinger. Fertig sein soll der Turm Mitte 2026. Es ist ein Megaprojekt: 10 000 Tonnen Stahl wurden bereits verbaut, 600 Kilometer Kabel werden verlegt, im Sockel des Gebäudes soll ein Veranstaltungssaal mit Platz für 1200 Personen entstehen. Auch für Nachhaltigkeit wird gesorgt: Eine Photovoltaikanlage soll Strom für die gesamte Beleuchtung des Hauses liefern.
Trotz der Ko-Working-Spaces wird der Turm vor allem Hotel: Auf den insgesamt 45 Etagen sind aktuell 522 Hotelzimmer geplant. Ursprünglich sollten es 720 sein, wegen der Corona-Pandemie wurden die Pläne aber über den Haufen geworfen. Nach jetzigen Plänen sollen mehr Apartments für längere Aufenthalte Platz im neuen Turm finden. Ausfälle wie während der Pandemie sollen so besser aufgefangen werden können. Luxuriös wird es in den oberen Etagen. Dort werden zehn Suiten entstehen, inklusive Butler-Service. Der Neubau wird mit einem Versorgungstunnel unter der Sonnenallee mit dem bestehenden Hotel verbunden.
Neben Lob und Jubel auf dem Richtfest gibt es aber auch Kritik an dem Projekt. Berlin brauche Räume für Handwerk, Gewerbe, Clubs sowie mehr Sozialwohnungen, so Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. »Diese Räume vermissen wir schmerzlich für ein bezahlbares Berlin. Stattdessen kommen jetzt massig Büros und Hotels, obwohl bereits 1,5 Millionen Quadratmeter davon in der Stadt leerstehen.« Das Beispiel des Estrel-Towers zeige, wie dringend eine Bauwende benötigt werde, so Gennburg weiter. Es gelte, bezahlbare Räume für die Berliner*innen erhalten und gegen die kapitalistische Umwälzung von Lebensräumen für den Profit von Investoren vorzugehen.
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