Fast ein Schlüsselroman von Bela B

Eher eine Netflix-Serie als Literatur: Bela B Felsenheimers neuer Roman »Fun«

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Inszeniert ein degoutantes Spiel mit seiner Doppel-Rolle als Autor und Rockstar: Bela B., hier mit den Ärzten 2023 beim Southside Festival
Inszeniert ein degoutantes Spiel mit seiner Doppel-Rolle als Autor und Rockstar: Bela B., hier mit den Ärzten 2023 beim Southside Festival

Der Schlagzeuger und Sänger der Punk-Band Die Ärzte hat es wieder getan und nach seinem komischen Horror-Trash-Thriller »Scharnow« einen neuen Roman geschrieben. »Fun« liest sich, auch wenn der Autor sich neulich im Interview entschieden dagegen verwahrt hat, wie eine fiktionalisierte Verarbeitung des Rammstein-Skandals vor anderthalb Jahren.

Die alternde, aber überaus erfolgreiche Rockband Nabel/Nabel zelebriert auch nach über zwei Jahrzehnten an der Spitze ihren misogynen, längst anachronistischen Rock-Hedonismus. Sie lassen »Ass-Pässe« an ausgewählte weibliche Fans verteilen und feiern orgiastische Backstage-Partys. Es gehe vor allem um »Angst und Lust«. Das »Fleisch muss nur jung genug sein«, verrät ihr charismatischer Sänger Maler Meister in einem Interview, und erntet dafür einen Shitstorm. Die Gesellschaft hat sich augenscheinlich verändert. Die Band hingegen nicht.

Nach einem Konzert zwingen der Schlagzeuger und der Bassist eine ihrer Verehrerinnen zum Analsex, aber dieses Mal kommen sie nicht so einfach davon, die junge Frau zeigt sie an. Kurz vor einer Konzertreihe in einem brandenburgischen Kaff, dort wo vor 23 Jahren ihre Karriere begonnen hat, schaukelt sich langsam der Skandal auf. Die Polizei beginnt zu ermitteln, eine interne Intrige bringt ein belastendes Handyvideo an die Öffentlichkeit. Die Fassade bröckelt.

Man merkt »Fun« vor allem sprachlich an, dass sich Felsenheimer erst spät als Erzähler neu erfunden hat. Der Roman ist reichlich verquatscht, strotzt vor Klischees, Kitsch und stilistischem Wildwuchs, vor denen irgendwann offenbar auch das Lektorat kapituliert hat. Hier isst man zum Beispiel »gefrorene Fischstäbchen« ...

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Andererseits gelingt es dem Autor souverän, diverse Handlungsstränge parallel zu führen, das gar nicht so kleine Personal mit- und gegeneinander agieren zu lassen und durch viele Schnitte und Perspektivwechsel Spannung zu erzeugen. Man darf nur eben keine Literatur erwarten. Das Buch erinnert eher an eine Netflix-Serie. Der Vergleich passt auch insofern, als Felsenheim das #MeToo-Muster fast schon bürokratisch vollständig auf verschiedenen Ebenen durchspielt. So funktioniert die Serien-Dramaturgie.

Es geht in »Fun« eben nicht nur um übergriffige Rock-Idole, sondern auch um Machtausnutzung gegenüber einer »Azubine«, um versuchte Vergewaltigung in der Ehe, und wenn sich ein weiblicher Fan mit krankenscheinpflichtigen Drogen für das Konzert versorgen möchte, lässt sich ein korrupter Apotheker das ebenfalls mit sexuellen Dienstleistungen vergüten. Wer mit dem Finger ausschließlich auf Altrocker zeigt, macht es sich viel zu einfach, schärft Felsenheimer dem Leser hier ein. Und präsentiert auch immer wieder starke Frauenfiguren, die sich selbstbewusst gegen Missbrauch und Erniedrigung zu wehren wissen. Das ist zumindest pädagogisch wertvoll.

Problematisch ist seine merkwürdig unentschlossene Schilderung des Rock-Business, nicht zuletzt des obsessiven Erotomanen Maler Meister. Der Autor führt ihn ein als liebenswerten und zugleich diabolischen Demagogen, dem es jederzeit gelingt, Menschen zu manipulieren, zugleich aber macht er einen Hanswurst aus ihm, dessen Charisma bloße Behauptung bleibt. In einer Szene ermahnt Meister seinen Schlagzeuger zur Mäßigung und steigert sich zunächst hinein in eine absurde Apologie des Rockstars, der sein ganzes Leben für die Fans in die Waagschale wirft und dafür schließlich auch etwas zurückbekommen soll. Es gelingt ihm dann aber doch noch abzubiegen und er empfiehlt harte Selbstkasteiung, um sich von seinen Trieben zu emanzipieren.

Am Ende dieser offensichtlich satirischen Szene hauen sich Sänger und Schlagzeuger gegenseitig in die Weichteile. »Unser Schwanz ist bei allem dabei. Unser Schwanz textet, er komponiert und er performt auch mit uns. Aber man muss ihm zeigen, wer der Boss ist.« Solche burlesken Albernheiten konterkarieren die eigentliche Intention des Romans. Man nimmt diesen Witzfiguren die mitunter recht drastisch gezeichneten Grenzüberschreitungen gegenüber ihren Fans nicht mehr ab.

Das Buch beginnt mit einem »Hinweis« in eigener Sache: »Alles in diesem Roman ist erfunden – und noch viel mehr darin ist wahr. Denn, um es mit Mark Twain zu sagen: Itʼs no wonder that truth is stranger than fiction. Fiction has to make sense.« Bela B inszeniert hier ein degoutantes Spiel mit seiner eigenen Doppel-Rolle als Autor und Rockstar. Er war und ist ein Teil des Musik-Business, hat schon eine Menge erlebt in seiner jahrzehntelangen Karriere und weiß somit genau, wovon er spricht. Eine bessere Beglaubigung für die Relevanz und den realistischen Gehalt des Romans gibt es nicht.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, woher er das alles so genau weiß? Hat er dieses wilde Treiben nur beobachtet? Oder imaginiert er sich allein aus den Widerlichkeiten, die im Casus Rammstein an die Öffentlichkeit gelangt sind, sein eigenes RockʼnʼRoll-Gomorrha? Solche Fragen lenken die Rezeption dieses zumindest potenziellen Schlüsselromans, sie verleihen ihm zusätzliche Aufmerksamkeit. Felsenheimer nimmt sie nicht nur billigend in Kauf, er kokettiert mit der eigenen Amoralität und zeigt sich damit mittelbar immer noch als Vertreter jenes obsoleten Rock-Paradigmas, das »Fun« doch eigentlich entlarven sollte.

Bela B Felsenheimer: Fun. Wilhelm Heyne Verlag, 367 S., geb., 24 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -