Brandenburgs Linke: Totgesagte werden jünger

170 von 1200 Neumitgliedern bei Treffen in Siggis Event-Location nahe dem Bahnhof Potsdam-Rehbrücke

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Landesvorsitzende Sebastian Walter weiß: Die Angst vor der AfD führt Menschen zur Linken. Die Eintrittswelle macht Mut.
Der Landesvorsitzende Sebastian Walter weiß: Die Angst vor der AfD führt Menschen zur Linken. Die Eintrittswelle macht Mut.

Knapp außerhalb der Stadt, vier Minuten Fußweg vom Bahnhof Potsdam-Rehbrücke entfernt, befindet sich mitten in einem Gewerbegebiet der Gemeinde Nuthetal Siggis Even-Location. Die letzten Meter geht es auf einem Sandweg zwischen Bauzäunen hindurch, dann links abbiegen – und da begrüßt Brandenburgs Linke am Samstag ab 15 Uhr ihre Neumitglieder zu einem Treffen mit Kneipenquiz, Bier und Bratwurst.

Bundesweit zählte die Partei vor einem Jahr 56 000 Mitglieder, nun sind es mehr als 110 000. Auch der Landesverband Brandenburg erlebte eine Eintrittswelle. Allein in den drei Monaten seit Jahresbeginn stieg die Mitgliederzahl hier von rund 4100 auf mehr als 5300. Für den Landesverband ist es ein ganz neues Gefühl, dass nun plötzlich sehr viele junge Menschen da sind. Vor sieben Jahren war nur jeder zehnte Genosse unter 35 Jahre alt und fast jeder zweite älter als 70. Doch jetzt gibt es 1600 Genossen unter 35.

Da ist Marek Lipp mit seinen 23 Jahren fast schon ein alter Hase. Ende 2017 ist er mit 15 Jahren in Die Linke eingetreten und war damals der jüngste Genosse im Landesverband. Es gab seinerzeit nur einen weiteren 15-Jährigen, der ein paar Monate älter war. Jetzt finden sich unter den Neumitgliedern mehrere 14-Jährige. Mit 14 darf man in die Partei eintreten. Das ist das Mindestalter. Marek Lipp ist für die Linksjugend Solid in Siggis Event-Location, um die ganz jungen Neumitglieder zu empfangen und möglicherweise für den Jugendverband zu gewinnen.

Aber auch im hohen Alter entscheiden sich noch Brandenburger, angesichts der politischen Lage nicht länger abseits stehen zu wollen. Nach Angaben von Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg ist das älteste Neumitglied 91 Jahre alt.

Rund 170 Genossen haben sich für das Neumitgliedertreffen angemeldet. Viele junge Menschen, aber auch einige von den Älteren sind gekommen. Viele verstehen sich auf Anhieb gut miteinander. Die Gründe, sich politisch zu engagieren, sind ähnlich. Sehr häufig hat sie der allgemeine Rechtsruck dazu veranlasst. Dass die AfD bei der Bundestagswahl am 23. Februar nun schon 20 Prozent der Stimmen erhalten habe, nennt einer als Beweggrund, warum er in Die Linke eingetreten sei.

Um einander kennenzulernen, füllen die Besucher Steckbriefe aus, auf die sie auch ein Foto von sich kleben können. Name, Alter, Beruf und Hobbys vermerken sie. Dann gilt es zum Beispiel noch den Satz zu vervollständigen: »Ich bin in Die Linke eingetreten, weil ...« Eine junge Frau trägt ein: »... ich die Schnauze voll habe vom rückwärtsgerichteten kapitalistischen Patriarchat und mich von euch am ehesten vertreten fühle.« Jemand anders schreibt: »... ich Angst vor dem Rechtsruck habe und gegen soziale Ungerechtigkeit kämpfen will.« Und eine Person notiert: »Wenn nicht jetzt, wann dann?«

Der Landesvorsitzende Sebastian Walter gehört der Linken seit 2005 an. Mit 19 Jahren war er bereits Kreisvorsitzender im Barnim. Mit 29 wurde er Landtagsabgeordneter und gleich Linksfraktionschef. Am 22. September kassierte er als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl eine schwere Niederlage. Mit knapp unter drei Prozent der Stimmen verpasste die Partei den Wiedereinzug ins Parlament deutlich. Brandenburg ist damit das erste und einzige ostdeutsche Bundesland, in dem die Sozialisten nicht im Landtag vertreten sind.

»Ich glaube, das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, dass eine Partei so totgesagt war und jetzt in den Umfragen bei elf Prozent steht.«

Sebastian Walter Linke-Landesvorsitzender

Es herrschte erst einmal Katerstimmung. Doch schon bei der Bundestagswahl am 23. Februar konnte sich der Landesverband mit 10,7 Prozent eindrucksvoll zurückmelden. Bundesweit schaffte die Linke 8,8 Prozent und sitzt jetzt mit 64 Abgeordneten im Bundestag, davon drei aus Brandenburg. Eine dieser drei – Isabelle Vandré – schaut am Samstag in Siggis Event-Location vorbei.

»Ich glaube, das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, dass eine Partei so totgesagt war und jetzt in den Umfragen bei elf Prozent steht«, sagt der Landesvorsitzende Walter. Den Neumitgliedern versichert er: »Wir sind dankbar, dass ihr euch entschieden habt, zu uns zu kommen.« Gemeinsam wolle man sich mit den Reichen und Mächtigen anlegen. »Umso mehr wir sind, umso mehr können wir machen.«

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In Gesprächen und spielerisch beim Kneipenquiz wird Wissen über die Partei vermittelt: Dass die Landeszentrale in der Potsdamer Alleestraße steht – das Lothar-Bisky-Haus. Dass Wahlprogramme von Parteitagen beschlossen werden. Für welchen Zwischenruf sich Linksfraktionschef Sebastian Walter im November 2023 einen Ordnungsruf von Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) eingehandelt hatte. Walter erinnert sich: Er habe sich in einer Debatte über Antisemitismus nicht mehr zurückhalten können und dem Landtagsvizepräsidenten Andreas Galau (AfD) zugerufen: »Du triffst dich doch mit Antisemiten, du Nazischwein!« Für die Beleidigung Galaus als Schwein habe er sich später in einem Interview entschuldigt. Die Bezeichnung als Nazi ließ Walter damit unausgesprochen stehen.

Ebenfalls am Samstag begrüßt übrigens die Brandenburger AfD ihr 3000. Mitglied – eine 16-Jährige aus der Uckermark. 491 weitere Mitgliedanträge seien noch in der Bearbeitung, meldet die Partei. »Wir wachsen nicht trotz der Ausgrenzung, sondern gerade wegen dieser«, erklärt der Landesvorsitzende René Springer.

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