Umweltschutz dient der Sicherheit

Fachleute befürchten, dass die Milliarden des Infrastruktur-Sondervermögens vor allem in Beton gegossen werden sollen

Brückenbauwerk an der Kelsterbacher Spange in Hessen: Straßen sollten saniert und nicht neu gebaut werden.
Brückenbauwerk an der Kelsterbacher Spange in Hessen: Straßen sollten saniert und nicht neu gebaut werden.

Es gab Zeiten in Deutschland, da war die Milliarde die kleinste Ausgabeneinheit der Bundesregierung. Das hat sich durch verschiedene Krisen längst geändert –und auch die künftige Koalition aus Union und SPD stößt mit ihrem angekündigten Finanzpaket in Hunderte-Milliarden-Dimensionen vor. Während die künftigen Aufwendungen für Rüstung noch nicht abzusehen sind, soll ein genau beziffertes Sondervermögen von 500 Milliarden Euro zur Instandsetzung der Infrastruktur für eine Dauer von zehn Jahren geschaffen werden. 100 Milliarden Euro davon sollen an Bundesländer und Kommunen gehen.

Was alles unter »Instandsetzung der Infrastruktur« fällt, da halten sich die Koalitionäre bisher bedeckt. Aus vorbereitenden Unterlagen für das Sondervermögen geht nur hervor, dass Wirtschaftsberater ein weiteres Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungsgesetz für nötig halten, damit das Geld »auf die Straße« kommt. Unter Umweltfachleuten geht entsprechend die Befürchtung um, die Milliarden würden vor allem in Beton gegossen und die Infrastruktur werde nicht wirklich zukunftsfähig.

Für Klimaforscher Niklas Höhne ist es jedenfalls »erstaunlich«, dass Klimamaßnahmen im Finanzpaket keine explizite Erwähnung finden. »Klimaschutz ist eine Jahrhundertaufgabe und braucht neben anderen politischen Instrumenten auch staatliche Investitionen«, erklärt der Chef des New Climate Institute in Köln gegenüber »nd.DerTag«.

Unter den groben Begriff »Infrastruktur« sollten aus Sicht von Höhne auch konkrete, für den Klimaschutz wichtige Anliegen fallen. Dazu gehören die energetische Sanierung öffentlicher wie privater Gebäude, ein stärkerer Ausbau von Bahn und öffentlichem Nahverkehr sowie der Umbau zu begrünten, fußgänger- und radfahrerfreundlichen Städten. Straßen sollten nur saniert und nicht neu gebaut werden.

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Der Erneuerbare-Energien-Verband BEE begrüßt die grundsätzliche Einigung von Union und SPD. Schon lange sei klar, dass es mehr Investitionen brauche, nicht zuletzt in Energiewende-Infrastrukturen sowie Digitalisierung, um den Standort Deutschland zukunftsfähig aufzustellen, betont BEE-Präsidentin Simone Peter auf Nachfrage. Das sei in den weiteren Verhandlungen klar zu priorisieren und verfassungsfest zu sichern.

Sie hat auch eine konkrete Vorstellung davon, wofür vorrangig Geld ausgegeben werden sollte: für den Aus- und Umbau der Netze gerade auch im Wärmebereich sowie für den Markt-Hochlauf von grünem Wasserstoff und anderen klimaneutralen Technologien. Die Investitionen müssten auch dauerhaft bezahlbare Energiepreise, Versorgungssicherheit sowie flexible digitale Lösungen für Verbraucher und Speicher zum Ziel haben, betont Peter. Ihr Verband hält zudem rechtliche Beschleunigungen für nötig, darunter die Beseitigung administrativer Hemmnisse für Genehmigung und Bau von Erneuerbaren-Anlagen, Speichern und Netzanschlüssen.

»Klimaschutz ist eine Jahrhundertaufgabe und braucht neben anderen politischen Instrumenten auch staatliche Investitionen.«

Niklas Höhne New Climate Institute

»Das von Friedrich Merz formulierte Diktum ›Whatever it takes‹ muss auch für den Klima- und Naturschutz gelten – und damit nicht nur für die Landesverteidigung, sondern auch für die Verteidigung des Planeten«, forderte Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Deutschlands Freiheit und Sicherheit seien nur durch die Unabhängigkeit von fossilen Energien und ihren Lieferanten sowie durch den Schutz vor der Klima- und Biodiversitätskrise möglich. Besonders die Grünen in Bundestag und Bundesrat dürften der angestrebten Grundgesetzänderung nur zustimmen, wenn es auch die notwendigen Investitionen in Klimaschutz, Naturschutz und die ökologische Modernisierung der Wirtschaft gebe, so der DUH-Geschäftsführer.

Nach Angaben des Umweltverbandes BUND summiert sich der Bedarf an Klima- und Naturschutzmaßnahmen allein bis 2030 auf jährlich mindestens 77 Milliarden Euro. Vieles davon seien Infrastrukturinvestitionen. Gebraucht würden aber auch sozial gestaffelte Förderprogramme für Haussanierungen oder Wärmepumpen.

Mit derselben Dringlichkeit wie für Verteidigung und Infrastruktur müssten auch die immensen Herausforderungen bei Klimaschutz und -anpassung angepackt werden, erklärte der schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt. »Wir brauchen beispielsweise Investitionen in zukunftsfeste Küstenschutzanlagen, Wärme- und Wasserstoffnetze, Moorrenaturierungen und vieles mehr«, zählte der Grünen-Politiker auf und betonte: »All dies dient der Sicherheit der Menschen in unserem Land.«

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