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Berliner Senat: Prüfstein war gestern
Die schwarz-rote Koaltion weitet Grundrechtseinschnitte ungeprüft aus, meint Jule Meier
Ein Goldschmied reibt ein Metallobjekt an einem Prüfstein, bis ein Strich entsteht. Den vergleicht er dann mit der Farbe von Probiernadeln, deren Goldgehalt er kennt, um den Wert des Objekts zu prüfen.
Das ist Ursprung des sprichtwörtlichen Prüfsteins. Der schwarz-rote Senat bringt seine Thesen nur ungern auf diesen. Neue Gesetze und Maßnahmen auf ihren Wert zu prüfen, scheint ihm verstaubt. Mittelalterliche Goldbestimmungs-Techniken wirken im Gegensatz dazu geradezu fortschrittlich.
Darauf lässt zumindest die Sitzung des Innenausschusses am Montag schließen: Die Berliner Polizei soll Telefonüberwachung und Handyortung zur Gefahrenabwehr nun unbefristet nutzen dürfen – und zwar, ohne dass es einer Prüfung dieser Befugnisse bedarf. Sie gelten erst seit 2021, zuvor durften sie nur in Ermittlungen gegen Tatverdächtigte angewendet werden. Eigentlich sollten die polizeilichen Befugnisse nur für vier Jahre gelten und dann wissenschaftlich überprüft werden. Einem entsprechenden Antrag auf Unbefristung ohne Prüfung der Regierungskoalition stimmten CDU, SPD und AfD zu.
Kritik hagelt es nicht nur von Linken und Grünen. Auch Berlins Datenschutzbeauftragte Meike Kamp meldet sich zu Wort: »Die Evaluation von Sicherheitsgesetzen ist keine bloße Formalie, sondern ein wesentliches Element des Grundrechtsschutzes.« Dass die Evaluierungspflicht nun vollständig gestrichen werde, stehe laut Kamp rechtsstaatlichen Grundsätzen entgegen. Ihre Bedenken hat die Datenschutzbeauftragte dem Innenausschuss mitgeteilt.
Mit der Ausweitung dieser polizeilichen Befugnisse und dem Einsparen einer Überprüfung der Maßnahmen scheint sich der Senat also sicher, einen Goldschatz gefunden zu haben. Schließlich ist Überwachung seit jeher ein beliebtes Mittel autoritärer Staaten.
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