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Grenada: »Ein Vorbild für die ganze Karibik«

Terence A. Marryshaw, Arzt und Ex-Soldat, hält die Erinnerung an die 1979 begonnene Revolution in Grenada aufrecht

  • Interview: Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Linke in Lateinamerika – Grenada: »Ein Vorbild für die ganze Karibik«

Hier im Wartezimmer Ihrer Arztpraxis in Grenadas Hauptstadt St. George’s haben Sie ein Bild mit dem einstigen Revolutionsführer Maurice Bishop und dem Flughafen aufgehängt, den er damals mit kubanischer Hilfe errichten ließ. Was bedeutet für Sie die Revolution in Grenada?

Sie bedeutet mir sehr viel. Als sie am 13. März 1979 ausbrach, war das der schönste Tag in meinem Leben. Die Diktatur von Eric Gairy war gestürzt, es war ein Tag großer Freude, von Tanz und Jubel auf den Straßen. Schauen Sie, ich habe sogar noch mehr Bilder mit Maurice in meinem Behandlungszimmer, hier eines, das eine US-amerikanische Künstlerin nach einem Foto gemacht hat, das Bishop bei einem Besuch auf der Insel Carriacou zeigt. Das Magazin der Maschinenpistole, die in das Bild hineinragt, stammt von der Waffe, die ich damals in der Hand hielt. Ich war zu jener Zeit für die Sicherheit von Maurice Bishop zuständig.

Wie wurden Sie Leibwächter von Bishop, dem charismatischen Anführer der Revolution?

Am ersten Tag der Revolution rief Maurice dazu auf, den revolutionären Streitkräften beizutreten. Ich bin dann gleich zum Hauptquartier der Armee und wurde schnell zum ersten Kommandanten eines Ausbildungslagers ernannt. Während meiner Schulzeit hatte ich bereits eine Kadettenausbildung, nahm in den Ferien immer wieder an Camps mit den regulären Streitkräften in Jamaika und Trinidad teil. Und dann kam ich zur Leibgarde von Maurice. Wir waren viel bei den, wie es damals hieß, Siegesfeiern unterwegs. Bei einer solchen entstand auch dieses Foto.

Interview

Terence A. Marryshaw ist Allgemeinmediziner in Grenada. Während der Revolution von 1979 bis 1983 war er zunächst Leibwächter des später exekutierten Premierministers Maurice Bishop von der sozialistischen Partei New Jewel Movement (NJM). Er studierte dann Medizin in Kuba. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1986 setzte er sich für die Erinnerung an die Revolution ein und durfte deshalb vier Jahre nicht als Arzt praktizieren.

Was hat die Revolution in Grenada verändert aus Ihrer Sicht?

Ich ging bald nach Kuba zum Medizinstudium. Überhaupt lag ein großer Fokus der Revolution auf Bildung und Ausbildung. Mit mir waren etwa 300 junge Leute aus Grenada in Kuba, um zu studieren: Medizin, Naturwissenschaften, Ingenieurswissenschaften – alles, um unser Land voranzubringen. In den Ferien war ich dann aber wieder in Grenada. Dort war die politische, soziale und ökonomische Landschaft vollkommen verändert. Wichtig waren der Bau des internationalen Flughafens, der den Tourismus ankurbeln sollte, und die Etablierung des »Marketing and National Importing Boards«, das eingeführte Grundnahrungsmittel wie Reis, Mehl und Zucker bei stabilen Preisen hielt. Wir verstaatlichten zwei Banken. Versorgungsbetriebe wie Wasser- und Elektrizitätswerke sowie Telefongesellschaft waren schon staatlich. Vor allem aber gab es im ganzen Land eine enorme Bereitschaft zur freiwilligen Arbeit. Die Leute kamen am Wochenende oder nach der Arbeit zusammen, um Straßen und Schulen zu reparieren, Regenwasserkanäle zu säubern …

All das war wirklich freiwillig? In der früheren DDR nannten wir derartige Arbeitseinsätze gern »freiwilligen Zwang«.

Nein, nein, es war freiwillig. Wir sagten uns: Wir machen all diese Arbeiten, damit die Regierung das Geld für andere Dinge einsetzen kann.

