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Klimakläger aus den peruanischen Anden
Mit Sorge beobachtet Saúl Luciano Lliuya den Klimawandel in den Anden und will einen Präzedenzfall schaffen
Saúl Luciano Lliuya streckt den Arm aus und deutet auf ein gelbes, zweistöckiges Haus mit Dachterrasse in der Mitte der Straße. »Da wohnt mein Sohn mit zwei Neffen. Es ist das Haus unserer Familie«, erklärt der 44-Jährige und winkt dem Mechaniker zu. Gerade hat er seinen weißen Kombi am Eingang der Straße im Stadtteil Nueva Florida an der kleinen Werkstatt geparkt. »Ich muss das Reserverad abholen. Dann geht es direkt weiter zur Lagune Palcacocha«, erklärt er und verschwindet im Inneren der Werkstatt. Zwei Minuten später öffnet er die Heckklappe und wuchtet das Rad in die dafür vorgesehene Aussparung auf dem Boden des Kofferraums.
Anschließend geht es weiter, den eisbedeckten Bergen entgegen, die dem drahtigen Mann mit der hohen Stirn so vertraut sind. »2002 habe ich meine Ausbildung zum Bergführer dort oben gemacht. Jedes Jahr im Frühjahr treffen sich die akkreditieren Bergführer, um sich auszutauschen und zu sehen, ob die Gletscherzungen weiter zurückgegangen sind, und um den Pegelstand der Lagune in Augenschein zu nehmen.« Der See, eingefasst im Tal zwischen den beiden Bergen Ranrapalca und Ocshapalca ist das Ziel des Ausflugs. Geschickt lenkt Lliuya seinen Wagen über die zunehmend schlechter werdende Straße, die als Piste irgendwann an einem Tor endet. »Ab hier haben die Leute von der Umweltbehörde und das Monitoring-Team der Lagune das Sagen«, erklärt er und begrüßt einen Mann, der in einem Wachhäuschen Dienst hat. Ein Anruf beim Ingenieur der Umweltbehörde reicht, um passieren zu können. Saúl Luciano Lliuya lächelt zufrieden, denn das war nicht immer so. Seit dem Besuch einer Delegation aus Deutschland im Mai 2022, die das Oberlandesgericht Hamm entsandte, hat sich einiges geändert in Huaraz und auch im Leben des Klimaklägers.
Lliuya blickt zurück auf die Anfänge seiner Arbeit. »Im Sommer 2014 habe ich mich nach langen Diskussionen mit meinem Vater Julio Luciano und meinem Freund José Valdivia Roca entschieden, etwas gegen Klimawandel, Gletscherschmelze und der zunehmenden Verknappung von Wasser zu tun«, erinnert er sich. Sein Freund José Valdivia Roca, ein 45-jähriger Umweltingenieur, hat damals die Verbindung zu Germanwatch geknüpft. Im Anschluss an die UN-Klimakonferenz in Lima im Dezember 2014 tauchte dann Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der deutschen Umweltorganisation, mit seinem Team in Huaraz auf. Damals hatten sie gemeinsam beschlossen, den deutschen Energiekonzern RWE zu verklagen, weil er mitverantwortlich für den Klimawandel in den peruanischen Anden sei. An die gemeinsame Visite der Lagune Palcacocha kann sich der Bergführer noch gut erinnern. »Damals mussten wir den Weg zu Fuß bewältigen. Die Piste ist erst später entstanden, genauso wie der Parkplatz und das Abpumpsystem mit den zehn dicken schwarzen Rohren«, erklärt er und parkt seinen Kombi. Von hieran geht es zu Fuß weiter. Der Weg verläuft parallel zu den Rohren, die talabwärts Richtung Huaraz führen und dafür sorgen, dass überschüssiges Wasser aus der Lagune abgepumpt werden kann.
