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Humor und Humanismus

Lupenmalerei in der Klimakatastrophe: Frank Schulzʼ Romantrumm »Amor gegen Goliath«

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Stilentspannung? Nix da! Frank Schulz bleibt ein Autor von einschüchternder Eloquenz.
Stilentspannung? Nix da! Frank Schulz bleibt ein Autor von einschüchternder Eloquenz.

Oha, 750 eng bedruckte Seiten. Nach zwei im mehrfachen Wortsinn großen Romanserien, der »Hagener Trilogie« und dem »Onno Viets«-Dreiteiler, und zwei Erzählbänden bekommen wir es also nach vielen Jahren des Wartens wieder mal mit einem echten Schulz’schen Romantrumm zu tun.

Es gibt zwei Handlungsstränge in »Amor gegen Goliath«, die parallel erzählt werden und sich schließlich verweben in dem Ort Kalokairos auf Kreta. Der erste spielt in Osnabrück. Ricky Kottenpeter, ein desillusionierter Musiker, der sich mit Werbejingles über Wasser hält, rotiert in eine mittelgradige Depression hinein. Er leidet unter Panikattacken, Weltschmerz, Antriebslosigkeit. Die bald ausbrechende Corona-Pandemie verschärft die Krise. Seine »Traumfrau«, die Psychologin Cathy bemerkt davon wenig, sie reibt sich derweil auf als ehrenamtliche Klimaaktivistin. Die beiden Liebenden leben sich also sukzessive auseinander; Ricky hegt sogar den Verdacht, Cathy könne ihn betrügen. Eine Urlaubsreise nach Kreta, so hofft sie, soll die beiden wieder zusammenführen.

Zur gleichen Zeit, gut 200 Kilometer entfernt, in Hamburg, arrangiert der Frauenschwarm Dr. phil. Philipp Büttner, eine dieser verschmockten Edelfedern des bürgerlichen Feuilletons, eine Ménage-à-trois. Eigentlich ist er glücklich verlobt mit der Apothekerin Franzi, trotzdem beginnt er eine Affäre mit ihrer besten Freundin Jette, die zugleich ein erfolgreiches Kulturmagazin herausgibt und damit also auch noch zu seiner Chefin avanciert.

»Philphil« Büttner hat eine erotische Obsession, die er vor der nahenden, klimatisch bedingten Apokalypse noch ins Werk setzen will, den Dreier ohne Steuermann. Deshalb überredet er seine beiden Geliebten zu einem gemeinsamen Urlaub auf Kreta. Dort treffen nun also die beiden Paare aufeinander, man lernt sich kennen und schätzen, und es entwickelt sich, so der Klappentext, »aus dem zufälligen Debattierclub alsbald ein erotischer Reigen«.

Es geht um eine ganze Menge in diesem Buch, um die psychisch und sozial belastenden Jahre der Corona-Pandemie, um die Unwägbarkeiten von Freundschaft und Liebe – und eben auch um die intensiv geführte Klimadebatte, die hier in aller nötigen Komplexität ausgebreitet wird. Die Leugner der Katastrophe werden sehr schön und nach allen Regeln der Kunst aufs Korn genommen, und die Dispute werden in langen, bisweilen etwas zu langen Fußnoten und in den Gesprächen der Protagonisten mitreferiert. »Amor gegen Goliath« ist also auch ein Agitprop-Roman, das aber auf hohem literarischen Niveau.

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Bei Schulzʼ letztem Buch, dem sehr anrührenden Erzählband »Anmut und Feigheit«, glaubte man eine Stilentspannung wahrnehmen zu können, aber das war vielleicht nur ein kurzes Verschnaufen vor dem nächsten Parforceritt durch Dia-, Sozio-, Idiolekte, Fachsprachen usw. »Amor und Goliath« ist ein sehr amplifizierter Roman; nicht zuletzt seine skrupulösen Detailbeschreibungen – »literarische Lupenmalerei« hat das seine Kollegin Karen Duve einmal genannt – sind von einer einschüchternden Eloquenz, die bisweilen den Eindruck vermittelt, der Plot sei nur ein Alibi, um diese sprachliche Pointillierkunst weitertreiben zu können.

Hinzu kommt hier noch eine forciert parenthetische Syntax. Schulz verwendet teilweise vier unterschiedliche Klammertypen, um die digressiven Gedankengänge seines belesenen Schöngeistes Büttner, die sich unter Alkoholeinfluss naturgemäß noch schwurbeliger ausnehmen, detailpenibel abzulesen. Das ist recht komisch, macht die Lektüre aber nicht immer ganz einfach.

Die Schulz’sche Komik ist sowieso ein eigenes Ding. Parallel zu diesem Roman ist ein schmaler Band mit zwei Vorträgen von Sven Regener erschienen, »Zwischen Depression und Witzelsucht – Humor in der Literatur«, mit Regeners Laudatio anlässlich der Verleihung des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor an Frank Schulz. Darin heißt es: »Der Humor ist eine kalte Technik, herz- und mitleidlos. Es gibt keinen freundlichen Humor.«

Das schreibt man gern so hin, aber stimmt das überhaupt? Dass zum Lachen die Komponente des Verlachens gehört, ist eine Binse aus dem Bestand der Komiktheorie; nur glaube ich, ist Frank Schulzʼ Komik damit nicht korrekt beschrieben, jedenfalls nicht in dieser Apodiktik. Ich habe den Eindruck, Schulz hat eine Form der Komik geschaffen, die den Verlachten gerade nicht separiert, sondern ihn freundschaftlich umarmt. Der Witz ist bei ihm geradezu ein Privileg der Zugehörigkeit: Weil du einer von uns bist, dürfen wir auch Witze über dich reißen. Diese liebevoll-empathische, eben nicht destruktive Komik gehört zum zutiefst humanistischen Kern dieses Werkes.

Frank Schulz: Amor gegen Goliath. Galiani, 750 S., geb., 32 €.

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