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Thailands Regenbogenkapitalismus
Trotz der Legalisierung der »Ehe für alle« ist der Weg zur Gleichberechtigung noch weit
Seit Januar 2025 ist es so weit: In Thailand können nun auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten, sie genießen dieselben Rechte und Pflichten wie Heterosexuelle.
Nachdem das Unterhaus des Parlaments im April 2024 den Weg für den Gesetzesentwurf der populistisch-konservativen Regierung frei gemacht hatte, votierte wenig später auch der Senat mit großer Mehrheit für das Vorhaben. Im September unterzeichnete König Maha Vajiralongkorn das Gesetz, vier Monate später trat es dann in Kraft.
Aktivist*innen bezeichnen die Legalisierung der Ehe für alle als Meilenstein. »Das Gesetz wird von weiten Teilen der thailändischen Gesellschaft begrüßt«, betont der Publizist Netiwit Chotiphatphaisal, der in Bangkok den studentischen Verlag Sam Yan Press betreibt. Es müsse aber noch mehr getan werden, um den Schutz queerer Menschen zu gewährleisten, also von Personen, deren sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität oder Beziehungsform nicht den dominanten Vorstellungen entspricht.
Thailand ist nach Nepal und Taiwan erst das dritte asiatische Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert hat. Die Nachbarstaaten in Südostasien sind davon noch weit entfernt. Dabei gäbe es, dem US-Forschungsinstitut Pew Research Center zufolge, in manchen Ländern sogar eine mehrheitliche Zustimmung für ein solches Vorhaben. In einer Studie von 2023 sprachen sich beispielsweise in Vietnam 65 Prozent der Befragten dafür aus, gleichgeschlechtlichen Paaren die Eheschließung zu ermöglichen, in Kambodscha 57 Prozent, im Stadtstaat Singapur immerhin noch 45 Prozent.
Anders sieht es in Malaysia aus. Die gesellschaftliche Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen liegt dort nur bei 17 Prozent. Zudem ist Homosexualität gesetzlich verboten. In Indonesien gibt es zwar kein generelles Verbot, die gesellschaftliche Akzeptanz ist mit gerade einmal fünf Prozent allerdings besonders niedrig. Für die Philippinen liegen keine Daten vor; dort wird allerdings seit Jahren über ein Gesetz gestritten, das die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bekämpfen soll – bislang jedoch ohne juristisch bindendes Ergebnis.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält mehr als zwei Dutzend Auslandsbüros auf allen Kontinenten. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit »nd« berichten an dieser Stelle regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Entwicklungen in den verschiedensten Regionen. Alle Texte auf: dasnd.de/rls
Der politische Hintergrund
Thailand kommt in der Studie auf einen Wert von 60 Prozent, doch auch hier war es ein steiniger Weg bis zur Einführung der Ehe für alle. Schon lange gab es Bemühungen, die Gleichstellung nicht-heterosexueller Paare gesetzlich festzuschreiben, und der zivilgesellschaftliche Druck wuchs. Daher ließ die Regierung der damaligen Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra bereits 2012 einen Gesetzesentwurf zur rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare erarbeiten. Die Initiative fand parteiübergreifend Unterstützung, wurde allerdings durch den Militärputsch im Mai 2014 vorübergehend gestoppt, bevor dann die neue, vom Militär unterstützte Regierung das Thema wieder aufgriff. Ein 2018 vom Justizministerium auf den Weg gebrachter Gesetzesvorschlag wurde jedoch nie im Parlament verabschiedet. Die UN-Studie »Toleranz, aber keine Inklusion« kam 2019 deshalb zu dem Ergebnis, dass Menschen mit nicht-traditionellen Geschlechtsidentitäten in Thailand zwar gesellschaftlich akzeptiert würden, Reformen für Gleichberechtigung in der Politik jedoch nur begrenzte Unterstützung fänden.
