Autobahngegner in Südfrankreich feiern Erfolg

Die geplante A69 nahe Toulouse gilt als nutzlos. Nach einem Urteil müssen die Arbeiten ruhen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei einem Protestwochenende im Oktober 2023 gegen das Autobahnprojekt nahe Toulouse
Bei einem Protestwochenende im Oktober 2023 gegen das Autobahnprojekt nahe Toulouse

Als die Gegner der Autobahn A69 Ende der vergangenen Woche ein neuerliches Protestwochenende an der Baustelle vorbereiteten, warf eine Nachricht alles über den Haufen: Das Verwaltungsgericht von Toulouse hatte entschieden, die von den staatlichen Behörden erlassene Genehmigung zu annullieren. Begründet wurde dies mit den unzureichenden Vorkehrungen für den Schutz der Umwelt und die Sicherung der Artenvielfalt, aber auch mit der Vorspiegelung falscher Zahlen und Fakten bezüglich des Nutzens der geplanten Autobahn, die über 62 Kilometer von Castres nach Verfeil in Südfrankreich verlaufen soll.

Für den Konzessionär, die Gesellschaft Atosca, ist dies ein schwerer Schlag. Vor Ort wird bereits seit zwei Jahren gearbeitet; zwei Drittel der Strecke sind planiert und teilweise auch schon asphaltiert. Bereits 300 Millionen Euro wurden dafür investiert.

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»Das ist ein historischer Sieg, denn erstmals wurde eine Baugenehmigung dieses Umfangs durch die Justiz aus Umweltgründen annulliert, und dies trotz der bereits weit fortgeschrittenen Arbeiten«, schätzt Alice Terrasse, die Anwältin der Autobahnbaugegner, ein. Sie würdigt den Mut der Verwaltungsgerichte, die sich einzig vom Recht hätten leiten lassen und nicht dem massiven Druck des Staates und des Konzessionärs nachgegeben hätten.

»Dies ist ein unvergesslicher Moment für uns«, sagt Gilles Garric, einer der Sprecher des Vereins La Voie est libre (Der Weg ist frei). »Seit mehr als 15 Jahren kämpfen wir gegen dieses Bauprojekt, das durch keinerlei vernünftige Gründe gerechtfertigt ist. Und jetzt greift das Gericht alle von uns vorgetragenen Gründe auf.«

Der Staat will diese Schlappe indes nicht hinnehmen. Umweltministerin Agnès Pannier-Runacher und Verkehrsminister Philippe Tabarot haben mittlerweile angekündigt, dass sie Berufung einlegen werden. Gleichzeitig wollen sie beantragen, dass die Richter per einstweiliger Verfügung erlauben, dass bis zu einem rechtskräftigen Urteil weitergebaut werden darf. Das ist frühestens in einem Jahr zu erwarten. Dieses Szenario hält Anwältin Terrasse für unwahrscheinlich, weil sich die Richter damit selbst disqualifizieren würden. Im Urteil des Gerichts wird festgestellt, dass »der wirtschaftliche, soziale und verkehrssicherheitstechnische Nutzen der Autobahn A69 zu begrenzt ist«, als dass er »die umfangreichen Abstriche beim Schutz der Umwelt und der Artenvielfalt« rechtfertigen würde.

»Das ist ein historischer Sieg, denn erstmals wurde eine Baugenehmigung dieses Umfangs durch die Justiz aus Umweltgründen annulliert.«

Alice Terrasse Anwältin der Autobahnbaugegner

Das Gericht hat die Argumentation des Konzessionärs und des Staates als nicht stichhaltig zurückgewiesen, wonach der Wirtschaftsraum um Castres unter dem Fehlen einer Autobahn leidet, und verweist auf die Situation in und um andere Städte der Region wie Albi und Carcassonne. Ferner sei die bestehende Nationalstraße, die von Toulouse nach Castres parallel zur A69 führt, keinesfalls unfallträchtiger als vergleichbare Straßen. Da für die Nutzung der Autobahn eine Gebühr von 6,77 Euro zu zahlen wäre, gehen die Richter davon aus, dass viele Autofahrer weiterhin die kostenlose Nationalstraße nehmen würden.

Die Gegner der A69 bedauern, dass in dieser Angelegenheit so viel wertvolle Zeit verloren wurde. »Es ist doch nicht normal, dass das Urteil in so einem Verfahren erst zwei Jahre nach Beginn der Arbeiten fällt«, meint Thomas Digard von La Voie est libre und erinnert an die vielen Umweltaktivisten, die in den zurückliegenden Jahren für ihr Engagement »Federn lassen mussten«. Der Verein fordert, alle A69-Gegner zu amnestieren, die wegen ihrer Aktionen gegen den Autobahnbau verurteilt wurden.

Ob und wie die bereits fertiggestellten Autobahnabschnitte »zurückgebaut« werden und wer die Kosten dafür trägt, ist noch offen. »Das Wichtigste ist, dass die Natur wieder zu ihrem Recht kommt«, meint Jean Olivier von der Vereinigung Freunde der Erde in der Region Südfrankreich und Pyrenäen.

Doch die Befürworter der A69 lassen nicht locker. Ihre Lobby wird angeführt durch den Pharmakonzern Pierre Fabre, der in Castres seinen Firmensitz und seine wichtigste Fabrik hat. Mit einem Jahresumsatz von mehr als drei Milliarden Euro ist er der wichtigste Arbeitgeber im Departement Tarn. Das Unternehmen hat selbst 8,6 Millionen Euro in den Bau investiert. Den Beziehungen des 2013 verstorbenen Firmenchefs Pierre Fabre in Wirtschaft und Politik war es zu verdanken, dass der Plan für diesen Bau überhaupt realisiert wurde. Seinerzeit hatte die Regierung grundsätzlich entschieden, keine neuen Autobahnen mehr zu bauen. Wie seinerzeit Fabre droht jetzt auch sein Nachfolger Pierre-Yves Revol damit, dass der Konzern bei einem Aus für die A69 künftig nicht mehr in den traditionellen Standort Castres investieren werde, was Konsequenzen für die Stadt und das Departement hätte.

Seit dem Urteil läuft in der Region eine Pressekampagne zugunsten der A69, die von der Regionalzeitung »La Dépêche du Midi« angeführt wird, zu deren Hauptaktionären der Fabre-Konzern gehört. Eine Petition unterschrieben bereits mehr als 15 000 Menschen. Geplant ist jetzt auch ein Protestwochenende an der Baustelle – ganz nach dem Vorbild der Umweltschützer.

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