Bürger sollen für Tarifeinigung büßen

Sachsens ohnehin defizitäre Kommunen beklagen Kosten des Abschlusses. Land plant massiven Stellenabbau

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Bei der Gewerkschaft Verdi ist man mit der Tarifeinigung im öffentlichen Dienst verhalten zufrieden, in den Rathäusern überhaupt nicht.
Bei der Gewerkschaft Verdi ist man mit der Tarifeinigung im öffentlichen Dienst verhalten zufrieden, in den Rathäusern überhaupt nicht.

Nach der Tarifeinigung für den öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes herrscht in sächsischen Rathäusern und Landratsämtern Ernüchterung. Die Kommunen trügen den Vorschlag der Schlichter zur Beilegung des Tarifstreits »nicht mit«, erklärte der Sächsische Städte- und Gemeindetag (SSG). Auch der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) im Freistaat erklärte, man habe »gegen diesen Abschluss gestimmt«. Der Meißner Landrat Ralf Hänsel als KAV-Präsident fügte aber hinzu, man müsse ihn »gleichwohl umsetzen«. Die bundesweite Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hatte dem Schlichtungsergebnis zugestimmt, ebenso wie der Bund und die Gewerkschaften. Oliver Greie, Landesbezirksleiter der Gewerkschaft Verdi in Sachsen, äußerte sich verhalten zufrieden: Man habe einen Kompromiss gefunden, der »für beide Seiten an mehreren Stellen Abstriche von den eigenen Erwartungen erforderte«.

Die Kommunen verweisen auf die erheblichen Kosten des Tarifabschlusses und eine schon jetzt desaströse Finanzlage. Die Städte, Gemeinden und Landkreise im Freistaat bezifferten die Mehrkosten auf 640 Millionen Euro. Der KAV, der zusätzlich etwa auch kommunale Verkehrsbetriebe, Krankenhäuser oder Theater vertritt und 434 Arbeitgeber mit rund 91 600 Beschäftigten vereint, sprach von 820 Millionen Euro für die Jahre 2025 bis 2027. Gleichzeitig hätten die sächsischen Kommunen bereits 2024 ein Rekorddefizit von 628 Millionen Euro verbucht. »Uns steht das Wasser schon jetzt bis zum Hals«, sagte SSG-Geschäftsführer Mischa Woitscheck, der aktuelle Abschluss passe »nicht in die Zeit«. Hänsel erklärte, man habe einen Abschluss gewollt, der der »äußerst prekären Haushaltslage der Kommunen« Rechnung trage: »Das ist leider nicht in ausreichendem Maße gelungen.«

Wegen des für sie unbefriedigenden Ergebnisses stellen die sächsischen Kommunalvertreter jetzt sogar das bisherige Verhandlungsmodell zur Disposition, wonach Tarifgespräche gemeinsam mit dem Bund geführt werden. Seit die Länder 2006 aus der bis dahin bestehenden Tarifgemeinschaft ausstiegen, wird schon für deren Beschäftigte separat verhandelt; die nächste Runde beginnt im Herbst. Die Kommunen drohen nun mit weiterer Fragmentierung. Es stelle sich »einmal mehr die Frage«, ob die Verhandlungsgemeinschaft mit dem Bund noch sinnvoll sei, sagte Woitscheck. Der Bund könne Mehrkosten durch steigende Einnahmen aus der Einkommensteuer kompensieren, was das »aus unserer Sicht erneut große Entgegenkommen der Bundesinnenministerin« erkläre.