1983 wurde die Revolution brutal beendet. Am 25. Oktober überfielen die US-Streitkräfte Grenada. Sechs Tage zuvor allerdings wurde im Rahmen eines Machtkampfes innerhalb der Revolutionsregierung Maurice Bishop mit mehreren Getreuen exekutiert. Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?

Ich war gerade zum Studium nach Kuba zurückgekehrt. Dort waren wir völlig überrascht. Als wir von den Ereignissen erfuhren, dass Bishop zunächst in Hausarrest gesteckt, dann von den Volksmassen daraus befreit wurde, er mit ihnen zu Fort George in die Hauptstadt zog und schließlich dort erschossen wurde, marschierten wir Studenten zur Botschaft von Grenada in Havanna und übernahmen sie einfach. Als wir dort über Telex die Nachricht des sogenannten Revolutionären Militärrats, der die Macht übernommen hatte, erhielten, dass Bishop und die anderen in einem Kreuzfeuer ums Leben gekommen waren, haben wir das nicht geglaubt und als Beleidigung unserer Intelligenz abgelehnt. Wir schickten dann eine Erklärung an den Revolutionären Militärrat, in der wir die Geschehnisse verurteilten und komplette Aufklärung forderten.

Was führte Ihrer Meinung nach zu dieser Spaltung innerhalb der NJM zwischen der Fraktion um Maurice Bishop und der um den stellvertretenden Premierminister Bernard Coard, die letztlich in der Erschießung von Bishop mündete?

Das Hauptproblem war ideologisch. Um Coard hatte sich eine Gruppe von jungen Männern und Frauen gebildet, die sich selbst als die wahren Hüter des Marxismus-Leninismus anpriesen und Schlüsselpositionen in der Partei übernahmen. Sie sahen Bishop nicht als Kommunisten, sondern als Sozialdemokraten. Bishop war tatsächlich für eine gemischte Ökonomie, für Privateigentum und Staatseigentum. Die Gruppe um Coard hingegen war regelrecht besoffen von Ideologie. Sie konnten Marx und Lenin zitieren. Wenn sie sie allerdings verstanden hätten, dann hätten sie auch gewusst, dass jede Revolution sich den lokalen Bedingungen anpassen muss. Das Schlimme ist, dass sie den USA eine tolle Gelegenheit zur Invasion boten.

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Wie würde Grenada jetzt aussehen, wenn die Revolution mehr als vier Jahrzehnte Bestand gehabt hätte?

Grenada wäre ein leuchtendes Vorbild für die gesamte Karibik. Wir hätten ganz sicher Wahlen gehabt, die waren schon in Vorbereitung. Wir wollten auch nicht nach der alten Verfassung wählen, sondern erst eine neue verabschieden. Wir hätten uns in alle Richtungen weiterentwickelt, mit dem Fokus auf Bildung und Teilhabe. Bishop spielte auch eine wichtige Rolle in der Caricom, dem Zusammenschluss der Inselstaaten der Karibik. Die Gemeinschaftswährung Ostkaribischer Dollar kann man als Modell für den Euro betrachten. Viele Delegationen aus der sogenannten Dritten Welt kamen zu uns, um unsere Fortschritte zu sehen. Wir konnten auch helfen, stellten zum Beispiel Oliver Tambo, dem Präsidenten des Afrikanischen Nationalkongresses, einen grenadischen Pass aus, damit er international für den Kampf gegen die Apartheid werben konnte. Bishop war auch stets auf der Seite des palästinensischen Volks und dessen Rechts auf einen eigenen Staat.

Gab es denn auch Schattenseiten?

Klar gab es Fehler. Einer war, dass die Revolution nicht gut mit Dissens umgehen konnte und etwa 3000 Menschen einsperrte, die wirklich nicht alle Feinde der Revolution waren. Aber sehr oft waren wir auf der richtigen Seite in der Geschichte. Und es ist sehr schade für unser Land und auch für die junge Generation, dass all unsere Hoffnungen, unser Engagement, unsere Bereitschaft so abrupt zu einem Ende gebracht wurden.

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