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Einiges zu gewinnen – noch mehr zu verlieren

Wie kann der Wahlerfolg als Kraft eines konsequenten sozialen Antifaschismus verstetigt werden?

  • Jan Schlemermeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Haustürwahlkampf hat der Linken Glaubwürdigkeit und damit viele Stimmen verschafft. Ausruhen darf sie sich darauf nicht.
Der Haustürwahlkampf hat der Linken Glaubwürdigkeit und damit viele Stimmen verschafft. Ausruhen darf sie sich darauf nicht.

Es gibt zwei Missverständnisse bei der Auswertung der Bundestagswahl im progressiven Spektrum. Das eine betrifft SPD und Grüne, das andere Die Linke. Beide können zu strategischen Fehlschlüssen führen, die wir vermeiden sollten. Denn angesichts eines Rechtsrucks von historischem Ausmaß haben progressive Demokraten für Umwege keine Zeit mehr. Der neue, rechtsoffene Block von AfD und Union bis zu BSW und FDP hat beim Dammbruch von Friedrich Merz Ende Januar gezeigt, dass eine rechte »Gestaltungsmehrheit« keine abstrakte Drohung ist.

Missverständnis eins: SPD und Grüne hätten mit ihrer Anpassung an den rechten Abschottungswahlkampf und der weitgehend widerstandslosen Hinnahme von Friedrich Merz als Kanzler »Schlimmeres verhindert«. Das haben sie eben nicht. Vielmehr nahmen sie die rechte Problembeschreibung und eine Ethnisierung gesellschaftlicher Probleme hin. Damit haben sie zugelassen, dass das Framing des Wahlkampfes insgesamt nach rechts verschoben wurde.

Geholfen hat es nicht. Im Ergebnis haben SPD und Grüne vielmehr deutlich verloren. Nun sind in Deutschland gut 60 Prozent der Wähler*innen bereit, eine offen faschistische Partei oder solche Parteien zu wählen, die bereit sind, mit dieser zu kooperieren. Nur etwa 35 Prozent sind dazu prinzipiell nicht bereit. Es wäre gut, wenn die sozialwissenschaftlich inzwischen weitgehend unumstrittene Einsicht in die Vergeblichkeit von Appeasementpolitik gegenüber Rechten in den Parteizentralen von SPD und Grünen beherzigt würde. Man schwächt die Rechten nicht, wenn man ihre Ablenkungsdebatten übernimmt und bloß mit ein paar rechtsstaatlichen Fußnoten ergänzt. Spätestens Merz’ offener Erpressungsversuch mit der AfD hat gezeigt, dass das keine moralische Frage ist, sondern eine der politischen Selbstbehauptung.

Wohin geht die neue Linke?

Die Linkspartei ist nicht mehr die, die sie noch im vergangenen Jahr war. Von den nun über 100.000 Mitgliedern kam die Hälfte im letzten halben Jahr dazu. Wie stellt sich diese neue Linke gegen den politischen Rechtsruck? Wie setzt sie sich mit neuen gesellschaftlichen Konflikten auseinander? Fragen, denen wir in der Serie »Wohin geht die neue Linke?« nachgehen.

Sozialdemokraten und Grüne müssen den Mut zum Konflikt wieder entwickeln, sonst werden sie von Merz die kommenden Jahre weiter getrieben werden. Sein jüngster Angriff auf die aktive Zivilgesellschaft folgt bereits dem Trump’schen Muster, den Gegner immer auf Trab zu halten – und abzulenken. Und so nötig die von der neuen Regierung geplanten Investitionen in die kaputte öffentliche Infrastruktur sind: Es ist fatal, wenn SPD und Grüne nun Merz seinen Versuch, nur Aufrüstung dauerhaft von der Schuldenbremse auszunehmen, durchgehen lassen. Damit geben sie den Hebel für deren grundlegende Reform, die dringende Zukunftsinvestitionen auf Dauer möglich macht, aus der Hand.

Zudem übersehen sie sogar sicherheitspolitisch einen wesentlichen Punkt: Putin hat die USA nicht mit Panzern und Raketen, sondern mit Fake News und innerer Spaltung aus dem westlichen Bündnis herausgebrochen. Das größte Sicherheitsrisiko wäre nun, nicht endlich dauerhaft und massiv in sozialen Zusammenhalt, stabile Demokratie und klimagerechte Zukunft zu investieren. All das zeigt: »Staatspolitische Verantwortung« darf nicht weiter eine progressive Einbahnstraße sein. Vielmehr sollten sich SPD und Grüne schon jetzt für einen 2029 möglichen Lagerwahlkampf gegen den rechtskonservativen Block öffnen.

Missverständnis zwei: Die Linke sei mehrheitlich für die traditionalistischen Reste ihres Wahlprogramms gewählt worden. Falsch. Sie hat bei der Bundestagswahl als Kraft eines konsequenten und sozialen Antifaschismus gewonnen. Um diesen Erfolg zu verstetigen, braucht sie jetzt mehr als Haustürwahlkampf und Organizing. Sie benötigt endlich auch glaubwürdigere Konzepte gegen die autoritäre Bedrohung von außen, durch Trump und Putin. Das heißt konkret: Konzepte für eine strategisch unabhängige EU und eine aktive Verteidigung unserer Demokratie.

Verlegt sie sich dagegen nun wieder auf friedenspolitische Fundamentalopposition, aktualisiert sie nicht nur alte Spaltungslinien im progressiven Lager. Dann droht sie auch, einen großen Teil ihrer neuen Wähler*innen vor den Kopf zu stoßen. 72 Prozent von denen machen sich laut Infratest-Umfragen Sorgen über Putins Einfluss in Europa. Zudem wollen laut Forschungsgruppe Wahlen nur 21 Prozent, dass Deutschland die Ukraine militärisch weniger unterstützt, laut Civey wollen sogar 60 Prozent, dass die EU die Ukraine nach dem Ausfall der USA »stärker militärisch unterstützt«.

Der Autor

Jan Schlemermeyer, Jahrgang 1983, ist Vorstandsmitglied beim Institut solidarische Moderne und Mitglied der Linken.

Das bedeutet nicht, dass Die Linke einfach den Aufrüstungs-Hype mitmachen muss. Aber sie sollte die Bedrohung anerkennen und sich einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, inklusive gemeinsamer Armee und Beschaffung, nicht mehr versperren. Es ist ihre Verantwortung, glaubwürdig deutlich zu machen, wie die Sicherheit der EU (und insbesondere der osteuropäischen Staaten) gegen Putins Regime mit links organisierbar ist.

Möglich ist das durchaus – auch ohne linken Identitätsverlust. Denn der wesentliche Zweck einer demokratisch-sozialistischen Partei ist die Ausweitung kooperativer Eigentumsformen im Rechtsstaat. Ein antiwestlicher »Antiimperialismus« muss nicht dazu gehören. Forderungen nach einer Verstaatlichung von Rüstungskonzernen und einer europäischen Republik, die auch der Demokratisierung der gemeinsamen Verteidigungspolitik dienen würde, könnten gute Alleinstellungsmerkmale für eine linke Sicherheitspolitik im multipolaren Kapitalismus sein.

Es gibt nun für alle Teile des progressiven Spektrums einiges zu gewinnen – und noch mehr zu verlieren. Wenn die progressiven Parteien jetzt ihre Hausaufgaben machen, öffnet das die Chance für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der kommenden Regierung, aber auch für eine progressive Alternative zu Rechtsruck und Weiter-so – spätestens 2029. Wir sollten diese Chance nicht verspielen. Wahrscheinlich gibt es nicht mehr viele.

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