Die Kommunen haben keine vergleichbare Einnahmequelle, und ihr Geld reicht schon jetzt vorn und hinten nicht mehr. In Sachsens Städten und Gemeinden seien 2024 die Sozialausgaben um 14 Prozent und die für das Personal um acht Prozent gestiegen. Damals gab es laut KAV Sachsen einen »hohen« Abschluss von durchschnittlich 11,5 Prozent. Nun müsse man Möglichkeiten finden, um erneut Geld für »stark steigende« Personalausgaben aufzutreiben, sagte Woitscheck: »Unsere Möglichkeiten sind begrenzt.«

»Uns steht das Wasser schon jetzt bis zum Hals.«

Mischa Woitscheck Geschäftsführer SSG

Die Kommunalvertreter zeichnen ein Drohszenario von »schmerzlichen Einschnitten« für Bürgerinnen und Bürger. Pflichtaufgaben könnten »nicht mehr wie gewohnt wahrgenommen werden«, Investitionen und freiwillige Leistungen dürften gestrichen, der Nahverkehr eingeschränkt werden. Auch die Erhöhung von Steuern und Gebühren werde auf die Tagesordnung kommen. All das sind Maßnahmen, die sich schon kürzlich auf »Listen der Grausamkeiten« fanden, mit denen Stadtverwaltungen in Chemnitz und Dresden auf die Haushaltsmisere reagierten. Den Stadträten gelang es nur unter größter Mühe, die Sparprogramme halbwegs zu entschärfen. In Chemnitz setzte das Stadtparlament aber durch, dass im Rathaus noch mehr Stellen abgebaut werden müssen, als ohnehin geplant war – obwohl der Personalrat vorab vor einem »Zusammenbruch« der Verwaltung gewarnt hatte.

Auch andernorts gibt es Bestrebungen, die durch Tarifzuwächse steigenden Personalkosten zu reduzieren, indem die Zahl der Beschäftigten gesenkt wird. So könnte dem Freistaat Sachsen in absehbarer Zeit ein massiver Personalabbau ins Haus stehen. Finanzminister Christian Piwarz (CDU) erklärte bei der Einbringung des Etats für 2025/26 vergangene Woche im Landtag, das Land müsse sich auf einen »konsequenten Personalabbaupfad begeben«. Andernfalls »galoppieren uns die Personalausgaben davon«. CDU-Fraktionschef Christian Hartmann nannte eine konkrete Zahl: Er gehe »von bis zu 10 000 Stellen aus, die in den nächsten Jahren wegfallen müssen«, zitierte ihn die Chemnitzer »Freie Presse«. Das wäre rund jede zehnte Stelle und ein Rückfall auf die Zahl von vor zehn Jahren. Derzeit hat das Land 96 500 Bedienstete, davon 32 000 Lehrer und 15 000 Polizisten. In diesen beiden Bereichen hatte es seit 2016 deutliche Zuwächse gegeben, auch, um auf den dramatischen Lehrermangel und Defizite beim Sicherheitsgefühl der Bürger zu reagieren, die sich in wachsendem politischem Verdruss niederschlugen. Für ihre Niederlage gegen die AfD bei der Bundestagswahl 2017 machte die CDU später »Fehler« wie den Stellenabbau bei Lehrern und Polizisten verantwortlich.

Würde jetzt erneut der Rotstift angesetzt, fände das die AfD gut. Sie forderte zuletzt, die Ausgaben des Freistaats drastisch zu reduzieren und dazu neben Kosten für Integration, Klimaprojekte oder »linke Vereine« auch solche für »überflüssiges Personal« zu senken. Die Linke dagegen forderte die CDU auf, zunächst zu benennen, wo sie überhaupt entbehrliche Stellen sieht. Ihr finanzpolitischer Sprecher Rico Gebhardt sagte dem »nd«, die öffentliche Hand müsse »ihre Aufgaben erfüllen«. Dafür fehle es bisher sogar an Personal, etwa in Schulen und Kitas oder beim Kampf gegen Steuerhinterziehung. Nur »populistisch Zahlen« in den Raum zu stellen, sei »keine verantwortungsvolle Politik«. Juliane Pfeil, Finanzexpertin der mitregierenden SPD-Fraktion, sagte, zwar müsse die Verwaltung auf den demografischen Wandel und die Haushaltslage reagieren. Von pauschalen Vorgaben »halte ich aber nichts«, sagte sie dem »nd« und fügte an: »Das letzte Mal, dass in Sachsen solche Vorgaben gemacht wurden, hat das nicht nur bei Lehrerinnen und Lehrern einen Personalmangel verursacht, gegen den wir noch heute ankämpfen.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.