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Nach dem Auto: Panzer, Kampfjets und Kanonen?
E-Mobilität macht noch keine sozial-ökologische Wende, und dennoch käme eine Abkehr einem Flirt mit dem Desaster gleich
»Das große Rollback« überschrieb die Redaktion des »Handelsblatt« seine Berichterstattung zum jüngsten Weltwirtschaftstreffen in Davos. Schien es ein halbes Jahrzehnt zuvor, als sei der grüne Stakeholder-Kapitalismus nicht mehr aufzuhalten, heißt es nun vielfach: April, April! Die Entwicklung im Wertschöpfungssystem Automobil bietet Anschauungsunterricht. Wie der gesamte Verkehrsbereich haben die Autohersteller zur Emissionsreduktion bisher nichts beigetragen. Doch statt Produkte und Produktion ökologisch nachhaltig zu gestalten, setzt die Auto-Lobby alles daran, vereinbarte Klimaziele aufzuweichen. Strafzahlungen, die wegen überschrittener Flottengrenzwerte eigentlich fällig wären, sollen auf die lange Bank geschoben werden. Gegen das EU-weit vereinbarte Verbot der Neuzulassung von Fahrzeugen mit Verbrennermotoren laufen Branchenverbände und wichtige Unternehmensvorstände regelrecht Sturm. Technologieoffenheit lautet die Zauberformel, die den Druck bei der Erreichung ambitionierter Klimaziele verringern soll. Und auch die Verantwortlichen für die aktuelle Misere stehen fest: Die Grünen sind schuld, Habeck ist schuld, Betriebsräte und Gewerkschaften sind schuld – alle tragen Verantwortung, nur Eigentümer, Investoren, Top-Manager und marktradikale Politiker haben es schon immer gewusst und können ihre Hände in Unschuld waschen.
So lautet die Erzählung, die gegenwärtig die Medien beherrscht, wenn es um die Ursachen für wirtschaftliche Stagnation, Deindustrialisierung und stockenden Absatz bei E-PKW geht. Setzt man die Brille eines ideellen Gesamtkapitalisten auf, so wirkt diese öffentliche Kriseninszenierung geradezu verheerend. Bei allem, was man an der Ampel-Politik kritisieren muss: Die Krise im Wertschöpfungssystem Automobil ist nicht allein dieser Regierung und schon gar nicht Habeck und den Grünen anzulasten. Die Kardinalfehler verantworten Eigentümer und Top-Management. Jahrzehntelang habe die Branche Sprunginnovationen verschlafen. Nötig sei der Übergang zu einem vernetzten Verkehrssystem, das verschiedene Verkehrsmittel wie Bahn, Binnenschifffahrt, öffentlichen Nahverkehr, Rad und den Gang zu Fuß mit dem Auto kombiniere. Doch geschehen sei über Jahrzehnte hinweg kaum mehr als nichts, urteilte der Ex-VW-Manager Daniel Goeudevert schon zu Beginn des Jahrzehnts.
Flirt mit dem Desaster: Rückzug aus E-Mobilität
Goeudevert verweist auf ein Muster, das sich in der Autobranche beständig wiederholt. Veränderungsbereitschaft entsteht nur unter dem Druck von Krisen und kritischen Öffentlichkeiten. Lässt dieser Druck nach, fällt man gerne in den alten Trott zurück. Dieses Muster wiederholt sich aktuell in Sachen E-PKW und E-Mobilität. In der Ära Trump-Musk, dem europaweiten Aufstieg einer klimaleugnerischen Rechten und wachsender Bereitschaft bei Mitte-rechts- und manchen Mitte-links-Parteien, von ambitionierten Nachhaltigkeitszielen abzurücken, entstehen günstige Gelegenheiten, um bei der E-Mobilität eine Rolle rückwärts zu vollziehen. Geschähe dies, käme das dem Flirt mit einem Desaster gleich. Dies vor allem aus drei Gründen.
Erstens werden die hausgemachten Ursachen der aktuelle Absatzkrise bei E-PKW übersehen. Nehmen wir das VW-Werk in Zwickau mit seinen ehemals etwa 10 000 Beschäftigten. Anfangs schoss die Nachfrage nach E-PKW durch die Decke, die Kapazitäten reichten nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Dann kam die erfolgreiche Verfassungsklage der Unionsparteien gegen den Ampel-Haushalt. Wegen der so entstandenen Sparzwänge wurde die Umweltprämie gestrichen, der Absatz von E-Fahrzeugen brach dramatisch ein – und zwar in einem Ausmaß, das in EU-Europa einmalig ist.
Klaus Dörre war viele Jahre Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2024 wurde er emeritiert, ab April 2025 ist er Gastprofessor für sozial-ökologische Nachhaltigkeitskonflikte an der Universität Kassel. Demnächst erscheint im Campus-Verlag das Buch »Umkämpfte Transformation. Konflikte um den digitalen und ökologischen Wandel«, das Dörre gemeinsam mit vier Kolleginnen und Kollegen herausgibt.
