Geld ist eine Religion

John von Düffel hat eine »Eine Geschichte vom Konsumverzicht« verfasst

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 5 Min.
Wahnsinn, diese täglichen Shopping-Touren
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Vom britischen Kulturwissenschaftler Mark Fisher stammt die Erkenntnis, der ideologische Zeitgeist seit dem Zerfall der Sowjetunion neige dazu, sich eher das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Dieser ernüchternde und zugleich provokante Satz bewegt auch den Dramaturgen und Schriftsteller John von Düffel. »Der erste Asket der Zukunft, der mir je begegnet ist, war eine Frau«, schreibt er in seinem »Stundenbuch. Das Wenige und das Wesentliche« von 2022. Nun treibt er die Befragung seiner selbst mit jener Frau voran und verfasst »Eine Geschichte vom Konsumverzicht«, was nicht vollmundig gemeint ist als erschöpfende Chronik, sondern im Sinne einer Erzählung beziehungsweise eines Dialogs.

Seit 35 Jahren haben sich der Ich-Erzähler John und jene Frau, die Schottin Fiona, nicht gesehen, im Philosophiestudium lernten sie sich einst in Edinburgh kennen. Der Ich-Erzähler verehrt sie bis heute, sie ist für ihn so etwas wie ein unerreichbares Vorbild, ja, eine Heilsbringerin. Er idealisiert sie über die Maßen. Er schreibt ihr endlich, sie antwortet, und für zwei Tage streifen sie im Gespräch durch Edinburgh.

»Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Geld das Einzige ist, an das alle glauben«, reagiert Fiona auf seine Anmerkung zum ideologischen Zeitgeist. »Es ist mehr als ein Zahlungsmittel, es ist eine Religion. Und ihr wichtigster Glaubensartikel ist der Kredit.« Der wohlhabende Mann, John, ist schwach und abhängig geblieben; die untergebutterte Frau, Fiona, hingegen ist stark und eigenständig. Er ist ein Prototyp des gesättigten Wohlstandsbürgers, seicht, milde, abgehoben, intellektuell, sie stammt aus prekären Verhältnissen und hat mehr gelebt und erlebt als er.

»Damit sich wirklich etwas ändert«, sagt sie, »müssen wir Konsum verlernen. Und das bedeutet, an die Wurzeln unserer Gewohnheiten heranzugehen, an die Gründe, warum wir was wie konsumieren. Es bedeutet Arbeit.« Arbeit? Er hat ja gearbeitet. Doch er ist verloren in seiner Anpassung an das, was von ihm erwartet wurde und was er von sich selbst erwartet hat; er himmelt sie weiterhin an, weil er keine innere Unabhängigkeit spürt und von Fiona erfahren möchte, wie die zu erreichen sei. Wie leben wir richtig? Fragt er sich. Was ist das Wesentliche in einer Welt des Überflusses? Wie viel Konsumverzicht ist möglich? Und: Was hat das mit Freiheit zu tun? Wer ist selbstbestimmt und wer schwimmt nur mit? »Konsum ist Diskriminierung, sagt sie nicht bitter, aber unmissverständlich. Sich von anderen zu unterscheiden ist die Idee von Konsum … Wer welchen Wein auf welche Weise trinkt, wer die Muscheln richtig zu öffnen weiß, wer den Fisch mit dem Fischbesteck isst. Es geht um die Anerkennung durch die Kenner, um deinen sozialen Status, dein Prestige.«

»Haben oder Sein«, so lautet der Titel eines höchst aktuell gebliebenen Buches des Psychoanalytikers Erich Fromm von 1976. Und Fiona knüpft an diese Gedanken an, wenn sie sagt: »Haben ist der beste Ersatz für Sein und Habenwollen der simpelste Sinn-Ersatz für alle Richtungslosen.« Dieser Satz könnte auch als Motto für den entfesselten Massentourismus unserer Tage gelten.

Fionas Antworten sind für einen arrivierten Mann und Karrieristen zu radikal, er muss immer wieder relativieren, ausweichen, infrage stellen. Sie liefert eine glasklare, knallharte antikapitalistische Analyse nach der anderen ab. »Konsum definiert unsere sozialen Beziehungen«, erklärt Fiona. »Er bestimmt über Oben und Unten. Seine Preisklasse ist deine Klasse. Wer in einer Konsumgesellschaft lebt, aber nicht konsumiert, ist nicht Teil der Gesellschaft … Du gehörst nicht dazu.« So spricht eine, die außerhalb des Systems steht. Kein fauler Kompromiss, sondern abbiegen, ausscheren, verweigern. Dagegen sind seine Kritikansätze die eines Mitmachers, mau, lau, brav und vor allem kopfbestimmt. Sie hingegen, als lebenslang Ausgegrenzte wegen ihrer Herkunft, ist ohnmächtig wütend und radikal widerständig.

»Wenn wir schon vom Konsum der Selbstbilder sprechen«, erklärt Fiona, »sollten wir auch sagen, was der Hyperindividualismus wirklich ist: ein entfesselter, von Kapital und Technik getriebener Narzissmus … Die Bildangebote der Werbung wenden die Steigerungslogik des Wachstums an auf die Liebe. Mehr geht immer. Was im Umkehrschluss heißt: Es ist immer zu wenig.«

Der Narzisst werde »sich beschenken, sich die Welt zu Füßen legen, tolle Reisen machen, fancy Partys veranstalten, sich Häuser bauen und Paläste – alles für seine große Liebe, für den langersehnten Augenblick, in dem er zu seinem Spiegelbild sagen kann: Ich liebe dich total! – Doch das tritt nie ein.« Merkwürdig, dass einem in diesem Zusammenhang prompt die (noch) amtierende Außenministerin einfällt, die nichts mehr lieben möchte auf ihren gesponsorten Reisen durch die Welt als ihr Spiegelbild.

»Konsum verlernen ist kein Einzelsport«, erklärt Fiona. »Du kannst deine Konsumsozialisation nicht rückgängig machen, indem du versuchst umzudenken. Du brauchst eine andere Gemeinschaft. Eine, die stark genug ist, die Richtung zu brechen.« Also Revolte, Revolution, Umwälzung der Verhältnisse. Dieses Wort fällt nicht, darauf muss der Leser selber kommen. Doch diese Umwälzung meint die Frauenfigur.

Zu einer Übereinkunft gelangen die beiden fremd Vertrauten bei ihrem zweitägigen Spaziergang durch Edinburgh nicht. Damit bestätigt John von Düffel letztlich die Erkenntnis des britischen Kulturwissenschaftlers. Und am Ende vermasselt der Schriftsteller sein (autobiografisches) Gedankenkonstrukt. Auf den letzten Seiten lässt er Fionas Tochter bei einem Kurzbesuch in Berlin das Schicksal ihrer Mutter erzählen. Damit nimmt von Düffel seiner »Geschichte« die Geheimnisse. Schade.

John von Düffel: Ich möchte lieber nichts. Eine Geschichte vom Konsumverzicht. DuMont, 208 S., geb., 24 €.

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