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Von Erwerbsneigung und Rabenmüttern
Hat sich in der heutigen Bundesrepublik etwa das DDR-Modell der Gleichberechtigung durchgesetzt?
Als Ost- und Westfrauen nach dem gesellschaftlichen Umbruch von 1989/90 aufeinander trafen, kam es zu manchen Irritationen. Einige Ostfrauen, die in jener Zeit mit akuten sozialen Problemen konfrontiert waren, zeigten sich etwa erstaunt über das energische Bestehen auf gendergerechter Sprache und die Praxis mancher Westfeministinnen, sich in männerfreie Frauenräume zurückzuziehen. Manche Westfrauen wiederum zweifelten an der Emanzipationserfahrung der Ostfrauen, dabei hätten sie viel aus dem gelebten Alltag der Frauen im Realsozialismus lernen können – jenseits von Schönfärberei.
Feminismus von oben?
Gerade mit Blick auf die Suche nach Alternativen zum Kapitalismus besaßen deren Erfahrungen eine nicht zu unterschätzende Relevanz. Gleichzeitig hätten viele Ostfrauen von ihren westdeutschen Mitstreiterinnen lernen können, wie sich engagiert für alternative Lebens- und Arbeitsformen gestritten und auf der Straße für Rechte protestiert werden kann. Die Erfahrungen der zweiten Frauenbewegung in der Bundesrepublik, die in den 70er und 80er Jahren Kinderläden, Frauenzentren und kollektive Arbeitsprojekte ins Leben gerufen hatte, erwiesen sich als überaus wertvoll. Allerdings setzte hier mit der staatlichen Förderung, der zunehmenden Institutionalisierung und der Integration vieler Frauenprojekte in den Arbeitsmarkt nach 1989 eine spürbare Entpolitisierung ein.
Die DDR war eine Industriegesellschaft, die sehr proletarisiert war und in der ein (erzwungener) Kollektivgeist das Leiden an der Monotonie der Erwerbsarbeit übertünchen sollte. Die »sozialistische Intelligenz« verhielt sich dabei zumeist systemkonform, die herrschende Ideologie des Marxismus-Leninismus betrachtete das Geschlechterverhältnis als »Nebenwiderspruch« und Teil der sozialen Frage, die angeblich in der DDR gelöst worden sei. In dem 2019 erschienenen Buch »Unerhörte Ostfrauen« gibt eine Zeitzeugin diese Sichtweise folgendermaßen wieder: »›Gleichberechtigung von unten‹ war nicht nötig. Wir sind ja nicht unterdrückt worden von irgendjemanden, auch nicht vom Chef … Der Mann ist eben ein Mann. Das darf man mit der Gleichberechtigung nicht so eng sehen.«
Frauen, die glauben, dass sie sich allein durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft emanzipieren könnten, täuschen sich – im Sozialismus wie in der kapitalistischen Gesellschaft.
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Mit anderen Worten: Frauen in der DDR haben nicht für ihre Rechte gekämpft, Gleichberechtigung wurde von oben realisiert. So förderte die staatliche Politik der DDR die Frauen mittels zahlreicher Maßnahmen, etwa durch Qualifizierungsoffensiven, ein neues Familiengesetzbuch, ab 1972 dann erhöhte Urlaubsansprüche für Mütter, besondere Zuwendungen für alleinerziehende erwerbstätige Mütter und einiges mehr. Galten Frauen im Realsozialismus aber als sozial, subkulturell oder politisch »auffällig«, bekamen sie den repressiven Staat zu spüren. Sogenannte Asoziale, also Frauen, die »sich herumtrieben« oder als »arbeitsscheu« eingestuft wurden, konnten kriminalisiert werden. Oppositionelle, Ausreisewillige, Punks und Gammler*innen unterlagen in besonderer Weise der Repression durch die Staatssicherheit sowie andere staatliche Organe. Manche dieser als anders stigmatisierten Frauen landeten im Frauengefängnis Hoheneck, andere in Jugendwerkhöfen oder in sogenannten Tripperburgen, wo tausende Frauen und Mädchen ab zwölf Jahren wegen angeblicher Geschlechtskrankheiten festgehalten wurden. In den 80er Jahren wurde die letzte »Tripperburg« geschlossen.
Frauen, die nicht in das Normalitätsraster der DDR passten, waren von Staat und Gesellschaft also schlicht nicht gern gesehen – und normal zu sein, das bedeutete, Erwerbsarbeit zu leisten. Dies traf auf rund 90 Prozent der Frauen zu, oftmals in schlecht bezahlten Bereichen. Sozialleistungen für Arbeitsfähige gab es nicht, Sozialpolitik fand in den Betrieben statt. Die übliche Lebensform war die Kleinfamilie: 1989 lag der Anteil der verheirateten Personen bei über 70 Prozent, das Erstheiratsalter bei Männern bei 25,3 Jahren und bei Frauen bei 23,2 Jahren. Der Großteil der Frauen bekam das erste Kind bereits vor dem 25. Lebensjahr.
