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Berlin: Taxi für standorttreue Balkonenten
Berliner Stockenten brüten an kuriosen Orten – der Nabu hat dazu eine Langzeitstudie veröffentlicht
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Wo manche von einem Heim nah am Wasser träumen, mit Schilf und ganz viel Freiraum, wollen andere lieber nah am Geschehen sein, am besten mitten in der Stadt. Vielleicht in einem Balkon, einen Blumentopf oder ein Innenhof? Für Stockenten alles attraktive Optionen. Wie ihre menschlichen Nachbar*innen haben auch städtische Stockenten ihre Eigenheiten und halten so die Nabu-Wildvogelstation auf Trab. Wie die Umweltorganisation berichtet, mussten im vergangenen Jahr mehr als 100 Stockentenfamilien aus urbanen Brutorten gerettet werden.
Dabei geht es nicht um die erwachsenen Enten, sondern um Küken. In der Natur können diese nach etwa 24 Stunden selbstständig der Mutter zum Gewässer folgen. Auf Dächern und Balkonen ist die Situation anders. »Die Stockenten sitzen in einer biologischen Falle und würden ohne menschliche Hilfe auf dem Balkon verenden oder den Sprung auf den Asphalt nicht überleben«, erklärt Marc Engler, Leiter der Nabu-Wildvogelstation. Hier kommt das Ententaxi des Nabu ins Spiel, das neuen Entenfamilien aus ungünstig gewählten Brutorten zu einem sicheren Gewässer hilft.
Nicht nur Gebäude sind für Enten gefährlich. Denn mache Entenmütter mögen es gerne verkehrsgünstig und brüten nah an stark befahrenen Straßen. Um zu ihrem Heimatgewässer zu kommen, führt die Mutter ihre Familie, wenn nötig, auch über Großkreuzungen. Das ist nicht nur für das Wohlergehen der Familie gefährlich, sondern auch für die Verkehrssicherheit. Damit die Mutter nicht bei der nächsten Brut das Abenteuer wiederholt, bringt der Nabu die Familie in geeignete Naturschutzgewässer in Brandenburg.
Warum wählen Enten so ungeeignete Brutorte aus? Dieser Frage ist der Nabu wissenschaftlich nachgegangen und hat Erfahrungen aus 16 Jahren in einer Studie ausgewertet. »Wir hatten erwartet, dass Brutplätze in der Nähe von Gewässern und mit wenig menschlichen Störungen für Stockenten attraktiver sind«, erklärt Engler. Es scheint aber, dass weniger die Umwelt als explizite, standortspezifische Faktoren entscheidend sind. Auch der individuelle Charakter von Enten macht einen Unterschied. Engler berichtet »nd« von standorttreuen »Problementen«, die immer wieder ungünstige Brutstätten aufsuchen. Eine Ente hatte über neun Jahre 13 mal das Ententaxi für ihre Familie genutzt, und wählte nur einmal einen anderen Ort als ihren präferierten Innenhof.
»Die Stockenten sitzen in einer biologischen Falle und würden ohne menschliche Hilfe auf dem Balkon verenden oder den Sprung auf den Asphalt nicht überleben«
Marc Engler Leiter der Nabu-Wildvogelstation
Warum Berliner Stockenten überhaupt auf Balkonen brüten, bleibe aber weiter unklar. Eine Theorie ist der mögliche Mangel an sicheren Brutorten in der Natur. Laut Engler ist die Qualität vieler Berliner Kleingewässer nicht ausreichend. So fehle zum Beispiel Schilfvegetation, dafür gebe es umso mehr laute Musik und frei laufende Hunde. Eine andere Theorie ist, dass ein Balkon Windschutz bietet, Ruhe und vielleicht sogar Essen von netten Menschen, und dadurch für Enten attraktiv wird.
Allein zwischen 2005 und 2020 transportierte der Nabu 1634 Entenfamilien in ihre Heimatgewässer. Balkonenten gibt es aber viel mehr. Denn wie Engler »nd« berichtet, rufen mehr Berliner*innen bei der Wildvogelstation an, als man tatsächlich helfen kann. Daher bietet der Nabu Hilfe zur Selbsthilfe, um geeignete Gewässer für die Familie zu finden. Immerhin scheint die Fahrt im Ententaxi die Entenfamilien nicht zu stören. »Weder das Weibchen noch ihre Entenküken scheinen durch diese Interventionen besonders gestresst zu sein«, bemerkt die Studie.
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