Schutzstatus für Menschen aus der Ukraine läuft aus

Geflüchtete aus der Ukraine, die nicht Ukrainer*innen sind, können abgeschoben werden

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.
Zehntausende Menschen ohne ukrainische Staatsbürgerschaft sind nach Beginn des Krieges 2022 aus der Ukraine geflohen.
Zehntausende Menschen ohne ukrainische Staatsbürgerschaft sind nach Beginn des Krieges 2022 aus der Ukraine geflohen.

Sie sind vor den Bomben auf die Ukraine geflüchtet und leben seit drei Jahren in Deutschland. An diesem Mittwoch läuft ihr Aufenthaltsrecht ab. Betroffen sind Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland, die keine ukrainischen Staatsangehörigen sind. Während das Bundesinnenministerium für ukrainische Staatsbürger der Schutzstatus in der EU um ein weiteres Jahr bis März 2025 verlängerte, endet er für nicht-ukrainische Staatsbürger. Das bedeutet, sie können in Kürze eine amtliche Aufforderung bekommen, Deutschland zu verlassen. Ob sie in die Ukraine oder in ihr ursprüngliches Heimatland gehen, bleibt ihnen überlassen. Reisen sie nicht aus, könnte im nächsten Schritt die Abschiebung drohen. Und zwar in den Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie haben. Bereits seit November 2022 dürfen keine neuen Ukraine-Flüchtlinge mehr nach Deutschland einreisen, die keine ukrainische Staatsangehörigkeit haben.

Betroffen sind 39 000 Menschen bundesweit, allein in Berlin 1800. Sie stammen beispielsweise aus Nigeria, Kenia, dem Tschad, Somalia, Vietnam, Thailand, Ägypten und Syrien. Sie haben in der Ukraine studiert, dort mit ukrainischen Partnern gelebt und gearbeitet, haben dort Geschäfte betrieben oder sie waren anerkannte Flüchtlinge.

Wer einen ukrainischen Familienangehörigen hat, kann sein Visum in eines für den Familiennachzug umwandeln lassen und braucht keine Abschiebung zu befürchten.

Prinzipiell gilt: Wer einen ukrainischen Familienangehörigen hat, kann sein Visum in eines für den Familiennachzug umwandeln lassen und braucht keine Abschiebung zu befürchten. Das betrifft auch beispielsweise vietnamesische Familien, bei denen nur die Kinder den ukrainischen Pass haben – jedenfalls, solange die Kinder noch nicht volljährig sind. Auch die sehr kleine Gruppe in der Ukraine anerkannter Flüchtlinge darf in Deutschland bleiben. Diese wenigen Menschen stammen beispielsweise aus Syrien und Somalia. Das Problem: Viele Betroffene wissen nicht, dass sie ihr Visum umwandeln müssen. Die Flüchtlingsräte in vielen Bundesländern versuchen seit Monaten, die Informationen zu den Betroffenen zu bringen.

Berlin hat einen »Berliner Weg« beschlossen, der es Betroffenen ermöglichen soll, ihr bisheriges Visum auch in ein Arbeitsvisum umzuwandeln. Dazu müssen sie deutsche Sprachkenntnisse und einen Arbeitsplatz nachweisen sowie keine Straftaten in Deutschland begangen haben. Die Umsetzung hapert, kritisiert Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat. Vielen sei es nicht möglich, einen Termin beim völlig überarbeiteten Landesamt für Einwanderung zu buchen, um das Visum umzuwandeln. Hinzu komme, dass aus den Pässen der Leute nicht hervorgeht, dass sie in Deutschland überhaupt arbeiten dürfen – für viele Arbeitgeber ein Hindernis, sie einzustellen. Olaksandra Bienert von der Allianz Ukrainischer Organisationen ergänzt, dass viele Abschlüsse aus der Ukraine zudem in Deutschland nicht anerkannt seien, sodass sich Hochschulabsolventen auf Hilfsjobs bewerben müssten. Ihre Erfahrung sei es zudem, dass gerade Menschen aus afrikanischen Staaten dorthin nicht zurückkehren können. »Sie haben ihr gesamtes Kapital darein investiert, in der Ukraine studieren zu können. In ihren Herkunftsländern stehen sie darum vor dem Nichts.« Bienert zufolge seien das viele Ärzte und Ingenieure, die kurz vor ihrem akademischen Abschluss standen und die mit vergleichsweise geringen Mitteln für den akademischen deutschen Arbeitsmarkt zu Ende qualifiziert werden könnten. In Zeiten des Fachkräftemangels sollte man dazu eigentlich einen Weg finden.

Sehr engagiert kümmert sich die vietnamesische Community in Berlin und in Sachsen um vietnamesischstämmige Ukraine-Flüchtlinge. 2022 haben viele diese Menschen in ihren Wohnungen aufgenommen. Inzwischen sind sie in vietnamesischen Kirchen- und Pagodengemeinden integriert. Einige haben auch Arbeit in Asia-Restaurants gefunden oder werden von vietnamesischen Firmen ausgebildet, erzählt der Berliner Hung Manh Le. Er kümmert sich ehrenamtlich um mehrere Ukraine-Flüchtlinge, seit 2022 eine Frau mit ihrer dreigenerativen Familie vor seiner Tür stand, mit der er einst in Hanoi gemeinsam zur Schule gegangen war. Die vietnamesischen Ukraine-Flüchtlinge haben inzwischen einen eigenen Verein gegründet. Le: »Die Problemlagen sind unterschiedlich. Wer in der Ukraine studiert oder als Arbeitnehmer gearbeitet hat, sieht die Zukunft oft in Deutschland und bemüht sich in der Regel um deutsche Sprachkenntnisse und Arbeit. Ich denke da beispielsweise an eine Friseurin, die gerade ihren Friseursalon in Berlin eröffnet hat.« Eine kleine Gruppe von vietnamesischstämmigen Geschäftsleuten aus der Ukraine pendelte hingegen zwischen Berlin und Charkiw oder Kiew, kümmerte sich dort um ihre Firmen und hätte die Option, in die Ukraine zurückzukehren, sodass sie kein Deutsch lernen würde. Le: »Nach Vietnam wollen sie natürlich nicht zurückkehren.« Doch genau dorthin könnte ihnen die Abschiebung drohen, wenn sie keinen ukrainischen Pass oder keine minderjährigen Kinder mit ukrainischer Staatsangehörigkeit haben. Wie viele von ihnen die vietnamesische und wie viele die ukrainische Staatsangehörigkeit haben, weiß Le nicht.

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