Durch die frühe Familiengründung – häufig auch, um endlich eine Wohnung vom Staat zugewiesen zu bekommen – wurde die Jugendphase fast übersprungen. Immerhin diente die Ehe den DDR-Frauen zumeist nicht als Versorgungsinstitution; entsprechend hoch war auch die Scheidungsrate. Aber Frauen trugen eine Doppelbelastung, mussten neben der Erwerbsarbeit den Großteil der Arbeit im Haushalt und bei der Kindererziehung leisten. Patriarchale Strukturen hielten sich auch im Staatssozialismus, häusliche Gewalt blieb ein völliges Tabuthema.
Systemische Parallelen
Nach der sogenannten Wende 1989/90 wurde im vereinigten Deutschland viel an der DDR kritisiert. Die erhöhte Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen sei für das hohe Niveau der Erwerbslosigkeit verantwortlich, hieß es etwa in dem Bericht der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen aus dem Jahr 1996/97. 1997 betrug die Erwerbslosenquote in Ostdeutschland 19,1 Prozent – und es waren besonders viele Ostfrauen, die ihre Lohnarbeit verloren hatten. Außerdem wurden sie als »Rabenmütter« an den Pranger gestellt, denn viele Frauen hatten ihre Kinder in die Kinderkrippe gegeben. 1999 stieg der Kriminologe Christian Pfeiffer mit seiner »Töpfchentheorie« in die Debatte ein und löste bei vielen Ostdeutschen Unmut aus: Er behauptete einen Zusammenhang zwischen der autoritären Erziehung in der DDR und den in Ostdeutschland häufigeren migrationsfeindlichen Gewalttaten von jungen Menschen.
Tatsächlich ist die Berufstätigkeit von Frauen und die zeitige Weggabe der Kinder an staatliche Betreuungsinstitutionen auch im heutigen Kapitalismus erwünscht – wie in der DDR werden die Frauen auch heute als Arbeitskräfte gebraucht. Die Deregulierung des Arbeitsmarkts, immer höhere Miet- und Lebenshaltungskosten sowie der schlichte Wunsch vieler Frauen, Erwerbsarbeit zu leisten, bedeuteten längst das Ende des westlichen Mittelschichts-Alleinernährermodells. Und die meisten Frauen aus der Arbeiterklasse waren übrigens auch im kapitalistischen Westen immer gezwungen, Lohnarbeit zu leisten. Die DDR stellte die Berufsarbeit als das Mittel zur Emanzipation dar. Die staatliche Politik zielte darauf, die Erwerbsquoten der Frauen stetig zu erhöhen, dabei war der Arbeitsstress in der DDR allerdings niemals so intensiv wie im Kapitalismus.
Frauen, die glauben, dass sie sich allein durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft emanzipieren könnten, täuschen sich – im Sozialismus wie in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Vielmehr müssen die Arbeitsbedingungen in den Fokus gerückt, sowie Inhalte und Sinn der Arbeit hinterfragt werden, um einen neuen Arbeitsbegriff entwickeln zu können. Es droht zudem Altersarmut, da viele Mütter in Teilzeit arbeiten. Die Leistungsideologie dringt in alle Subjekte ein, der Arbeitsfetischismus trieft dieser Gesellschaft aus allen Poren. Wer nicht mitmacht, wird isoliert, diffamiert und ausgegrenzt. Davon sind auch viele Alleinerziehende im Bürgergeldsystem betroffen.
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Schlechte Betreuungslage
Ebenso wie in der heutigen BRD war auch in der DDR die Steigerung der Geburtenrate erwünscht. Frauen sollten aus ökonomischen und ideologischen Gründen erwerbstätige Mütter sein und ihre Kinder dem staatlichen Betreuungssystem anvertrauen. Daher gab es seit Anfang der 70er Jahre zahlreiche soziale Vergünstigungen, auch »Muttipolitik« genannt. Insbesondere steht aber die Krippenerziehung, vor allem die Wochenkrippen und Säuglingsheime in der DDR, in der Kritik. 1989 lag der Betreuungsgrad bei den Kinderkrippen in der DDR bei 80 Prozent, in der BRD bei zwei Prozent. Zum 1. März 2024 betrug die Betreuungsquote bei Kindern unter drei Jahren in der Kindertagesbetreuung 37,4 Prozent, in den ostdeutschen Bundesländern (einschließlich Berlin) waren es 55,2 Prozent. Bei Kindern über drei Jahren werden lange Betreuungszeiten in den Kindertageseinrichtungen hierzulande immer häufiger.
Allerdings gelingt es dem kapitalistischen Staat nicht, ausreichende Kapazitäten für die Kinderbetreuung zu garantieren, um die benötigte Aufenthaltsdauer möglichst aller Kinder sicherzustellen. Hier gilt es, nicht nur um Quantität, sondern vor allem auch um die Qualität der Kinderbetreuung zu kämpfen: um einen akzeptablen Betreuungsschlüssel, eine gute Qualifikation und Bezahlung der Mitarbeiter*innen, um Zeitressourcen, die Art der Wertschätzung und vieles mehr. Im vereinigten Deutschland hat sich zwar häufig die Erwerbsarbeit von Frauen und die Betreuung von minderjährigen Kindern in Einrichtungen durchgesetzt, die Probleme im Patriarchat aber bleiben, vor allem die Überlastung vieler Mütter.
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