Eine Linke, die Hoffnung gibt, indem sie gewinnt

Die Linke verankern – in den Vierteln, den Köpfen und den Herzen

  • Nam Duy Nguyen, Ferat Koçak und Luigi Pantisano
  • Lesedauer: 9 Min.
Der Einsatz hat sich gelohnt – doch wie geht`s nun weiter?
Der Einsatz hat sich gelohnt – doch wie geht`s nun weiter?

Die Linke hat das Potenzial, der Pol der Hoffnung in diesem Land zu werden. Nicht nur wegen der Wahlergebnisse, sondern vor allem, weil die letzten Wochen und Monate gezeigt haben, zu welcher Politik unsere Partei fähig ist. Die Energie, die wir gemeinsam freigesetzt haben, ist für viele von uns, die derzeit in der Linken aktiv sind, so spürbar wie selten zuvor. Mit diesem Rückenwind wollen wir Die Linke weiter voranbringen.

Wir schreiben aus unseren Erfahrungen, wie Die Linke sich erneuern und gewinnen kann. Und wir machen Vorschläge, welche Regeln die Partei gegenüber ihren Parlamentarier*innen vertreten sollte, weil wir in dem Fehlen solcher Regeln eine zentrale Quelle für die Krise der Linken sehen. Wir wollen keine Linke, in der 70 Abgeordnete untereinander, sondern 100 000 Genoss*innen miteinander kämpfen.

Wohin geht die neue Linke?

Die Linkspartei ist nicht mehr die, die sie noch im vergangenen Jahr war. Von den nun über 100.000 Mitgliedern kam die Hälfte im letzten halben Jahr dazu. Wie stellt sich diese neue Linke gegen den politischen Rechtsruck? Wie setzt sie sich mit neuen gesellschaftlichen Konflikten auseinander? Fragen, denen wir in der Serie »Wohin geht die neue Linke?« nachgehen.

Gemeinsam gewinnen lernen

Es gab in den letzten zehn Jahren große Bewegungen und Kämpfe. Und dennoch hat die gesellschaftliche Linke wenig Erfolge errungen. Die Angriffe auf den Sozialstaat gehen weiter. Die Mieten steigen. Menschenrechte werden geschliffen. Maßnahmen zur Rettung des Klimas werden ausgesessen. Die breite Mehrheit zahlt für eine Politik, die wenigen nützt. Das alles ließe sich ändern. Aber dafür müsste man sehr grundsätzlich unsere Wirtschaft und die Verteilung des Reichtums verändern. Die anderen Parteien schützen in ihrem konkreten Handeln – trotz warmer Worte und Versprechungen – am Ende die Eigentumsverhältnisse, von denen nur eine kleine Minderheit in diesem Land profitiert. Die Linke ist die einzige Partei, die bereit ist, die Wurzel des Problems anzugehen.

Doch dadurch allein ist noch nichts gewonnen. Unsere Herausforderung ist, Die Linke in die Lage zu versetzen, tatsächlich etwas zu ändern. Dafür brauchen wir die gemeinsame Kraft von Millionen Menschen in diesem Land und einen Plan, um diese Kraft so einzusetzen, dass sie wirkt. Weil wir hier unten stärker sein können als die da oben, wenn wir uns zusammenschließen. Denn wir werden die anderen Parteien nicht über kluge Anträge austricksen und ohne, dass sie es merken, wird plötzlich ein bundesweiter Mietendeckel eingeführt. Wir müssen unsere Forderungen aktiv gegen eine herrschende Politik durchsetzen, die sich an Millionären statt an Millionen Menschen in diesem Land ausrichtet. Denken wir diesen Kampf primär über das Parlament, haben wir ihn jetzt schon verloren. Denn wir sind offensichtlich weit von anderen politischen Mehrheiten entfernt und wir wissen, dass die Abgeordneten der Grünen und SPD am Ende der CDU näher sind als uns. Denken wir diesen Kampf jedoch über die Betriebe und Stadtviertel können wir gewinnen, denn das sind Orte, an denen man reale Stärke aufbauen kann. Das 100-Tage-Programm und auch die erste Orientierung von Jan van Aken und Ines Schwerdtner zeigen: Das ist ein Weg, auf den wir uns jetzt gemeinsam begeben können.

Zur Klasse sprechen, gemeinsam handeln

Wir wollen, dass Die Linke eine »Klassenpartei« wird. Wir sind nicht umsonst Sozialist*innen. Unsere Klasse ist riesig und divers. Zu ihr gehören die migrantische Pflegekraft, der ostdeutsche Wendeverlierer und die queere Aktivist*in in akademischer Kettenbefristung gleichermaßen. Wir kämpfen für alle. Wir werden die Klasse in ihrer Unterschiedlichkeit aber nur erreichen, wenn wir – wie in den letzten Monaten geschehen – kommunikativ auf zentrale Themen zuspitzen, die alle betreffen. Wir müssen wenige Themen kommunikativ und praktisch für alle bearbeiten, statt alle Themen für jeweils Wenige.

