Migrationsberatung in Sachsen: Bedrohungslage nimmt zu

Berater werden angefeindet, und für die Angebote fehlt es an gesicherter Finanzierung

  • Jörg Schurig, Großenhain
  • Lesedauer: 4 Min.
Ankunftsbereich für Geflüchtete im Hauptbahnhof Dresden vor der Registrierung
Ankunftsbereich für Geflüchtete im Hauptbahnhof Dresden vor der Registrierung

Ein Busfahrer lässt Migrantenkinder an der Haltestelle stehen und nimmt sie nicht mit. In Schulen werden Kinder aus Flüchtlingsfamilien auch mal gemobbt, körperliche Auseinandersetzungen bleiben nicht aus. In Meißen sagt ein Drittklässler zu einem Mitschüler: »Bei uns ist jetzt die AfD stärkste Kraft, da könnt ihr eure Koffer packen.«

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Migrationsberatung in Sachsen berichten von solchen Fällen und sind zunehmend besorgt: »Die Bedrohungslage hat sich verstärkt. Es gab schon immer eine Bedrohung der Migranten. Die haben das aber meist nicht erzählt. Jetzt erzählen sie es«, sagt Kerstin Böttger, Referentin der Diakonie für die Bereiche Asyl, Flucht und Migration. Die Hemmschwelle sinkt. »Manche meinen, jetzt alles sagen zu können.«

Aggressionen gegenüber Flüchtlingen sind aber nur eine Seite der Entwicklung. Auch Beraterinnen und Berater sind Anfeindungen ausgesetzt. »Manche Mitarbeiter hätten den Eindruck, sich für ihre Arbeit ständig rechtfertigen zu müssen. Sie erzählen selbst ihren Bekannten nicht mehr, wo sie arbeiten. Man vermeidet das Thema«, betont Diakonie-Sprecherin Nora Köhler. Auch Drohbriefe und Hundekot vor der Tür habe es schon gegeben.

Landeskollekte für Weiterbildung

»Man merkt, es wird unangenehmer«, sagt Köhler. Die Mitarbeiter brauchten inzwischen oft selbst eine Beratung, müssten psychosozial gestärkt werden. »Wenn wir Fachtage machen, stehen Workshops auf dem Programm, wie man am besten mit dem wachsenden Druck umgeht.« In diesem Jahr soll es eine Landeskollekte geben, um Menschen, die haupt- und ehrenamtlich für Geflüchtete da sind, mit diversen Weiterbildungsangeboten zu unterstützen.

Die zunehmende Verrohung in der Gesellschaft ist nur ein Problem, mit dem sich die Migrationsberatung auseinanderzusetzen hat. Auch finanzielle Unsicherheit bringt die Träger in Not. »Das Zermürbende ist, dass wir jedes Jahr Lobbyarbeit für unsere Arbeit machen müssen. Die Leute müssen jedes Jahr um ihre Stellen kämpfen, obwohl das eigentlich gar nicht ihre Aufgabe ist«, beschreibt Böttger eine andere Form von Rechtfertigung. Gerade jetzt, wo der geplante Doppelhaushalt für 2025 und 2026 noch nicht beschlossen ist und soziale Vereine am Gängelband der vorläufigen Haushaltsführung agieren müssen, ist der Unmut groß. »Wir brauchen einen finanziellen Aufwuchs, haben seit Jahren aber stagnierende Zuweisungen und müssen zudem Tarifsteigerungen ausgleichen. Die Träger müssen die Programme mit Eigenmitteln kofinanzieren. Wir bekommen das nicht mehr gestemmt.«

Mehr Bedarf, aber nicht mehr Personal

Dabei sprechen die Zahlen für sich. Die Diakonie leistet in Sachsen an sechs Orten eine sogenannte MBE – Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte. Dazu kommen noch sieben Beratungsstellen für den Jugendmigrationsdienst (JMD). Der Bedarf ist gestiegen, das Personal nicht. 2019 gab es in der MBE 2536 Fälle, 2024 bis Dezember bereits 3928. Beim JMD stieg die Zahl im gleichen Zeitraum von 2637 auf 2984.

»Es wird nicht weniger. Auf eine Beraterin oder einen Berater kommen sehr viele Fälle, das ist kaum noch zu schaffen. Wir müssen nach einem Bestellsystem verfahren und mit Wartelisten arbeiten«, betont Böttger. Die wichtigsten Themen seien Arbeit und Sprache. »Alle, die zu uns kommen, wollen sich in irgendeiner Form einbringen. Junge Leute fragen nach einer Ausbildung.« Die Bürokratie wirke erschwerend.

»Wir brauchen eine Migrationsberatung als regelmäßiges Angebot, das gesetzlich verankert ist. Wir müssen weg aus Projekten«, stellt Köhler mit Verweis auf die 20-jährige Erfahrung klar. Auch bei Fachkräften sei Beratung nötig. Sie brächten ihre Kinder mit, benötigten Wohnungen, der Partner müsse vielleicht einen Sprachkurs machen: »Die Strukturen sind da, wir brauchen aber eine gesicherte Finanzierung.«

Bei steigenden Eigenmitteln ist diese nicht sichergestellt. Das könne dazu führen, dass einzelne Träger aufgeben müssten, sagt Köhler. »Dann gibt es das Angebot nicht mehr.« Vielleicht müssten Träger schon Mitte des Jahres die Reißleine ziehen. »Für Migranten sind wir der erste Ansprechpartner, die Verlässlichen. Dabei brauchen wir selbst Verlässlichkeit.« dpa/nd

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