Thailand ist ein konservativ geprägtes Land, dessen politisches System von Instabilität gekennzeichnet ist. Seit dem Ende der absoluten Monarchie im Jahr 1932 wechselten sich demokratische Phasen und Militärregierungen ab. Es gab zahlreiche neue Verfassungen. Die konstitutionelle Monarchie sieht für den König primär repräsentative Funktionen vor. »In der Realität mischt sich das Königshaus jedoch immer wieder in die Politik ein – insbesondere dann, wenn demokratisch legitimierte Regierungen durch das Militär gestürzt wurden«, schreibt die Passauer Wissenschaftlerin Praphakorn Lippert in einem Beitrag für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Monarchie gilt zudem als unantastbar, ein Gesetz gegen Majestätsbeleidigung verbietet jede Kritik am König. Tausende Aktivist*innen wurden deswegen schon zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Reform des Gesetzes oder gar dessen komplette Abschaffung ist daher auch eine der wichtigsten Forderungen der prodemokratischen Bewegung.
Als einschneidendes politisches Ereignis der jüngeren Geschichte gilt der Militärputsch von 2014. Damals war die politische Landschaft in Thailand durch zwei große Parteiblöcke geprägt. Auf der einen Seite stand die populistische Pheu-Thai-Partei (Partei für Thais, PTP) von Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra, die 2008 als Nachfolgerin der zwangsaufgelösten Partei Thai-Rak-Thai (Thais lieben Thais, TRT) von Yinglucks Vater, Thaksin Shinawatra, gegründet worden war. Auf der anderen Seite standen die konservative Demokratische Partei und weitere dem Militär und Königshaus nahestehende Kräfte. Internationale Aufmerksamkeit erfuhr die erbitterte politische Rivalität der Lager durch die Massenproteste Thaksin-treuer »Rothemden« und königstreuer »Gelbhemden«.
Das Militär ließ nach seiner Machtübernahme eine neue Verfassung ausarbeiten, die den Weg des Landes zurück zur Demokratie ebnen sollte. Kritiker*innen sahen darin jedoch einen unverhohlenen Versuch der Junta, die politischen Einflussmöglichkeiten des Militärs dauerhaft zu verankern. So sicherte sich das Militär für eine Übergangszeit das Recht zu, die Mitglieder des Senats zu berufen.
Trotz massiver Kritik an diesem Vorgehen nahmen die Thailänder*innen die neue Verfassung 2016 in einem Referendum an. Knapp drei Jahre später, im März 2019, fanden dann erstmals wieder Parlamentswahlen statt, deren Durchführung allerdings erhebliche Mängel aufwies. Im Ergebnis konnte die Militärregierung ihre Macht behaupten.
Repressionen gegen die Linke
Bei den Wahlen trat jedoch eine neue politische Kraft in Erscheinung. Die erst 2018 gegründete Partei Neue Zukunft (Future Forward Party, FFP) hatte sich innerhalb kurzer Zeit als Alternative sowohl zur traditionellen Elite als auch zum Thaksin-Lager etabliert. Durch ihre kritischen Positionen gegenüber Militär und Monarchie konnte sie vor allem junge, progressive und linksorientierte Wähler*innen in den Städten überzeugen und aus dem Stand 17 Prozent der Stimmen erringen. Doch die politischen Hoffnungen wurden im Keim erstickt, als das Verfassungsgericht Anfang 2020 die Auflösung der Partei wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten anordnete.
Infolge dieser Entscheidung kam es erneut zu Massendemonstrationen. Das politisch motivierte Verbot der FFP war für Millionen junge Bürger*innen offenbar »der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte«, analysiert Praphakorn Lippert. Die Leute hätten den Eindruck gewonnen, über keine politischen Mittel mehr zu verfügen, um Veränderungen im Land herbeizuführen. Auf dem Höhepunkt der Proteste im Juli 2020 gingen in Bangkok Hunderttausende auf die Straße. Ihre Forderungen reichten von mehr Demokratie und einer erneuten Verfassungsänderung bis hin zur Abschaffung des Gesetzes gegen Majestätsbeleidigung. Doch der Staat reagierte mit harter Hand und verhängte ein Versammlungsverbot. Tausende Aktivist*innen wurden verhaftet oder flohen ins Ausland.