Am Montag und Mittwoch verhandelt das Oberlandesgericht Hamm die zivilrechtliche Klage des peruanischen Bergbauers und Bergführers Saul Luciano Lliuya. Vom Gericht bestellte Geowissenschaftler und Statiker stellen dort ihre Befunde zu den Auswirkungen der Gletscherschmelze vor. Dabei geht es um die Frage, welche Gefahren für Lliuya Haus in der Stadt Huaraz von einer möglichen Flutwelle ausgehen. Der Gutachter Rolf Katzenbach hatte sich in Peru vor Ort ein Bild der Lage gemacht und schätzt die Gefahr einer Flutwelle in den kommenden 30 Jahren auf unter drei Prozent ein. Die Organisation Germanwatch, die Lliuya unterstützt, spricht dagegen von einer größeren Gefahr. Die schmelzenden Gletscher ließen den Wasserpegel steigen. »Zugleich taut auch der Permafrost im Fels oberhalb des Sees, sodass es zu Abbrüchen kommen kann, die eine verheerende Flutwelle auslösen könnten«, erklärte die Organisation. Lliuya wirft dem deutschen Unternehmen vor, durch die produzierten CO2-Emissionen mitverantwortlich für den Klimawandel zu sein. Wenn das Gericht feststellt, dass der Kläger und seine Familie tatsächlich bedroht sind, wird das Verfahren nach dem zweiten Verhandlungstag fortgeführt. Agenturen/nd
Der Bergsee liegt malerisch im Licht der Morgensonne, die sich über die schneebedeckten Gipfel der Cordillera Blanca tastet, die aus mehr als 50 Bergen von über 5700 Meter Höhe besteht und das ausgedehnteste Gletschergebiet in tropischen Breitengraden beherbergt. 800 Quadratkilometer umfasste es einmal, heute existiert kaum mehr als die Hälfte, schätzen peruanische Gletscherforscher. Lliuya deutet auf die tiefen Spalten in den Felsen. »Die waren noch vor ein paar Jahren von einem dicken Eispanzer bedeckt«, erklärt der zurückhaltend auftretende Peruaner. Er macht sich Sorgen über die Zukunft der Region, seiner Familie, insbesondere über die Perspektiven seiner beiden Kinder. Von klein auf hat er gesehen, wie sich die Natur verändert. »Ich habe unsere Kühe auf den Weiden in den Tälern zwischen den Bergen gehütet, und auch heute haben wir ein paar Tiere dort stehen«, sagt er. Den Rückzug der Gletscher, das Abbrechen von großen Eismassen hat er immer wieder beobachtet.
Als er 2002 offiziell zum Bergführer ernannt wurde, studierte er die ersten Berichte und Fotos von den Bergen Ranrapalca und Ocshapalca aus den 1930er Jahren. »Hans Kinzl, ein Österreicher, gehört zu den ersten, die ihre Beobachtungen und Fotos veröffentlicht haben«, erklärt er. Dann lauscht er dem Grollen der Berge. Lawinen lösen sich hin und wieder, manchmal aus Eis, aber immer häufiger auch aus Stein. Tiefe Krater und zerklüftete Felsen prägen das Gebiet unterhalb der Bergkuppen, das nicht mehr von Gletschern bedeckt ist. Das Schmelzwasser hat zuletzt immer wieder für bedrohliche Pegelstände in der Lagune Palcacocha gesorgt. Davon ist heute wenig zu sehen. »Fünf Meter niedriger als beim letzten Mal ist der Pegel heute«, sagt Lliuya, »aber die Lagune enthält rund 17 Millionen Kubikmeter Wasser. Ein Dammbruch wäre eine Katastrophe«.
Das Risiko hat den zweifachen Vater, der neben der Messstation Platz nimmt, immer wieder beschäftigt. Also reiste er 2015 mit Vater Julio Luciano nach Deutschland, um eine Klage gegen einen der größten europäischen CO2-Emittenten einzureichen: RWE. Der Essener Konzern soll sich an den Kosten für einen Damm, das Monitoring und einer Abpumpstation beteiligen. Zehn Jahre später ist er sich sicher, richtig gehandelt zu haben. »Hier haben mich die Menschen lange nicht verstanden; Gerüchte kursierten, ich würde die Lagune verkaufen wollen und mit der Klage Profit machen. Selbst meine Familie war zwischenzeitlich skeptisch, was ich da treibe«, sagt er und grinst. Das hat sich mit der Visite der Delegation aus Deutschland im Mai 2022 spürbar geändert. Die Leute hätten begriffen, wie alles zusammenhänge, dass auch ein deutsches Unternehmen mitverantwortlich für die Gletscherschmelze in der Cordillera sei.