Zweitens verbirgt sich hinter der Absatzkrise ein weit gewichtigeres strukturelles Problem. Die deutschen und europäischen Hersteller sind bei der Elektromobilität technologisch in Rückstand geraten. Dass sie noch immer nicht in der Lage sind, ein E-Fahrzeug anzubieten, das weniger als 20 000 Euro kostet und technisch so komfortabel ausgestattet ist wie ein chinesisches Konkurrenzmodell, ist eine Folge von Managementversagen und struktureller Innovationsfaulheit.
Dies drittens zum Anlass zu nehmen, um eine Rolle Rückwärts in Richtung fossiler Mobilität zu vollziehen, hieße, Innovationsfaulheit zu belohnen und den Anschluss an Zukunftsmärkte endgültig zu verspielen. Schon der aktuelle Zick-Zack-Kurs bei Verbrenner-Motoren, grünem Stahl und erneuerbaren Energien wirkt fatal, denn wer soll in Ladeinfrastruktur, Batterierecycling oder neue Werkstoffe investieren, wenn die Aussichten auf grünes Wachstum und Profit mehr als unsicher sind?
Kritische Sicht auf Transformation in der Arbeiterschaft
Gewerkschaften und Betriebsräte ziehen aus der politisch verantworteten Unsicherheit mehrheitlich den Schluss, dass es politisch darauf ankomme, den Pfad in Richtung E-Mobilität offenzuhalten. Mit dieser Positionierung haben sie es gegenüber ihren Belegschaften gegenwärtig schwer. Bereits vor der VW-Krise galt: Je näher man dem Hallenboden kommt, desto ausgeprägter war die Kritik an E-Antrieben und E-PKW. Diese Skepsis hat sich, wie unsere Untersuchungen bei Herstellern und Zulieferern zeigen, seither noch verstärkt. Misstrauen gegenüber der Antriebs- und Verkehrswende führt aber keineswegs zur Wertschätzung ökologisch nachhaltiger Alternativen. Das Gegenteil ist der Fall. Grüne Themen sind in der Arbeiterschaft besonders im Osten derzeit kaum noch kommunikationsfähig. Stattdessen finden Deutungen Gehör, wonach beispielsweise die »Planwirtschaft bei VW«, so die AfD in Zwickau, Hauptursache für die Misere des Konzerns sei. Die von uns befragten Beschäftigten, die solchen Deutungen zustimmen, folgen allerdings keinem dumpfen Reflex. Ihre kritische Sicht auf Transformation im Allgemeinen und die E-Mobilität im Besonderen basiert zumindest teilweise auf fachlich einschlägigem Expertenwissen, das aus ihrer Sicht nicht abgerufen wird. Politische Entscheidungen, so die Wahrnehmung, werden in Berlin und den Ländern hingegen von einer Laienschauspielertruppe gefällt. Selten wird die Dramatik des Klimawandels generell bestritten. Im Alltag ist man durchaus bereit, das Sonnenpanel auf dem Dach zu montieren, ein E-Bike zu fahren und im eigenen Garten ökologischen Anbau zu betreiben. Doch Produktionsentscheidungen, die winzige Managereliten treffen, ohne das Produzentenwissen der Beschäftigten einzubeziehen, stoßen auf Skepsis, ja Ablehnung.
Was wünschbar und was gangbar ist
Das ließe sich nur ändern, wenn man den Beschäftigten Verlustängste nimmt. Derzeit ist es zumindest in den Stammbelegschaften noch nicht die Furcht vor Erwerbslosigkeit, die das Denken und Handeln bestimmt. Man sorgt sich um den erworbenen sozialen Status. Wer aus einer Stammbelegschaft herausfällt und nach Alternativen im Dienstleistungssektor sucht, hat damit zu rechnen, bis zu einem Drittel seines Einkommens und die verbliebenen Reste an Produzentenstolz eines Autobauers einzubüßen. Soll verhindert werden, dass erlittener Ehrverlust beim sozial-ökologischen Umbau zusätzlich Wasser auf die Mühlen der radikalen Rechten lenkt, so muss Gegenpolitik lernen, das Wünschbare vom Gangbaren und Erreichbaren zu unterscheiden.
Wünschbar ist der Übergang zu nachhaltigen Verkehrskonzepten mit deutlich reduziertem individuellen PKW-Verkehr. Doch selbst wenn der politische Wille dazu vorhanden und mehrheitsfähig wäre, würde es in einem städtischen Ballungsraum wie Amsterdam, Berlin, Hamburg oder Köln mindesten ein Jahrzehnt dauern, bis die Wende vollzogen wäre. Für den ländlichen Raum würde es ungleich länger dauern. Deshalb macht es Sinn, an solchen Konzepten zu feilen, gang- und erreichbar sind sie gegenwärtig allenfalls punktuell.
