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- Vergeltungsangriffe auf Huthi
In Jemen droht die Rückkehr des Krieges
Die Vergeltungsangriffe der USA auf die Huthi gefährden den wackligen Frieden
Der Kollege in Sanaa erzählt in der Nacht zum Montag vergangener Woche gerade von einem Treffen örtlicher Politiker, nichts für die Schlagzeilen, als seine Stimme plötzlich von einem lauten Donnern übertönt wird. »Was passiert gerade?«, fragt der freie Journalist Hamza Al-Ganad mit panischem Unterton: »Sind’s die Saudis? Oder die Israelis?«
Es sind die USA, deren Militär auf Geheiß von Präsident Donald Trump gerade begonnen hat, von Kriegsschiffen aus Ziele in der Hauptstadt Sanaa, in der Hafenstadt Al-Hudeida und auf dem Land anzugreifen. Tagelang wird das so weitergehen, begleitet von medienwirksamen Drohungen des Präsidenten in Washington: »Die Hölle wird über euch niedergehen, wie ihr es noch nie erlebt habt«, verkündet Trump auf Truth Social. Er spricht von »vollständiger Auslöschung« und auch davon, dass jeder Schuss, den die Huthi abfeuern, als »ein Angriff mit iranischen Waffen unter iranischer Führung« gewertet werden wird.
Al-Ganad erfährt davon zunächst nur aus den Berichten seiner Kollegen im Ausland. Und für die sind Leute wie er meist die einzige Möglichkeit, einen Überblick über die Lage im Jemen zu erhalten: Zehn Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs ist die Situation extrem unübersichtlich, kompliziert.
Im September 2014 begannen die Huthi gegen die Truppen der Regierung zu kämpfen, nachdem diese die Subventionen für Benzin gestrichen hatte. Schnell übernahm die Organisation die Kontrolle über einen Großteil des Nordens, also jenes Gebiets, das an die wichtige Schifffahrtsroute vom Indischen Ozean zum Suezkanal grenzt. Mehrere Jahre lang versuchte eine von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten dominierte und von den USA unterstützte Militärallianz, die Regierung mit Luftangriffen auf den Nord-Jemen zu unterstützen. Zehntausende starben dabei; insgesamt kamen nach Schätzungen der Uno rund 380 000 Menschen ums Leben. Mindestens vier Millionen wurden vertrieben. Im Welthunger-Index steht das Land seit Jahren bereits ganz oben auf der Liste.
Der Gaza-Krieg und die Huthi
Die Huthi saßen fest im Sattel, die international anerkannte Regierung blieb schwach, bis heute. Im April 2022 einigte man sich unter Vermittlung der Vereinten Nationen auf eine Waffenruhe, in der Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden. Die Kämpfe endeten weitgehend.
Doch dann begann der Gaza-Krieg: Die Huthi stellten sich auf die Seite der Hamas und begannen, Raketen und Drohnen auf das 2000 Kilometer entfernte Israel abzuschießen. Auch Schiffe in der Meerenge vor dem Roten Meer gerieten unter Beschuss oder wurden gekapert.
Die Hintergründe der Entscheidung der Huthi-Führung zum Eintritt in den Gaza-Krieg hat viele Fragen aufgeworfen, auf die es keine zufriedenstellenden Antworten gibt. Viele westliche Beobachter führen die Angriffe auf die engen Verbindungen der Huthi zu den iranischen Revolutionsgarden zurück. Sie haben die Organisation während des Bürgerkriegs militärisch und finanziell unterstützt und damit ihren Aufstieg ermöglicht. Die iranische Führung erklärt die Huthi gerne zu einem Teil der »Achse des Widerstands«, zu der man auch Hamas und Hisbollah zählt. Doch die Huthi, die sich selbst »Ansar Allah« nennen, sind eine nationalistische Bewegung; ihre politischen und religiösen Wurzeln sind tief in der Bevölkerung des Nord-Jemen verankert. In den vergangenen Jahren handelte ihre Führung immer wieder mal auch gegen den Willen des Iran – zum Beispiel, als man sich ab 2021 zu Friedensgesprächen mit Saudi-Arabien bereit erklärte.
Eine andere Denkrichtung ist, dass die Führung der Organisation versucht, durch die Angriffe ihre Gesprächsposition mit der Regierung zu stärken und auch die westlichen Regierungen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Diese Sicht ist bei den Unterhändlern der Uno weit verbreitet. Nach den ersten Angriffen hätten die Huthi zusätzliche Forderungen auf den Tisch gelegt. Vor allem zusätzliche humanitäre Hilfen und Zugriff auf einen Teil der Staatsfinanzen hatte man haben wollen, aber nicht bekommen, im Gegenteil: Schon seit Jahren können die Vereinten Nationen nur einen Bruchteil der benötigten Gelder auftreiben.
Aber: Nachdem Großbritannien und die USA im vergangenen Jahr erstmals vereinzelt Ziele im Jemen angegriffen hatten, begannen Milizen der Huthi damit, auch gegen von den USA unterstützte Hilfsorganisationen vorzugehen. Im Fernsehen wurden offensichtlich erzwungene Spionage-Geständnisse von örtlichen Mitarbeitern der Organisationen gezeigt. Dies hat die humanitäre Lage noch weiter verschärft. Aus Angst vor Repressalien wollten viele nicht mehr für Hilfsorganisationen arbeiten, berichtet Journalist Al-Ganad: »Die Huthi werden immer repressiver.«
Unterstützer des palästinensischen Volks
Es gibt aber auch deutliche Anzeichen dafür, dass die Huthi den Konflikt mit Israel und den USA dazu nutzen, um ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren: Die Bilder von den Opfern und Zerstörungen im Gazastreifen haben auch im Jemen die Gemüter erregt; auf Kundgebungen inszenieren sich die Huthi immer wieder als Unterstützer des palästinensischen Volks.
Dabei wird die international anerkannte Regierung des Landes als Marionette des Westens und Saudi-Arabiens dargestellt. Sie wird seit dem Rücktritt von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi Anfang 2022 von einem Präsidialrat unter Führung von Hadis Ex-Berater Raschad Al-Alimi geführt. Eigentlich sollte das Gremium das Land einen und den Weg zum Frieden vorbereiten. Doch die acht Ratsmitglieder sind tief zerstritten. Ende vergangener Woche nutzte dann Al-Alimi Trumps martialische Worte in einem Interview bei »Spiegel Online« dazu, Stimmung gegen die Huthi zu machen: Der Iran habe sich mit Al-Qaida verbündet; der Jemen werde zu einem »Werkzeug der Achse des Widerstands«.
Deutlich wird dabei auch: Der wacklige Frieden zwischen der Regierung und den Huthi steht kurz vor dem Aus. Al-Alimi scheint sich noch nicht von dem Gedanken verabschiedet zu haben, dass irgendwann wieder der gesamte Jemen unter Kontrolle der Regierung stehen könnte.
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