Dazu hat beigetragen, dass sich die deutsche Delegation mit allen relevanten Institutionen – von der Umwelt- bis zur Finanzbehörde – traf, aber auch, dass sie die betroffenen Gemeinden aufsuchte. »Das war ein fundierter, gut vorbereiteter Besuch, der vielen Menschen in und um Huaraz die Augen öffnete«, urteilt Lliuya. Die Visite hat dem geduldig agierenden Mann zweifellos den Rücken gestärkt. Nie hätte er gedacht, dass sich der Prozess so lange hinziehen würde, aber auch nicht, dass die Delegation eines deutschen Gerichts jemals zur Beweisaufnahme nach Huaraz kommen würde. Das lässt ihn wieder optimistischer in die Zukunft blicken.
Schon jetzt sei ein Präzedenzfall geschaffen worden, sagen seine Anwältinnen, denn nun werde über das Verursacherprinzip auch über große Entfernungen und nicht nur in direkter Nachbarschaft gesprochen. Ein Etappenerfolg. »Er zeigt, dass die Richter die Klage ernst nehmen. Hier in Peru muss man damit rechnen, dass solche Klagen zu den Akten gelegt werden.« Daher ist er zufrieden, mit der Klage vor der deutschen Justiz gelandet zu sein und schätzt die Chance auf ein positives Urteil auf 50:50 ein.
Er deutet auf die Moränen, die nackten Felsen, die rund um die Lagune zu sehen sind. »Die Oxidation von Schwermetallen in der Luft und die Kontaminierung von Schmelz- wie Regenwasser ist ein neues Problem mit dem wir es zu tun haben«, erklärt der Bergführer, der außerhalb der Saison Kleinbauer ist.
Von Mai bis Anfang September verdient er sein Geld als Touristenguide und lebt in dem gelben Haus im Stadtteil Nueva Florida in Huaraz. Ab Mitte September steht dann die Aussaat von Mais, Getreide und Kartoffeln für die Versorgung der Familie an. Dann zieht er um ins Dorf Centro Poblado de Llupa, wo Frau und Tochter leben und auch sein Vater Julio Luciano. »In meinem Dorf haben wir zunehmend Probleme mit der Wasserversorgung. Es kommt vor, dass meine Frau waschen will und es an Wasser fehlt«, sagt er. Auch für den Anbau ist das ein Problem, denn die Aussaat funktioniert nur, wenn die Regenfälle pünktlich im September kommen. Genau das ist mit dem Klimawandel aber immer unsicherer geworden.
Auch die fehlenden Anpassungen an die Gletscherschmelze bereiten dem Umweltschützer Sorgen. Seit mehreren Jahren gibt es schon die Pläne für den Ausbau des Deiches, der die Lagune Palcacocha einfassen und den Kanal, der den Abfluss der Wassermassen im Notfall erleichtern soll. »Doch hier geht alles sehr langsam«, erklärt er. »Das gilt auch für den Bau von Wasseraufbereitungsanlagen, einem Klärwerk und den Ausbau regenerativer Energien.« Fast alle Bürgermeister der letzten zehn Jahre sitzen im Gefängnis, weil sie in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Daher ist die politische Situation auf regionaler und nationaler Ebene für ihn wenig hoffnungsvoll. »Umso wichtiger ist es, dass der Prozess in Hamm Fortschritte macht«, sagt er und steht auf. Es ist Zeit den Rückweg anzutreten.
»Die Lagune enthält rund 17 Millionen Kubikmeter Wasser. Ein Dammbruch wäre eine Katastrophe.«
Saúl Luciano Lliuya
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