Die Autoren


Nam Duy Nguyen wuchs als Sohn vietnamesischer Vertragsarbeiter in Riesa auf. Bei der Landtagswahl in Sachsen 2024 gewann er eines von zwei Direktmandaten für die Linke und zog er als erster Abgeordneter mit außereuropäischen Wurzeln in den Sächsischen Landtag ein. Ferat Koçak, aufgewachsen in Berlin Neukölln, überlebte einen rassistischen Brandanschlag auf sich und seine Familie. Er sicherte bei der Bundestagswahl das erste Direktmandat in einem Westwahlkreis für die Linke. Luigi Pantisano stammt aus dem baden-württembergischen Waiblingen, ist von Beruf Stadtplaner. 2020 kandidierte er bei der OB-Wahl in Konstanz und verpasste mit 45 Prozent der Stimmen knapp den Wahlsieg. Seit der Bundestagswahl 2025 gehört er der Linksfraktion an.

Eine gemeinsame Zuspitzung zu formulieren, ist natürlich kein Ersatz dafür, gegen trennende und spaltende Ideologien in der Klasse zu kämpfen – auch, wenn sie dafür einen wichtigen Beitrag leistet. Die Arbeiter*innenklasse ist nicht nur in den Löhnen, sondern auch in verschiedenen politischen Fragen gespalten. Nur weil die Klasse an sich existiert, heißt es nicht, dass alle dieselben Erfahrungen und Meinungen teilen. Bei vielen Menschen existieren in den Köpfen konservative Frauenbilder, Rassismus oder militaristische Vorstellungen. Diese Ideen verändern sich nicht, indem wir nur unsere Ideen sagen oder diese auf Flyer drucken, sondern indem wir gemeinsam praktisches Handeln organisieren.

Wenn Menschen, die in ihrer eigenen Wirklichkeit nur Schmerz und Spaltung erfahren, neue Erfahrungen von Solidarität, Liebe und Gemeinschaft aufbauen. Der Nachbar, der rassistisch über andere Nachbarn spricht, verändert sich weder, wenn wir ihn einen »Rassisten« nennen, noch wenn wir seinen Rassismus ignorieren. Er verändert sich, wenn wir mit ihm persönlich sprechen. Er verändert sich, wenn er darauf zur Nachbarschaftsversammlung geht, die von der Linken organisiert wird, und dort merkt, dass er mit allen Nachbarinnen gegenüber dem Vermieter auf derselben Seite steht, und er später beim Kuchen die Menschen real kennenlernt, über die er sonst nur negativ denkt.

Machtaufbau braucht einen Plan

Weil die Linke zu viel über Texte gesprochen und zu wenig real gehandelt hat, hatte sie in den letzten Jahren für viele Menschen ihren Gebrauchswert verloren. Als Linke wütend zu sein und eine gute Forderung zu haben, ist ein guter Anfang. Allerdings haben wir an dieser Stelle zu häufig schon aufgehört. Die Leute setzen ihre Hoffnung nicht auf den Typen, der beim Fußballgucken den Fernseher anschreit. Sie setzen ihre Hoffnung in die Menschen, die auf dem Spielfeld stehen und den Kampf aufnehmen. Wenn man Recht hat, aber nicht handlungsfähig ist, ist man als Partei für die Herrschenden keine Gegnerin, und für die Beherrschten keine Bündnispartnerin. Wer wütend ist, aber ohnmächtig, wird nicht widerständig, sondern müde. Wir alle spüren Ohnmacht. Es ist die Aufgabe der Linken, mit einem Plan gegen die Ohnmacht zu kämpfen. Wir haben jetzt – mit vielen neuen Mitgliedern und ersten Aufbauerfolgen – die Chance, einen solchen Plan wirklich zu entwickeln.

In unseren Wahlkämpfen haben wir gelernt, wie das geht. Viele haben unseren Kreisverbänden nicht zugetraut, dass wir Wahlkämpfe direkt gewinnen können. Doch wir haben Umfragen, in denen wir zehn Prozent Abstand zu anderen Parteien hatten, zum Anlass genommen, um zu überlegen, welche Bedingungen es zum Siegen braucht. Die Linke ist eine kleine Partei. Wir können nur gewinnen, wenn wir kollektive Ressourcen aufbauen. Systematischer Stärkeaufbau ist das Zentrum unserer Arbeit. Zu jedem Zeitpunkt unseres Handelns kommt es darauf an, zu überlegen, wie wir nicht nur wachsen und mehr Leute beteiligen, sondern sie auch ausbilden und orientieren. Maßgebend für unsere Wahlkampagnen waren daher nicht wir als Kandidierende, sondern in erster Linie unser Kollektiv von Genoss*innen und wie wir beständig mehr werden.

Das ist auch die Philosophie, mit der wir den Menschen entgegentreten: Wir sind auf Augenhöhe mit unseren Nachbar*innen. Niemand von ihnen hat leere Versprechungen verdient. An den Haustüren geht es uns darum, ehrlich zuzuhören und an den Themen unserer Leute zu organisieren. Wir haben die Kampagnen so geführt, dass sich die Menschen an den Haustüren, in Versammlungen und auf Stadtteilfesten einbringen können. Wir sind überzeugt: Wir waren erfolgreich, weil es um eine reale Beteiligung unserer Leute ging. Wir waren bundesweit an über 600 000 Türen. Das sind Gespräche, in denen Menschen spüren: Ich bin nicht allein. So verankern wir Die Linke – in den Vierteln, den Köpfen und den Herzen.

Wir brauchen Regeln für Linke-Abgeordnete

Wir wollen eine glaubwürdige Linke, die nicht abgehoben ist. Unsere Abgeordneten haben dabei eine zentrale Rolle. Sie sind so etwas wie die öffentlichen Aushängeschilder der Linken. Doch warum haben so wenige in den letzten Jahren geglänzt?

Wir sehen zwei zentrale strukturelle Problemfelder:
1.) In der bürgerlichen Demokratie verdienen Abgeordnete mehr als den Durchschnitt der Arbeiter*innenklasse. Das ist kein Zufall, sondern gewollt: Ein*e Abgeordnete*r, auch wenn sie aus der Arbeiter*innenklasse kommt, wechselt mit dem Mandat ins Kleinbürgertum. Ihnen wird im Bundestag mit einer monatlichen »Entschädigung« von derzeit 11 200 € und zahllosen Privilegien, Ressourcen und Personal ein ökonomisch motiviertes Interesse am Verbleib im Parlament gegeben. Unabhängig davon, wie viel Geld sie spenden oder weitergeben, prägt ihre Rolle natürlich auch ihre Selbstwahrnehmung. Die jahrelangen öffentlichen Streitigkeiten der Bundestagsfraktion gehen auch darauf zurück, dass die Anreize der Parlamente die Transformation von Genoss*innen in geltungsbedürftige Ich-AGs begünstigen. Abgehobene Gehälter führen zu abgehobener Politik und das gilt auch für Abgeordnete der Linken. Wir setzen uns dafür ein, dass die Diäten gedeckelt werden – 2500 Euro netto im Monat reichen uns zum Leben.

2.) Linke-Abgeordnete haben eigene Finanzmittel und auch eigenes Personal. Dadurch ist jede*r Abgeordnete, insbesondere die mit besonders großen Mitteln ausgestatteten Bundestagsabgeordneten, in der Partei und den Untergliederungen ein politischer Player mit einer eigenständigen Machtbasis. Dies führte in den vergangenen 20 Jahren dazu, dass neue Menschen so gut wie nie auf vordere Listenplätze kamen. Für uns als Linke ist der Aufbau neuer Abgeordneter vor allem aus der arbeitenden Klasse jedoch entscheidend. Niemand von uns ist aus eigener Kraft ins Parlament gekommen, sondern weil hunderte Genoss*innen dies ermöglicht haben. In diesem Sinne sollten wir unsere Mandate wahrnehmen. Wir sagen es deutlich, auch weil es die Selbstwahrnehmung mancher Linke-Abgeordneter treffen wird – und auch, weil das für uns genauso gilt: Jede*r Abgeordnete ist ersetzbar. Daher ist es als Linke unsere Aufgabe, vor Ort Menschen einzuladen, zu fördern und breit zu qualifizieren, damit auch sie einmal Abgeordnete werden können. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass Menschen nicht länger als drei Legislaturen in den Parlamenten verbringen.

Das ist auch entscheidend, damit wir uns als Linke weiterentwickeln können: Die Linke muss die Stimme der »Expert*innen des Alltags« sein. Wir brauchen mehr Arbeiter*innen im Parlament, und immer neue Leute, die sich mit voller Kraft dem Aufbau unserer Partei widmen können und zu »unseren Leuten« sprechen. Schaffen wir den Raum dafür. Denn die Chancen stehen gut, dass in ein paar Jahren andere unseren Platz besser einnehmen können.

Wir sind Abgeordnete der Linken, aber wir wollen keine Berufspolitiker*innen sein. Wir wollen mit unserer Arbeit dabei unterstützen, dass wir vor Ort handlungsfähige Kreisverbände aufbauen, in denen Menschen gemeinsam lernen und sich kollektiv befähigen, um Erfolge für unsere Klasse zu erstreiten. Wir sind nicht einzigartig, sondern einzigartig ist das, was unsere Genoss*innen in den letzten Monaten bei uns vor Ort aufgebaut haben. Wir wollen eine Partei, in deren Zentrum die lokale Aufbauarbeit und nicht die Streitigkeiten von Abgeordneten stehen. Lasst uns dafür an den guten Erfahrungen ansetzen und auf die schlechten Erfahrungen mit Regeln reagieren. Niemals allein. Immer gemeinsam.

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