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Nukleare Abschreckung macht uns nicht sicherer
Deutschland sollte sich für mehr Rüstungskontrolle und einsetzen, anstatt sich daraus zurückzuziehen, fordert Angelika Claußen
Die Bundesregierung gibt den Willen zur völkerrechtsverbindlichen atomaren Rüstungskontrolle und Abrüstung auf. Nur so ist zu verstehen, dass die Bundesregierung die Teilnahme als Beobachterin zu den Kontrollverhandlungen zum UN-Verbotsvertrag abgesagt hat, die in dieser Woche in New York City bei der UN stattfinden.
Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde von der Zivilgesellschaft und zahlreichen atomwaffenfreien Staaten gegen den politischen Willen der neun Atomwaffenstaaten durchgesetzt. Inzwischen sind dem Atomwaffenverbotsvertrag 94 Staaten beigetreten, 73 Länder haben ihn ratifiziert. Der Vertrag hat eine grundsätzliche Norm im Völkerrecht bekräftigt, dass die Menschheit ein Recht auf eine Welt ohne Atomwaffen hat.
Dr. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie ist Co-Vorsitzende der deutschen IPPNW-Sektion.
Der angebliche Grund für den deutschen Boykott der Konferenz: Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und Russlands nukleare Drohungen. Doch 2023 nahm die Bundesregierung noch teil. Sie verstand sich bislang als Brückenbauerin zwischen den Atomwaffenstaaten und jenen, die diese Waffen verbieten möchten. Das Auswärtige Amt erwog, Unterstützung zu leisten für die Überlebenden von Atomtests in der Südsee und in Kasachstan. Die Artikel 6 und 7 des AVV machen es auch Nichtvertragsstaaten möglich, sich für die medizinische Versorgung der Überlebenden und für die Umweltsanierung in den Atomtestgebieten zu engagieren.
Statt humanitäre Aspekte und nukleare Gerechtigkeit für die Überlebenden zur Priorität zu machen, kündigt CDU-Chef Friedrich Merz an, dass er als zukünftiger deutscher Kanzler »die strategische Debatte über den Schutz unserer Verbündeten auf dem europäischen Kontinent durch unsere Abschreckung« eröffnen werde. Er will offensichtlich eine deutsche Beteiligung an den französischen Atombomben. Damit bekräftigt er das Mantra, dass nur Atomwaffen und atomare Abschreckung Sicherheit gewährleisten.
Doch nukleare Abschreckung macht uns nicht sicherer, sondern Deutsche und Europäerinnen werden im Gegenteil zum Ziel für mögliche russische Angriffe. Nukleare Abschreckung erhöht in Wirklichkeit die Gefahr eines Atomkriegs. Dazu kommt, dass sie immense Kosten verursacht und damit Ressourcen von dringend benötigten sozialen und wirtschaftlichen Projekten abzieht. Nicht zuletzt verletzt sie die deutschen und französischen Verpflichtungen gemäß dem Atomwaffensperrvertrag, bei dem es gerade darum geht, dass Atomwaffenstaaten keine Atomwaffen weitergeben sollen und Nicht-Atomwaffenstaaten den Besitz von Atomwaffen nicht anstreben sollen.
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Statt auf atomare Abschreckung zu setzen, sollte sich Deutschland für Rüstungskontrolle und vertrauensbildende Maßnahmen mit Russland einsetzen. Dazu gilt es auch direkte Gesprächskanäle nach Russland zu eröffnen.
Die deutsche Bundesregierung muss den Dialog mit den Mitgliedsstaaten des Atomwaffenverbotsvertrages wieder aufnehmen und sich für die nukleare Abrüstung einsetzen, anstatt Atomwaffen durch Debatten um eine europäische Abschreckung zu legitimieren. Zudem muss die Unterstützung der von Atomwaffen betroffenen Menschen weitergehen, die bis heute unter den Folgen der Entwicklung dieser Waffen leiden.
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