Reichsbürger vor Gericht: Gewaltprediger mit AfD-Sympathien

Terrorprozess gegen Gruppe um Prinz Reuß erstmals mit detaillierten Zeugenaussagen zu Umsturzplänen

  • Joachim Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.
Enges Verhältnis: Der als Rädelsführer und Chef der Reichsbürger-Schattenregierung angeklagte Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r) und seine Anwälte
Enges Verhältnis: Der als Rädelsführer und Chef der Reichsbürger-Schattenregierung angeklagte Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r) und seine Anwälte

Wenn dieser Prozess eines zutage gefördert hat, dann ist es Irrsinn. An mehr als 50 Tagen hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main schon gegen die mutmaßliche Führungsriege der Reichsbürger-Verschwörung um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß verhandelt. Doch der Kern des Anklagevorwurfs – es geht um Terrorismus und die »Planung eines hochverräterischen Unternehmens« – wurde dabei lange eher großräumig umkreist.

Über die mörderischen Putschpläne, die den neun Männern und Frauen zur Last gelegt werden, war wenig zu erfahren, umso mehr dafür über die Verschwörungsmythen, denen sie anhängen: jüdische und muslimische Soldaten, die in einem Bunker unter dem Kanzleramt stationiert seien. Altnazis, die in der Arktis »Reichsflugscheiben« zusammenzimmern. Eine globale und/oder intergalaktische Geheimarmee, die die Menschheit »befreien« werde.

Garniert ist das immer wieder mit Antisemitismus. Und über allem schwebt der QAnon-Glaube, dass satanisch-pädophile Machteliten herrschen und in unterirdischen Tunneln Kindern rituell missbrauchen. Die Angeklagte Johanna Findeisen-Juskowiak, ehemalige Landesvorsitzende der Querdenken-Partei Die Basis in Baden-Württemberg, notierte sich etwa nach einem Treffen: »Markus Söder hat das jüngste Kind der 28-jährigen Lisa gekidnappt und vergewaltigt und gegessen.«

»Der Zeuge lügt notorisch, dass sich die Balken biegen.«

Jochen Lober Verteidiger

Aber was folgt daraus? Waren die Angeklagten in Frankfurt und in den parallelen Prozessen in Stuttgart und München harmlose Irre, wie es die Verteidigung glauben machen will? Oder waren sie zum Äußersten bereit, wovon die Bundesanwaltschaft ausgeht? Erstmals ist im Prozess nun ein Zeuge vernommen worden, der sagt: eindeutig letzteres. Der 30-Jährige, der am Dienstag bereits zum dritten Mal vom Gericht befragt wurde, hatte mehrere Monate lang zusammen mit dem Angeklagten Hans-Joachim H. in Untersuchungshaft gesessen. Jeden Tag hatten sie nach seinen Angaben miteinander gesprochen, und immer will er unmittelbar danach aufgeschrieben haben, was ihm der 66-Jährige erzählt hatte.

Von einem »kranken System, das mit aller Kraft zerstört werden muss«, soll H., ein selbstständiger Unternehmensberater, gesprochen haben. Dass das »nicht auf demokratischer Basis« möglich sei, sondern nur »blutig«. Und selbstverständlich hätten in dem von Reuß geführten »Rat«, den die Bundesanwaltschaft für die designierte Putschregierung hält, alle von den Plänen gewusst, den Bundestag anzugreifen. Die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die sich als einzige Angeklagte im Frankfurter Prozess bisher zur Sache geäußert hat, bestritt das wortreich.

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Hans-Joachim H. kommt in der Anklage vor allem als Geldgeber vor, der die Vereinigung mit rund 160 000 Euro unterstützt haben soll. In der Darstellung seines ehemaligen Mithäftlings erscheint er als Gewaltprediger mit AfD-Sympathien, der davon geträumt haben soll, mit einer Schusswaffe das Weltwirtschaftsforum in Davos zu stürmen. Der es okay gefunden haben soll, wenn im Bundestag »ein paar über die Wupper gehen würden«. Und der recht freimütig erzählt haben soll, wer alles »hingerichtet« werden sollte, so zum Beispiel die TV-Moderator*innen Markus Lanz und Sandra Maischberger.

Kann man das glauben? Für die Verteidigung ist klar: auf keinen Fall. Sie verweist darauf, dass der Zeuge ein verurteilter Betrüger ist, der vor H. schon zwei weitere Mitgefangene zum Plaudern gebracht haben will. Und der sich davon Vorteile für seinen eigenen Prozess erhofft hat. »Der Zeuge lügt notorisch, dass sich die Balken biegen«, sagt Rechtsanwalt Jochen Lober.

Unbestreitbar ist: Der Mann hat von H. nicht nur den Haftbefehl, sondern auch die Anklage zu lesen bekommen. Er hätte also auch auf dieser Grundlage etwas fabulieren können. Ebenfalls unbestreitbar aber dürfte sein, dass Hans-Joachim H. ihm vertraut hat. Rund 200 Seiten, auf denen er unter anderem Überlegungen zu seiner Verteidigungsstrategie festgehalten hat, übergab er dem Mitgefangenen. Er beauftragte ihn, nach der Entlassung aus der Haft eine Liste mit den Namen von 442 angeblichen Täter*innen der »satanisch-rituellen Pädophilie« zu veröffentlichen. Und er verriet ihm das Versteck des USB-Sticks mit dieser Liste in seinem Haus. Kurz bevor im Mai 2024 der Prozess in Frankfurt begann, wurde das Haus von H. deshalb erneut durchsucht. Der Stick wurde genau an der Stelle entdeckt, die der Zeuge beschrieben hatte.

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