Gangbar sind Wege in Richtung von Produkt- und Produktionskonversion, die jedoch eine langfristig angelegte, finanziell gut ausgestattete Industrie- und Wirtschaftspolitik benötigen. Um den überfälligen sozial-ökologischen Umbau zu finanzieren, werden laut Agora Energiewende jährlich ca. drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Investitionen benötigt. Die 50 Milliarden, die die Grünen als Gegengabe für ihre Zustimmung zu Sondervermögen für Infrastruktur und Rüstung ausgehandelt haben, sind dafür nicht mehr als der berühmt-berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein. Deshalb gilt es, Kräfteverhältnisse zu verändern, um eine zukunftsorientierte, ausfinanzierte Industrie- und Infrastrukturpolitik zu ermöglichen. Dazu gehört, grünen Schlüsseltechnologien beim Weg durch jenes »Tal des Todes« zu helfen, das innovative Unternehmen mit staatlicher Hilfe passieren müssen, solange Produkte wie grüner Wasserstoff noch nicht marktgängig sind. Um dies erreichbar zu machen, muss beseitigt werden, was jegliche Verbesserung hemmt und Innovationsfaulheit verstärkt – eine Schuldenbremse, die selbst bei den Ökonomen des Internationalen Währungsfonds nur noch für Kopfschütteln sorgt.
Autobashing wenig hilfreich
Dafür sind politisch dicke Bretter zu bohren. Erreichbar ist jedoch, dass die Rolle rückwärts bei Verbrenner-PKW unterbleibt. Klimaschutz bedeutet, so rasch wie möglich aus dem Verbrennen fossiler Energieträger auszusteigen. E-Mobilität reicht dazu bei weitem nichts aus. Ein Ausstieg aus E-Mobilität würde jedoch derzeit nicht zu ökologisch nachhaltigen Alternativen, wohl aber zur Abkoppelung von Zukunftsmärkten führen. Allein im Osten könnten, wie der Thüringer Branchenverband Automotive in einer Studie vorrechnet, 10 000 vergleichsweise gut bezahlte Arbeitsplätze verloren gehen. Soll die radikale Rechte nicht weiter an Einfluss gewinnen, muss die längst im Gange befindliche Deindustrialisierung intelligent bekämpft werden. Dabei ist das in der wachstumskritischen Linken verbreitete Auto-Bashing in den tagespolitischen Auseinandersetzungen wenig hilfreich. Dies zumal, wenn sie so einseitig bleibt, wie das oftmals der Fall ist. Während das Auto und seine Nutzer öffentlich attackiert und zusätzlich abgewertet werden, bleibt es um die milliardenschweren Aufrüstungsprogramme merkwürdig still.
Das ist fatal, weil in Sachen Aufrüstung alles möglich scheint, was für die zivile Marktwirtschaft nicht gelten soll – großzügige Finanzierung um den Preis eines wachsenden Staatsdefizits, langfristige Planung, staatliche Abnahmegarantien und eine bewusste Monopolisierung, die Marktmechanismen verzerrt. Auf eine staatlich geförderte Rüstungsplanwirtschaft trifft jedoch in besonderer Weise zu, was der Philosoph Günther Anders einst als Charakteristikum der Branche benannt hat: Es handele sich um eine Doppelindustrie, die außer den Waffen selbst immer auch Waffenbedarf und die Chancen für deren Gebrauch erzeuge.
Aufrüstung ökologisch verheerend – schon ohne Waffenanwendung
Nehmen wir als Beispiel den Automobilzulieferer Continental und den Rüstungskonzern Rheinmetall, die eine langfristige Kooperation beschlossen haben. Erklärtes Ziel ist, den Beschäftigten neue Berufsperspektiven zu bieten und zugleich den Arbeitskräftebedarf bei Rheinmetall zu decken. Obwohl tausende neue Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie entstehen, kann von einer nachhaltigen Arbeitsplatzstrategie keine Rede sein. Das zeigte sich unter anderem, als im Juni 2024 infolge möglicher Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg die Aktienkurse der Rüstungsfirmen um sechs Prozent einbrachen und Milliarden Euro an Börsenwert verloren gingen. Arbeitsplatzsicherheit in der waffenliefernden Doppelindustrie gibt es eben nur, sofern die Nachfrage nach Waffen langfristig gesichert wird. Die effektivste »Konsumsituation« (Anders) dieser Waffen ist der Krieg.
Abgesehen von massenhaftem Tod und dem Leiden der Zivilbevölkerung in militärischen Konflikten sind die Auswirkungen von Aufrüstung auch dann ökologisch verheerend, wenn es nicht zu einer direkten Waffenanwendung kommt. Wie einschlägige Szenarien zeigen, lassen sich die Wohlfahrtsverluste infolge des Klimawandels, die mehr als 50 Prozent des BIP betragen könnten, mit denen eines dauerhaften Krieges vergleichen – eines Krieges, dessen Folgen allerdings Ewigkeitscharakter hätten. Das zeigt: Auch staatlich zu verantwortende Fehlallokationen können zukunftszerstörend sein – ein geradezu existenzieller Grund, um nicht in Anpassung an das vermeintlich Unabweisbare zu erstarren und nach Alternativen im Hier und Jetzt zu suchen. Das Fachwissen der Beschäftigten auch der Autoindustrie kann dabei überaus hilfreich sein.
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