Koalitionsverhandlungen: Comeback des Hartz-IV-Regimes

Bei der Rückkehr zu Schikanen gegen Erwerbslose sind sich Union und SPD einig geworden

Künftig können sich noch mehr Grundsicherungsbeziehende entscheiden, ob sie lieber heizen oder essen wollen.
Künftig können sich noch mehr Grundsicherungsbeziehende entscheiden, ob sie lieber heizen oder essen wollen.

Namen sollen Programm sein. CDU und CSU bestehen darauf, das Bürgergeld in »Neue Grundsicherung für Arbeitssuchende« umzubenennen. Dabei ist auch der bisherige Name noch nicht alt. Die Ampel-Koalition hatte dem früheren Arbeitslosengeld II alias Hartz IV die aktuelle Bezeichnung verpasst, die »Respekt« gegenüber den Menschen symbolisieren sollte, die die Leistung brauchen.

Allerdings hatten sich SPD, Grüne und FDP bereits im März 2024 auf die Wiedereinführung der kompletten Streichung des Regelsatzes für Personen geeinigt, die »hartnäckig« Arbeitsangebote ablehnen. Diese ist jedoch nur für maximal zwei Monate vorgesehen, da das Bundesverfassungsgericht 2019 Kürzungen des Regelsatzes von über 30 Prozent als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum eingestuft hatte.

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Die künftige Große Koalition will »Totalverweigerern« trotzdem auch noch die Kosten der Unterkunft streichen. Bereits dem vom Portal »Frag den Staat« vergangene Woche veröffentlichten Papier der Verhandlungsruppe Arbeit und Soziales war zu entnehmen, dass sich Union und SPD darauf geeinigt hatten. Der Kernsatz: »Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.« Dabei wolle man aber »die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten«.

An einigen Punkten hinsichtlich des Umgangs mit Erwerbslosen bestand da noch Dissens. Der scheint nun aber ausgeräumt, wie am Dienstag die »Frankfurter Rundschau« unter Berufung auf ein aktualisiertes Papier der Arbeitsgruppe berichtete. Demnach hat sich die Union mit ihren Forderungen nahezu auf ganzer Linie durchgesetzt.

Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei nannte die neue Grundsicherung am Dienstag eine »massive Entrechtungs- und Verelendungsmaschine für Menschen in Armut«. Dies nicht nur wegen der Kürzungen für Personen, die nicht ausreichend kooperieren, sondern auch, weil Sanktionen laut Arbeitsgruppenpapier künftig »schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt« werden sollen.

Sanktionsfrei setzt sich dafür ein, dass Sozialleistungen generell nicht gekürzt werden und unterstützt auch aus Spendengeldern Personen, die von Leistungskürzungen betroffen sind. Steinhaus befürchtet, dass künftig bereits von der Ampel beschlossene Sanktionen von 30 Prozent des Regelsatzes für drei Monate bereits beim ersten abgelehnten Arbeitsangebot oder auch bei verpassten Terminen verstärkt zum Einsatz kommen.

Zudem beinhalten die Vereinbarungen zur Grundsicherung die Rückkehr zum sogenannten Vermittlungsvorrang. Das bedeutet, dass der Druck auf Erwerbslose zunimmt, auch Jobs unterhalb und abseits ihrer Qualifikation anzunehmen. Mit der Einführung des Bürgergeldes sollte zumindest theoretisch Fortbildung und damit »nachhaltige« Vermittlung Priorität haben.

Beim Regelsatz wollen Union und SPD zur Anpassungsmethode in Vor-Corona-Zeiten zurückkehren, was nach Einschätzung von Helena Steinhaus eine »sukzessive Kürzung« nach sich zieht. Die Ampel-Koalition hatte die Methode bei der Bürgergeld-Reform angepasst, um die Inflation schneller zu berücksichtigen.

»Die neue Grundsicherung für Arbeitssuchende sollte eher als Entrechtungs- und Verelendungsmaschine für Menschen in Armut bezeichnet werden.«

Helena Steinhaus Verein Sanktionsfrei

Dazu kommt: Die Karenzzeit beim Vermögen soll gestrichen werden. Die Ampel hatte eine Frist von einem Jahr eingeführt, innerhalb der nur Ersparnisse oberhalb von 40 000 Euro verbraucht werden müssen. Zusätzlich soll die Höhe des sogenannten Schonvermögens, das man im Grundsicherungsbezug behalten darf, an die »Lebensleistung« gekoppelt werden. Was genau das heißt, ist noch nicht bekannt. Aktuell beträgt das Schonvermögen 15 000 Euro.

Laut den aktuellsten Daten vom November 2024 haben Jobcenter in den zwölf Monaten davor 19 541 Sanktionen wegen verweigerter Job- und Ausbildungsangebote ausgesprochen. Das entspricht einem Prozent der erwerbsfähigen Bürgergeldbeziehenden. Von der neuen Möglichkeit einer befristeten Totalsanktion des Regelsatzes wurde bislang kein Gebrauch gemacht; auch, weil die rechtlichen Hürden hierfür sehr hoch sind. Deshalb dürften die Sanktionsmöglichkeiten auch künftig kaum zu Einsparungen führen.

Derweil wurde am Dienstag bekannt, dass CDU und CSU fordern, die Standardrente künftig auf der Basis von 47 statt 45 Beitragsjahren zu berechnen. Es müsste also länger eingezahlt werden, um das bisherige Rentenniveau zu erreichen. Die Idee sorgte bereits für heftige Kritik von Seiten des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Linken.

DGB-Chefin Yasmin Fahimi sagte dazu mit Blick auf die von der CSU geforderte Ausweitung der Mütterrente: »Wer herzzerreißende Worte für die Anerkennung der Leistungen aller Mütter findet, sollte nicht zugleich eine Rentenkürzung für alle zukünftigen Rentnerinnen und Rentner vorschlagen.« Die SPD, der Fahimi angehört, möchte das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent des Nettoeinkommens bei unveränderter Berechnungsgrundlage beibehalten.

Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, sagte zur Rentenidee der Union: »Kaum hat Friedirch Merz für die Aufrüstung die Schuldenbremse ausgehebelt, kommen auch schon die angekündigten Haushaltskonsolidierungen auf dem Rücken der Mehrheit.« Denn eine Verlängerung der Beitragsjahre um zwei Jahre sei nichts anderes als eine Rentenkürzung und ein »Angriff auf den Sozialstaat«.

Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Ines Schwerdtner, betonte: »Schon heute erreichen gerade einmal 15 Prozent der Arbeitnehmer die für die Standardrente notwendigen Beitragsjahre«, so Schwerdtner. Es wäre »schäbig«, gerade jene, die etwa in Pflegeheimen, Krankenhäusern oder auf Baustellen hart arbeiten, »um einen Teil ihrer verdienten Rente zu bringen«.

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