Die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe kann als strategisches Zugeständnis der Regierung verstanden werden, um radikalere Forderungen der queeren Bewegung zu entschärfen.
Jirapreeya Saeboo Aktivistin
Vor dem Hintergrund der Repression formierten sich die progressiven Kräfte im Land neu. Die 2014 gegründete sozialdemokratische Fortschrittspartei (Move Forward Party, MFP) wurde in dieser Zeit de facto zur Nachfolgerin der FFP – mit ähnlichem Logo und ähnlichem politischem Programm, darunter der Forderung nach einer Legalisierung der Ehe für alle. Bei der Parlamentswahl im Mai 2023 wurde die Partei mit 38 Prozent der abgegebenen Stimmen zur mit Abstand stärksten Kraft. Doch trotz des Wahlsiegs wurde sie an der Regierungsbildung gehindert und später ebenfalls vom Verfassungsgericht aufgelöst.
Die Macht übernahm die populistische Pheu-Thai-Partei, die knapp 29 Prozent geholt hatte. Sie schmiedete eine ungleiche Koalition mit mehreren konservativen, dem Militär nahestehenden Parteien. Damit hatte sich die traditionelle Elite des Landes ihren Einfluss erneut gesichert. »Das war ein unerbittlicher Gegenschlag der herrschenden Klasse«, beklagt die Bangkoker Aktivistin Jirapreeya Saeboo. Der Widerstand sei zwar nicht gebrochen worden, ergänzt die junge Frau, aber im Moment fehle es der Bewegung an Energie, um den Kampf für mehr Demokratie fortzusetzen.
Ein erster Schritt: die Ehe für alle
Warum hat nun ausgerechnet die populistisch-konservative Koalition aus PTP und dem Militär nahestehenden Kräften ein progressives Gesetz zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe auf den Weg gebracht? »Die Regierung kam nicht mehr an dem Thema vorbei«, meint Saeboo. Die Mehrheit der Bevölkerung habe das Vorhaben unterstützt, die Zivilgesellschaft jahrelang dafür gekämpft. »Es wäre für die Koalition nachteilig gewesen, sich dagegenzustellen.« Gleichzeitig sei die Ehe für alle entpolitisiert worden. Saeboo nennt das »Regenbogenkapitalismus«, denn hinter dem Slogan »Love Wins« (Die Liebe siegt) hätten sich am Ende auch Unternehmen mit entsprechenden wirtschaftlichen Interessen versammelt.
»Die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe kann als strategisches Zugeständnis der Regierung verstanden werden, um radikalere Forderungen der queeren Bewegung zu entschärfen und die Bewegungen in einen neoliberalen Rahmen zu zwängen«, glaubt die Aktivistin. Mit der Ehe für alle würden andere Familienkonzepte absichtsvoll ausgeblendet. »Was ist mit queeren Menschen, die nicht heiraten wollen?«, fragt Saeboo und gibt die Antwort selbst: »Ihre Bedürfnisse werden nicht anerkannt, wenn die Gleichstellung der Geschlechter mit Liebe und Ehe gleichgesetzt wird.« Zudem führten die Entpolitisierung und gleichzeitige Propagierung der Ehe für alle als Symbol des Fortschritts dazu, dass strittige Forderungen – wie die Anpassung der Geschlechtsidentität in Rechtsdokumenten oder die Anerkennung nicht-normativer Familienstrukturen – ignoriert oder sogar aktiv bekämpft würden.
Netiwit Chotiphatphaisal stimmt dieser Kritik im Prinzip zu, möchte aber trotzdem die positiven Aspekte betonen: »Es war ein langer, beschwerlicher Kampf bis zur Ehe für alle, viele Betroffene haben darunter gelitten, nicht heiraten zu dürfen. Deshalb hoffe ich, dass das Gesetz für mehr Gleichberechtigung in Thailand sorgt und ein erster Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft ist.« Es bleibt zu hoffen, dass er recht behält.
Stefan Mentschel leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi.
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