Sport-Doku »Court of Gold«: Ungefilterte Überflieger

Die Netflix-Miniserie gibt ungewohnt tiefe Einblicke in das olympische Basketballturnier von Paris

  • Lennart Garbes
  • Lesedauer: 5 Min.
Frankreichs Nicolas Batum (am Ball) blockt im Olympia-Halbfinale in Paris den Wurfversuch von Dennis Schröder (Nr. 17).
Frankreichs Nicolas Batum (am Ball) blockt im Olympia-Halbfinale in Paris den Wurfversuch von Dennis Schröder (Nr. 17).

Nicolas Batum ist stinksauer. Im letzten Gruppenspiel des olympischen Basketballturniers liegen seine Franzosen zur Halbzeit mit 27:48 gegen Deutschland zurück. In der Kabine bricht es aus dem 36-Jährigen heraus: »Wir wollen die Goldmedaille? Am Arsch! Wir wissen überhaupt nicht, was wir wollen. Wir werden auseinandergenommen«, wütet der 2,03 Meter große Flügelspieler in feinstem Französisch, während seine Mitspieler betreten ins Leere gucken. »Die lachen über uns, und wir machen nichts dagegen.«

Der Ausbruch ihres Kapitäns im Spiel gegen Dennis Schröder und Co. ist ein Schlüsselmoment für die französischen Basketballer. Auch wenn das Gruppenspiel am Ende mit 85:71 an die Weltmeister aus Deutschland geht, zeigt sich in der zweiten Hälfte der Kampfgeist, der die Franzosen letztlich bis ins Finale gegen die USA tragen wird. Es ist eine der intensivsten Szenen der Miniserie »Court of Gold«, die seit Mitte Februar bei Netflix verfügbar ist.

Vier Mannschaften, vier Kamerateams

In sechs Folgen erzählt Regisseur Jake Rogal die Geschichte des olympischen Basketballturniers der Männer im vergangenen Sommer. Dafür suchte der US-Amerikaner schon vor Beginn der Spiele vier Nationalmannschaften aus, die von vier Kamerateams durch den gesamten Wettbewerb begleitet wurden. Neben den Superstars aus den USA fiel die Wahl auf Gastgeber Frankreich, Serbien mit Nikola Jokić, dem besten Basketballer der Gegenwart, und die Kanadier, die nach den USA mit den meisten Spielern aus der nordamerikanischen Profiliga NBA gespickt sind.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Das Ergebnis ist eine Art Sport-Dokumentation, wie es sie nur noch selten gibt. Zwar häufen sich inzwischen die Serien über Teams oder einzelne Athlet*innen, die wahlweise durch ein besonderes Turnier oder einen speziellen Karrieremoment begleitet wurden. Doch immer öfter haben die Beteiligten dabei kreatives Mitspracherecht. Exklusive Einblicke gibt es nur noch gegen das Versprechen, das vermarktbare Image der Protagonist*innen aufzupolieren. Die wirklich interessanten Momente passieren ohne Kamera oder verschwinden für immer im Schnittraum.

Zwar ist auch »Court of Gold« keine gnadenlose Entlarvung der Basketballwelt. Doch Rogal und seinem Team ist es gelungen, erstaunlich tiefe und ehrliche Einblicke in das Innenleben der vier begleiteten Mannschaften zu bekommen. Nachdem das Internationale Olympische Komitee die Dreherlaubnis erteilt hatte, mussten sich die Filmcrews dafür zuerst das Vertrauen von Spielern und Trainern erarbeiten. »Wir sind an einen Punkt gekommen, an dem wir wussten, wann wir uns bemerkbar machen müssen und wann wir uns zurückhalten«, erklärte der Regisseur dem Sportnachrichtenportal »The Athletic« zum Serienstart. »Du bist nur in der Lage, diese ganz besonderen Momente einzufangen, wenn du kaum wahrnehmbar bist.«

Ein Trick sorgt für Authentizität

Neben Batums Wutrede oder dem Halbfinal-Thriller zwischen den USA und Serbien aus der Sicht beider Teams sind es vor allem die vielen Interviews, die für ein anderes Gefühl von Authentizität sorgen. Dafür nutzte der Regisseur einen Trick, der bereits bei der Emmy-prämierten Netflix-Serie »The Last Dance« über die letzte Titelsaison von Michael Jordans Chicago Bulls eingesetzt wurde, bei der Rogal als Produzent ebenfalls beteiligt war.

Schon während der Interviews zeigt der Dokumentarfilmer Trainern und Spielern Teile seiner Aufnahmen, auf die die Beteiligten direkt reagieren können. So sieht man Nicolas Batum kurz nach seinem Ausbruch gegen Deutschland entspannt im französischen Mannschaftsquartier sitzen und über sich selbst schmunzeln: »Ich war eben sauer, dass sie uns so deutlich überlegen waren. Ich wollte, dass wir eine Reaktion zeigen.« Oder US-Forward Kevin Durant, der in Tränen ausbricht bei dem Gedanken daran, wie viele unterschiedliche Menschen aus allen Teilen der Welt extra für das olympische Basketballturnier nach Paris gekommen sind.

Mit Svetislav Pešić auf dem Laufband

Zwischen den großen Gefühlen des Sports bleibt aber auch reichlich Platz für leichtere Momente. Etwa wenn Kanadas Shai Gilgeous-Alexander, dessen Mutter selbst als Läuferin bei Olympia dabei war, als Zuschauer beim 100-Meter-Finale vor Aufregung kaum stillhalten kann. Ein wandelndes Highlight ist Serbiens Trainerlegende Svetislav Pešić, der sein Misstrauen gegenüber dem Kamerateam nie richtig ablegen kann. Nur als die Filmemacher den 75-Jährigen bei seinem täglichen Trainingsprogramm beim Walken, Hanteln-Heben und Kniebeugen begleiten, taut der Ex-Coach von Alba Berlin, Bayern München und der deutschen Nationalmannschaft kurzzeitig etwas auf.

Die deutschen Basketballer sieht man in »Court of Gold« vor allem als Gegner auf dem Parkett. Einmal gibt es dann aber doch einen Einblick in die Kabine der DBB-Auswahl, der direkt für einen kleinen Eklat sorgte. Nachdem den Franzosen im Halbfinale die Revanche für die Klatsche in der Gruppenphase gelungen ist, sieht man Moritz Wagner völlig aufgelöst vor seinem Spind sitzen. Nach dem Erscheinen der Serie erklärte der 27-Jährige, der sein Geld genau wie sein vier Jahre jüngerer Bruder Franz in der NBA verdient, dass er nicht gewusst habe, dass in diesem Moment ein Kamerateam in seiner Nähe war, und er auch nicht gefragt worden sei, ob der Ausschnitt veröffentlicht werden darf. »Das war ein krasses, ekliges Gefühl, als ich das jetzt wieder gesehen habe«, sagte der gebürtige Berliner in seinem Podcast und schob nach: »Ich will das nie wieder sehen und nie wieder hören!«

Natürlich gilt der Schutz der Persönlichkeitsrechte auch für Profisportler. Und falls das Filmteam tatsächlich keine Erlaubnis hatte, in der Kabine der Deutschen zu sein, sollte das aufgeklärt werden. Gleichzeitig unterstreicht Wagners Kritik auch das, was »Court of Gold« so besonders macht: der ungefilterte Blick mitten ins Herz der besten Basketballteams der Welt.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.