Gewürzinsel mit wilder Geschichte

Der Karibikstaat mausert sich zur Tourismusdestination, auch dank des Flughafens, der in sozialistischer Bruderhilfe von Kubanern erbaut wurde

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 7 Min.
Byron Campbell in einem seiner Grapefruit-Haine
Byron Campbell in einem seiner Grapefruit-Haine

Freundschaften schließt man schnell auf Grenada. »Hey, du bist schon zum dritten Mal hier. Sei willkommen, dein erstes Bier geht hier aufs Haus«, sagt Toby, Betreiber einer kleinen, aus kunterbunt angemalten Brettern gezimmerten Bar an der Dragon Bay an der Westküste der Insel. Ich bin zwar nur zum zweiten Mal da, wir wollen ja nicht übertreiben. Aber die Einladung nehme ich trotzdem an.

Toby hat sich einen guten Standort für seine Bar ausgesucht. Die Dragon Bay bietet den schnellsten Zugang zu einer der großen Attraktionen Grenadas, dem Unterwasser-Skulpturenpark. Der Bildhauer Jason Decaires Taylor ließ die ersten aus pH-neutralem Beton und rostfreiem Stahl gefertigten Skulpturen 2006 als Reaktion auf den damals verheerenden Hurrikan »Ivan« auf dem sandigen Meeresgrund verankern. »Der Hurrikan hat damals auch viele Korallenriffe beschädigt. Die Schnorchler und Taucher konzentrierten sich daraufhin auf die wenigen noch in gutem Zustand verbliebenen Riffe, die dadurch wiederum stärker belastet wurden. Darunter war auch die nahe gelegene Flamingo Bay. Um diese Touristenströme etwas umzulenken, kam ich auf die Idee mit den Skulpturen«, teilt Taylor, der auch als Tauchlehrer tätig war, »nd« aus seinem Atelier in London mit.

Kunst unter Wasser

Unterwasserskulptur von Jason deCaires Taylor
Unterwasserskulptur von Jason deCaires Taylor

Die erste Skulpturengruppe nennt sich »Vicissitudes« (auf Deutsch Ungewissheiten oder Wechselfälle) und besteht aus einer kreisförmigen Formation von Kindergestalten. Modell standen Schulkinder der Umgebung. »Ich wollte die lokale Bevölkerung stärker mit dem Meer in Verbindung bringen. Mir ist aufgefallen, dass viele gar nicht schwimmen können«, erzählt er. Das kam gut an. Eines der Mädchen, das bei dem Projekt dabei war, wurde später Meeresbiologin.

Mehrere Dutzend Figuren und Figurengruppen ließ Taylor in der Bucht inzwischen auf den Meeresgrund. An ihnen haben sich mittlerweile vielerlei Korallen und Meerespflanzen angesiedelt. Auch viele buntgefärbte Kaiserfische und Barsche schwimmen ringsherum, was den Reiz dieser Kunstausstellung nur noch erhöht.

Meeresschutzgebiet als Attraktion

Das Areal rings um den Skulpturenpark wurde zudem zum Meeresschutzgebiet erklärt. An der Bar an der Dragon Bay warten einige junge Männer mit kleinen Booten auf Interessierte, die sie zur benachbarten Bucht zu den Skulpturen fahren. Und wenn man statt der Bucht links mit den Skulpturen die Küstenlinie rechts abschnorchelt, gelangt man in die Flamingo Bay mit prächtiger Unterwasserfauna. Die konnte sich dank der Touristenstromumleitung gut erholen, wenngleich die erhöhten Wassertemperaturen im letzten Sommer auch hier einige Korallen zum Absterben brachten.

Auf die Flamingo Bay machte mich Byron Campbell aufmerksam – einer der wenigen Anwohner, der selbst schnorchelt. Er pflege dabei sogar zu singen, wie er lachend verrät. Campbell betreibt gemeinsam mit seinen Geschwistern eine Farm im Nordwesten der Insel. Dort baut er die klassischen Exportprodukte Grenadas an: Muskatnüsse und Kakao. Aber auch Bananenstauden, Mango- und Brotfruchtbäume, Sorrel und Soursop sowie Zitrusfrüchte wachsen auf dem mehrere Hektar großen Anwesen. Auch Reste einer alten Mühle, mit der die Vorbesitzer Zuckerrohr zerkleinern ließen, sind versteckt unter Palmen.

Früchteparadies Grenada

Neben den Stränden, den Riffen und den zahlreichen Wracks für Taucher und Schnorchler ist die Vielfalt der Landwirtschaft eine der Attraktionen Grenadas. Zu Zeiten der Kolonisierung war das eher eine Abfolge von Monokulturen: Erst Zuckerrohr, bis dann Rübenzucker den Weltmarkt flutete und parallel die Abschaffung der Sklaverei für plötzlichen Mangel an billig auszubeutenden Arbeitskräften sorgte. Dann wurde auf Kakao und Bananen umgesattelt. Als auf Indonesien in den 1850er Jahren ein Schädling die Muskatnussplantagen verwüstete, nutzten Pflanzer auf Grenada die Chance und machten ihre Heimat zur Gewürzinsel.

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Muskatnüsse spielen immer noch eine wichtige Rolle. Nachdem Hurrikan »Ivan« 2004 viele Muskatnussbäume geradezu abrasiert hatte, scheuten viele Bauern allerdings die mühsame Neuanpflanzung. »Acht Jahre dauert es, bevor die erste Ernte kommt«, erzählt Campbells Bruder Gavin. Viele Pflanzungen wurden daher aufgegeben. Und Grenada, vor »Ivan« laut Byron Campbell weltweit zweitgrößter Exporteur von Muskatnüssen, rutschte auf Rang acht ab. Auch die Campbells scheuten vor der Wiederaufforstung einer Muskatnusspflanzung auf ihrem Gelände zurück. Sie produzieren aber immer noch drei bis fünf Tonnen Muskatnüsse und ein bis zwei Tonnen Kakaobohnen pro Jahr. »Wir liefern das dann bei der Kooperative ab. Dort werden die Kakaobohnen getrocknet, die Muskatnüsse aus den Schalen geholt und dann die Ware nach Europa verschifft«, sagt Gavin Campbell.

Schokoladentee und Verkaufsschlager Soursop

»Früher, zu Zeiten unseres Vaters, haben wir die Kakaobohnen noch selbst getrocknet«, erinnert er sich und zeigt auf Trockenvorrichtungen unter dem auf Pfählen stehenden kleinen Haus. »Meine Großmutter hat auch noch selbst Kakao gemacht. Die Bohnen wurden geröstet, dann mit einer Handmühle gemahlen und mit Wasser aufgekocht. Wir nannten das ›Schokoladentee‹. Marken wie Milka oder Ovomaltine kannten wir gar nicht«, erzählt er lachend.

Seit einigen Jahren exportiert Grenada nicht mehr nur Kakaobohnen, sondern verarbeitet sie selbst in größerem Umfang zu Schokolade. Die kann man, wie auch den klassischen ›Schokoladentee‹, im House of Chocolate, einem Kakaomuseum mit Café in der Hauptstadt, probieren.

Aktuell ist die Frucht, die die größten Gewinnspannen verspricht, allerdings die Soursop (Stachelannone). Daraus kann man leckeren Saft bereiten. »Grenada darf als einziges Land Soursop-Früchte in die USA liefern, weil wir hier auf Chemikalien verzichten. Das ist ein gutes Geschäft«, sagt Byron Campbell und schneidet mir eine der großen länglichen Früchte mit dem süßsauren weißen Fleisch im Inneren zum Probieren auf. Ihre Farm auf einer Flanke des Mount d’Or spiegelt große Teile der Agrargeschichte Grenadas seit der Kolonisation wider. »Auch Zuckerrohr haben wir noch«, sagt Byron Campbell und reicht eine Stange zum Naschen herüber.

Tipps
  • Anreise: Direktflüge von Europa nach Grenada gibt es nicht. British Airways bietet Verbindungen mit Zwischenstop in Barbados an. Auch von Trinidad und St. Lucia geht es direkt mit Inter Caribbean bzw. Caribbean Airlines nach Grenada.
  • Belmont Estate:
    belmontestategrenada.com
  • Kakaomuseum:
    houseofchocolategnd.com
  • Skulpturenpark:
    underwatersculpture.com

    Die Brüder planen, ein Ökotourismuszentrum aufzubauen. Erfahrungen haben sie ausreichend. Gavin Campbell arbeitete zuletzt als Qualitätsprüfer für die Kakao-Kooperative des Landes. Byron Campbell gehört der Muskatnuss-Kooperative an und war früher unter anderem im Landwirtschaftsministerium tätig, leitete auch eine Abteilung für Klimawandel-resistenten Anbau. Ihre Farm ist eine Antwort auf diese Herausforderungen. Statt auf Monokultur setzen die Campbells auf Vielfalt. Die großen Bäume schützen die empfindlicheren Gehölze vor Entwurzelung durch starke Winde. Der Bodenerosion wird vorgebeugt. Und das ganze Jahr über gibt es Früchte und Gewürze aller Art.

    Einblicke in größere Pflanzungen mit den klassischen Herrenhäusern aus den Zeiten der Sklaverei kann man in Grenada auch gewinnen, etwa auf dem Belmont Estate im Nordosten der Insel. Dort kann der gesamte Produktionsweg von der Kakaobohne bis zur fertigen Schokaldentafel nachverfolgt werden.

    Agrarhistorie und politische Geschichte

    Das noch im Aufbau befindliche Ökotourismuszentrum der Campbells hat aber den Charme, dass man auch noch Revolutionsgeschichte erfahren kann. Der spätere Kakaobohnen-Qualitätskontrolleur Gavin Campbell etwa lernte auf der Landwirtschaftsschule, die die Revolutionsregierung des New Jewel Movement unter Maurice Bishop 1979 einrichtete, um mehr Wissen unter den Bauern zu verbreiten. Byron Campbell war während der Revolution unter anderem für das gesamte Transportwesen des Landes zuständig. Er befand sich am Tage der Erschießung von Revolutionsführer Maurice Bishop am 19. Oktober 1983 auf Fort George, wo die Exekution durch eine verfeindete Fraktion innerhalb des New Jewel Movement stattfand – und stand selbst auf einer der Todeslisten, wie er erzählt. Nach der Invasion durch die US-Truppen eine Woche später wurde er von diesen gesucht und musste eine Zeit lang untertauchen.

    Von Bruder Gavin existiert sogar ein Foto, das zeigt, wie ein US-Soldat ein Gewehr auf ihn richtet. Bei den Campbells gibt es Agrargeschichte und Revolutionsgeschichte aus einer Hand. Und wer beim Tauchen oder Schnorcheln in der Flamingo Bay Gesänge hört, der kann sich sicher sein, dass Byron Campbell mal wieder seiner anderen Leidenschaft, der maritimen, frönt.

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